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Der Zwischenfall war in Sekunden vorüber. Der Kranke lag ruhig atmend da. Ich griff zum Puls und meldete: »Hundertzwanzig.« Nicht einmal eine Uhr hat man oder wenigstens ein Sandglas, um den Puls richtig zählen zu können, dachte ich - da hatte Böhler schon das Messer in der Hand, legte die Linke spannend auf die Haut des Operationsfeldes und zog einen raschen Schnitt.

Während Sellnow die improvisierten Wundhaken aus Draht ansetzte und die Wunde weiter auseinanderzog, tupfte der Chirurg das Blut auf. Dem Sanitäter Pelz, der beim Tablett mit den Instrumenten stand und sie Böhler zureichte, rief er anerkennend zu: »Schneidet tadellos, das Messer«, und Pelz, der es geschliffen hatte, grinste geschmeichelt. Die Wunde klaffte nun weit, und wir konnten alle sehen, wie sich das gespannte Bauchfell hineinwölbte. Ich beobachtete die Gesichter. Böhler war ruhig und gefaßt, Sellnow erregt, und die Kasalinsskaja hatte offensichtlich Angst. Die Ätherflasche in ihrer Hand zitterte.

»Klemmen«, befahl Böhler, und ich zuckte zusammen. Schnell -reichte ich ihm zuerst die eine Klemme, die er an das Bauchfell ansetzte. Vorsichtig schüttelte er sie, um das Bauchfell von den darunterliegenden Därmen zu trennen, und reichte sie dann Sellnow. Ein paar Zentimeter entfernt setzte er die zweite Klemme an. Sell-now hob jetzt beide Klemmen leicht an, und Böhler fuhr mit dem Messer über die entstehende Falte des Bauchfelles. Es klaffte sofort breit auseinander, und nun sahen wir die Bescherung. Grüngelber, stinkender Eiter füllte den Teil der Bauchhöhle, den wir übersehen konnten.

Wir alle wußten, was das zu bedeuten hatte. Das war eine Bauchfellentzündung, zumindest in der Blinddarmgegend und offensichtlich von diesem ausgehend. Bisher hatten Böhler und Sellnow ohne besondere Eile gearbeitet, jetzt änderte sich das augenblicklich. Ich reichte dem Chirurgen einen gewöhnlichen Eßlöffel, und er holte damit den Eiter aus der Tiefe der Wunde. Dann tupfte er mit angefeuchteten Läppchen und Tupfern die Bauchhöhle aus, so gut es ging.

Sellnow griff mit beiden Händen in die Wunde und legte den Wurmfortsatz, den Appendix, frei. Das Gebilde war dick geschwollen und an mehreren Stellen aufgerissen, perforiert.

»Machen Sie das Eisen glühend«, sagte Böhler zu Pelz. Er nahm mit der Linken den Wurmfortsatz hoch, setzte eine Klemme an, und Sellnow unterband mit einem Stück Seide. Böhler durchtrennte das Gebilde und warf es in den Abfalleimer.

Pelz reichte ihm an einer gewöhnlichen Zange einen dicken, glühenden Nagel. Böhler griff, die Hand mit einem Tuch geschützt, um sie sauber zu halten, nach der Zange und tupfte mit dem heißen Eisen auf den Operationsstumpf. Es zischte und roch scharf nach verbranntem Fleisch. Eigentlich hätte man dieses Sterilisieren des Stumpfes mit einem Thermokauter oder einem Desinfektionsmittel vornehmen müssen, aber es mußte hier auch so gehen.

Wie hatte Sellnow vorhin zu mir gesagt? »Das wird weder schwierig noch langwierig.« Wie sollte dieser Kranke jemals die Bauchfellentzündung überstehen, ohne alle pflegerischen Möglichkeiten und ohne herzstützende Medikamente? Es sah wirklich verzweifelt aus, obgleich man sagen konnte, daß die Operation soweit gelungen war. Der Chef war damit beschäftigt, den Stumpf zu übernähen. Sellnow hatte ihm in eine gewöhnliche Nähnadel Seide eingefädelt, und Böhler mußte ohne Nadelhalter die Naht durchführen. Ich schaute ihm wie gebannt zu, wie er in höchster Eile, aber dennoch mit großer Präzision die Nähte zusammenzog, und schreckte förmlich auf, als er die Kasalinsskaja anschrie:

»Zum Donnerwetter, nehmen Sie die Maske weg, wollen Sie den Patienten umbringen!«

Jetzt sah ich es auch. Die Wunde war blau angelaufen. Die Ka-salinsskaja hatte zuviel Äther aufgeträufelt, und der Patient war in Gefahr, zu ersticken. Ich griff nach dem Puls und schätzte mindestens hundertsechzig Schläge. Sellnow knurrte mich an:

»Nehmen Sie dem Weibsstück die Ätherflasche weg und führen Sie die Narkose weiter. Zu nichts Vernünftigem sind diese Bestien zu gebrauchen.«

Ich tat wie befohlen. Die Ärztin überließ mir willenlos Maske und Tropfflasche. Schwankend verließ sie den Operationssaal. Sie hatte offensichtlich vollkommen schlappgemacht.

Die beiden Chirurgen standen abwartend da und beobachteten. Sie konnten nichts tun. Man mußte der Natur ihren Lauf lassen und hoffen, daß der Kranke sich von selbst erholen würde. Ich machte zusammen mit Pelz künstliche Atmung.

Wir hatten Glück. Die blauen Lippen und das fahle Gesicht färbten sich wieder, und der Puls beruhigte sich.

»Ich glaube, Sie können weitermachen, Herr Stabsarzt«, meldete ich.

»Dräns!« befahl Böhler, und Pelz brachte einen Topf, auf dessen Grund einige dünne Schläuche aus Kunststoff lagen. Es waren ursprünglich Kabelisolierungen gewesen, die der findige Böhler sich zum Dränieren bei Operationen >organisiert< hatte.

Er war damit beschäftigt, zwei der Schläuche in die Wunde einzunähen, als die Tür zum Raum stürmisch aufgerissen wurde und die Kasalinsskaja hereintrat. Sie hielt ein Paket in der Hand, reichte es mir hin und rief:

»Da habt Ihr, gutt für Peritonitis!«, worauf sie sich umdrehte und wieder hinausging. An der Tür wandte sie sich noch einmal zurück und rief:»Verdient habt Ihr es nicht!«

Ich hatte gerade wieder die Maske aufgesetzt und für den Verschluß der Wunde wieder Narkose gegeben. Verblüfft nahm ich die Tropfflasche zurück und starrte auf das Päckchen, das ich in der linken Hand hielt. >Penicillin< stand darauf und eine englische Gebrauchsanweisung. Es handelte sich offenbar um ein amerikanisches Präparat.

»Was ist denn los?« herrschte mich Böhler ungeduldig an, »machen Sie schon mit der Narkose weiter.«

»Es ist Penicillin-Pulver«, antwortete ich, »offenbar geeignet zur lokalen Behandlung der Bauchfellentzündung bei Operationen.«

»Ach - das sagenhafte Penicillin«, meinte Böhler. »Pelz, öffnen Sie das Päckchen, schaden können wir ja damit wohl nicht.«

Er ließ Sellnow reichlich Penicillin-Puder in die Wunde streuen und nähte dann mit der Hausfrauennadel und den seidenen Fäden aus dem Schal des Küchenmädchens Bauchfell und Muskulatur zusammen. Die aus der Wunde herausragenden beiden Dräns sicherte er über der Haut mit Sicherheitsnadeln.

Eine knappe Stunde hatte die Operation gedauert. Das Schicksal des Kranken lag jetzt in Gottes Hand. Pelz und zwei Leichtkranke trugen ihn hinaus in ein kleines Zimmer am Ende des Ganges, in dem die Schwerkranken lagen.

Fünf Männer: Ein Fünfundvierzigjähriger mit einer Gelbsucht. (Wir zitterten ständig, daß er alle anderen anstecken würde, aber es gab keine Möglichkeit, ihn zu isolieren.)

Ein Dreiundvierzigjähriger mit einem schweren Herzleiden und Wasser in den Beinen und im Bauch. Er war Vater von vier Kindern. Ein Verletzter, dem ein Baumstamm beide Hände abgequetscht hatte und der jetzt, nachdem wir Besitzer eines Taschenmessers wa-ren, operiert werden konnte.

Ein schwerer Fall von Hungerödem, der uns sehr zu schaffen machte.

Ein Mann mit Starrkrampf, der im Sterben lag. Der Arme war sechsunddreißig Jahre alt, jung verheiratet. In der Gefangenschaft hatte er erfahren, daß seine Frau an der Geburt ihres ersten Kindes gestorben war. Damals rannte er gegen den Stacheldrahtzaun, um sich von den russischen Posten erschießen zu lassen. Aber der Posten war an diesem Tag guter Laune und bewarf ihn mit faulem Obst. Der Lebensmüde suchte sich dann auf der Baustelle einen rostigen Nagel und stieß ihn sich in den Oberschenkel. Er lief mehrere Tage mit dem Nagel im Fleisch herum, bis sich die ersten Anzeichen des Starrkrampfes einstellten. Als er zu uns ins Lazarett kam, konnten wir nichts mehr für ihn tun, als ihn mit Opium-Pillen und Veronal füttern, den einzigen Medikamenten, über die wir aus Wehrmachtsbeständen in größeren Mengen verfügten.

Neben den Sterbenden legten wir nun Nummer 4583, den jungen Oberfähnrich Graf Burgfeld.

Vor meinem Zimmer verabschiedete ich mich von dem Oberarzt.