Выбрать главу

Die anderen drei nickten einvernehmlich.

«Madame ist erstaunt, ihn zu sehen, aber er klärt die Lage sofort. Mason wird aus dem Weg geschafft; es wird ein Speisekorb bestellt. Wir wissen vom Schaffner, dass er im ersten Abteil das Bett gemacht, das zweite aber nicht betreten hat, und dass sich dort für ihn unsichtbar ein Mann hätte aufhalten können. Bis hierhin kann der Comte al-lerbestens versteckt gewesen sein. Niemand außer Madame weiß von seiner Anwesenheit im Zug. Er hat dafür gesorgt, dass die Zofe sein Gesicht nicht sieht. Sie konnte ja lediglich sagen, dass er groß und dunkelhaarig war. Alles sehr vage. Sie sind allein — und der Zug rast durch die Nacht. Es dürfte keinen Aufschrei, keinen Kampf gegeben haben; der Mann ist ja, meint sie, ihr Liebhaber.»

Er wandte sich freundlich an Van Aldin.

«Der Tod, Monsieur, muss fast augenblicklich eingetreten sein. Lassen wir dies rasch beiseite. Der Comte nimmt den griffbereit daliegenden Juwelenkoffer. Kurz darauf läuft der Zug in Lyon ein.»

Monsieur Carrege nickte beifällig.

«Genau. Der Schaffner am Wagenende steigt aus. Es wäre einfach für unseren Mann, den Zug ungesehen zu verlassen; es wäre leicht, einen Zug zurück nach Paris oder nach einem beliebigen Ort zu nehmen. Und das Verbrechen wäre als gewöhnlicher Bahnraub eingestuft worden. Wenn man nicht den Brief in Madames Handtasche gefunden hätte, wäre der Comte nie erwähnt worden.»

«Es war leichtfertig von ihm, die Tasche nicht zu durchsuchen», erklärte der Kommissar.

«Zweifellos hat er angenommen, sie hätte diesen Brief vernichtet. Es war — verzeihen Sie, Monsieur —, es war eine Indiskretion erster Güte von ihr.»

«Und trotzdem», murmelte Poirot, «war es eine Indiskretion, die der Comte hätte vorhersehen können.»

«Wie meinen Sie?»

«Ich meine, wir haben uns doch alle über einen Punkt geeinigt, und zwar, dass der Comte de la Roche etwas a fond versteht: Frauen. Wie kommt es, dass er, der Frauen so gut kennt, nicht damit rechnet, dass Madame diesen Brief aufhebt?»

«Ja — ja», sagte der Untersuchungsrichter zweifelnd, «es ist etwas an dem, was Sie sagen. Aber in solchen Momenten, wissen Sie, ist man nicht Herr seiner selbst. Man denkt nicht ruhig alles durch. Mon Dieu!», setzte er mit Nachdruck hinzu, «wenn unsere Verbrecher immer kühlen Kopf bewahrten, wie sollten wir sie dann fangen?»

Poirot lächelte vor sich hin.

«Der Fall scheint mir klar», sagte der andere, «aber schwer zu beweisen. Der Comte ist aalglatt, und falls ihn nicht die Zofe identifizieren kann.»

«Was sehr unwahrscheinlich ist», sagte Poirot.

«Das stimmt, das stimmt.» Der Untersuchungsrichter rieb sich das Kinn. «Es wird sehr schwierig.»

«Wenn er das Verbrechen wirklich begangen hat.», begann Poirot. Monsieur Caux unterbrach ihn.

«Wenn — Sie sagen wenn?»

«Ja, Monsieur le Commissaire, ich sage wenn.»

Der andere sah ihn scharf an. «Sie haben Recht», sagte er schließlich. «Es ist möglich, dass der Comte ein Alibi hat. Dann sähen wir schlecht aus.»

«Ah, ca par exemple», erwiderte Poirot, «das hat überhaupt keine Bedeutung. Wenn er das Verbrechen begangen hat, wird er natürlich ein Alibi haben. Ein Mann mit der Erfahrung des Comte vergisst nicht, Vorkehrungen zu treffen. Nein, ich habe aus einem ganz bestimmten Grund wenn gesagt.»

«Und zwar?»

Poirot wackelte emphatisch mit dem Zeigefinger. «Die Psychologie.»

«Eh?», sagte der Kommissar.

«Die Psychologie stimmt nicht. Der Comte ist ein Schuft — ja. Der Comte ist ein Schwindler — ja. Der Comte nutzt Frauen aus — ja. Er hat die Absicht, Madames Juwelen zu stehlen — abermals ja. Ist er die Sorte Mann, die einen Mord begeht? Ich sage nein! Ein Mann vom Typ des Comte ist immer ein Feigling; er geht kein Risiko ein. Er spielt auf sicher, mit kleinem Einsatz, was die Engländer the lowdown game nennen; aber Mord, hundertmal nein!» Er schüttelte unzufrieden den Kopf.

Der Untersuchungsrichter schien jedoch nicht bereit, ihm zuzustimmen.

«Eines Tages verlieren solche Leute immer den Kopf und gehen zu weit», bemerkte er weise. «Zweifellos ist das hier der Fall. Ich will Ihnen ja nicht widersprechen, Monsieur Poirot.»

«Ich habe nur eine Meinung geäußert», beeilte Poirot sich zu erklären. «Der Fall liegt selbstverständlich in Ihren Händen, und Sie werden tun, was Sie für richtig halten.»

«Ich meinerseits bin davon überzeugt, dass der Comte de la Roche derjenige ist, den wir schnappen müssen», sagte Carrege. «Stimmen Sie mir zu, Monsieur le Com-missaire?»

«Vollkommen.»

«Und Sie, Monsieur Van Aldin?»

«Ja», sagte der Millionär. «Ja, dieser Mann ist ein Schurke durch und durch, da gibt es keinen Zweifel.»

«Es wird schwer sein, ihn zu fassen», sagte der Untersuchungsrichter, «aber wir werden unser Bestes tun. Es werden sofort telegraphische Anweisungen hinausgehen.»

«Gestatten Sie mir, Ihnen zu helfen», sagte Poirot. «Da dürfte es keine Probleme geben.»

«Eh?»

Die anderen starrten ihn an. Der kleine Mann lächelte strahlend zurück.

«Es ist mein Beruf, alles zu wissen», erklärte er. «Der Comte ist ein intelligenter Mann. Im Moment befindet er sich in einer Villa, die er gemietet hat, in der Villa Marina in Antibes.»

Sechzehntes Kapitel

Poirot erörtert den Fall

Alle sahen Poirot respektvoll an. Zweifellos hatte der kleine Mann einen schweren Treffer gelandet. Der Kommissar lachte — aber es klang ein wenig hohl.

«Sie bringen uns bei, wo es langgeht», rief er. «Monsieur Poirot weiß mehr als die Polizei.»

Poirot starrte selbstgefällig zur Decke hinauf, in gespielter Bescheidenheit.

«Was wollen Sie, es ist mein kleines Hobby, dies und das zu wissen», murmelte er. «Natürlich habe ich Zeit, mich damit zu amüsieren. Ich bin ja nicht von Pflichten überlastet.»

«Ah!», sagte der Kommissar und schüttelte gewichtig den Kopf. «Was mich betrifft.»

Er machte eine übertriebene Geste, die andeuten sollte, welche Sorgen auf seinen Schultern lasteten.

Poirot wandte sich plötzlich an Van Aldin.

«Stimmen Sie dem zu, Monsieur? Sind Sie sicher, dass der Comte de la Roche der Mörder ist?»

«Sieht doch so aus — ja, gewiss.»

Eine gewisse Zurückhaltung in der Antwort brachte den Untersuchungsrichter dazu, den Amerikaner neugierig anzuschauen. Van Aldin war sich des forschenden Blickes bewusst und schien einen Vorbehalt abschütteln zu wollen.

«Was ist mit meinem Schwiegersohn?», fragte er. «Haben Sie ihn schon unterrichtet? Er ist in Nizza, soviel ich weiß.»

«Gewiss, Monsieur.» Der Kommissar zögerte und murmelte dann sehr diskret: «Es ist Ihnen zweifellos bekannt, Monsieur Van Aldin, dass Monsieur Kettering in jener Nacht ebenfalls Fahrgast des Blauen Express war?»

Der Millionär nickte.

«Habe ich gehört, bevor ich London verließ», sagte er lakonisch.

«Er sagt», fuhr der Kommissar fort, «er habe keine Ahnung davon gehabt, dass seine Frau in diesem Zug war.»

«Darauf würde ich wetten», sagte Van Aldin grimmig. «Es wäre ein ziemlich scheußlicher Schreck für ihn gewesen, ihr da zu begegnen.»

Die drei Männer sahen ihn fragend an.

«Ich will kein Blatt vor den Mund nehmen», sagte Van Aldin heftig. «Kein Mensch weiß, was mein armes Mädchen hat wegstecken müssen. Derek Kettering war nicht allein. Er hatte eine Dame dabei.»

«Ah?»

«Mirelle — die Tänzerin.»

Monsieur Carrege und der Kommissar tauschten Blicke und nickten wie zur Bestätigung eines früheren Gesprächs. Carrege lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, faltete die Hände und heftete die Augen an die Decke.