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Der Graf dachte einen Augenblick lang nach.

«Ich habe in Monte Carlo gegessen, im Cafe de Paris. Danach bin ich ins Le Sporting gegangen. Ich habe ein paar tausend Francs gewonnen.» Er zuckte mit den Schultern. «Ungefähr um ein Uhr war ich wieder zu Hause.»

«Entschuldigen Sie, Monsieur, aber wie sind Sie nach Hause gelangt?»

«In meinem Zweisitzer.»

«Es war niemand bei Ihnen?»

«Niemand.»

«Könnten Sie Zeugen beibringen, die Ihre Angaben bestätigen?»

«Sicher haben mich viele meiner Freunde an dem Abend dort gesehen. Gegessen habe ich allein.»

«Ihr Diener hat Sie nach Ihrer Rückkehr in die Villa eingelassen?»

«Ich habe mich selbst eingelassen, mit meinem Hausschlüssel.»

«Ah!», murmelte der Untersuchungsrichter.

Wieder hieb er die Hand auf die Glocke. Die Tür wurde geöffnet, und ein Bote erschien.

«Bringen Sie die Zofe Mason her», sagte Monsieur Carrege.

«Sehr wohl, Monsieur le Juge.»

Ada Mason wurde hereingebracht.

«Wären Sie so freundlich, Mademoiselle, sich diesen Herrn anzusehen? Und sagen Sie uns, so gut Sie können, ob er derjenige ist, der in Paris das Abteil Ihrer Herrin betreten hat.»

Lange und eingehend musterte die Frau den Grafen, der sich, wie es Poirot vorkam, dabei einigermaßen unbehaglich fühlte.

«Ich weiß es wahrhaftig nicht sicher, Sir», sagte Mason schließlich. «Vielleicht ja, vielleicht aber auch nein. Wo ich doch nur seinen Rücken gesehen habe, ist das schwer zu sagen. Ich glaube aber, es war der Gentleman.»

«Sicher sind Sie aber nicht?»

«Nei-enn», sagte Ada Mason widerwillig, «n-nein, sicher bin ich nicht.»

«Haben Sie diesen Gentleman schon einmal in der Cur-zon Street gesehen?»

Mason schüttelte den Kopf.

«Ich kriege eigentlich keinen Besucher in der Curzon Street zu sehen», erklärte sie, «außer, er wohnt länger bei uns.»

«Sehr gut, das genügt», sagte der Untersuchungsrichter scharf. Er war offenbar enttäuscht.

«Einen Moment», sagte Poirot. «Ich würde Mademoiselle gern eine Frage stellen, wenn ich darf?»

«Aber gewiss, Monsieur Poirot — selbstverständlich.»

Poirot wandte sich an die Zofe.

«Was ist mit den Fahrkarten geschehen, Mademoiselle?»

«Den Fahrkarten?»

«Ja, den Fahrkarten von London nach Nizza. Wer hatte die — Sie oder Ihre Herrin?»

«Die gnädige Frau hatte ihre eigene Pullman-Karte, Sir; die anderen hatte ich verwahrt.»

«Was ist damit geschehen?»

«Ich habe sie dem Schaffner im französischen Zug gegeben, Sir; er hat gesagt, das ist so üblich. Hätte ich das nicht tun sollen, Sir?»

«Doch, doch, das ist vollkommen in Ordnung. Ich wollte es nur wissen.»

Monseieur Caux und der Untersuchungsrichter sahen ihn neugierig an. Ada Mason stand einen Augenblick unschlüssig da, bis der Untersuchungsrichter sie mit einem kurzen Nicken verabschiedete; sie ging hinaus. Poirot kritzelte etwas auf ein Stückchen Papier und reichte es Carrege. Dieser las es, und seine Züge hellten sich auf.

«Nun denn, meine Herren», sagte der Graf hochnäsig, «wollen Sie mich noch länger festhalten?»

«Keineswegs, keineswegs», beeilte Carrege sich mit großer Liebenswürdigkeit zu antworten. «Was Ihre Rolle in der Angelegenheit angeht, ist nun alles geklärt. Wegen Ihres Briefes an Madame mussten wir Sie natürlich befragen.»

Der Graf erhob sich, nahm seinen feinen Stock aus dem Ständer, verbeugte sich sehr knapp und verließ das Zimmer.

«Das wäre dies», sagte Carrege. «Sie hatten ganz Recht, Monsieur Poirot — viel besser, wenn er glaubt, dass man ihn nicht verdächtigt. Zwei meiner Leute werden ihn Tag und Nacht beschatten, und gleichzeitig werden wir sein Alibi ein bisschen abklopfen. Es scheint mir ziemlich — hm — vage.»

«Möglicherweise», stimmte Poirot nachdenklich zu.

«Ich habe Monsieur Kettering gebeten, sich heute Vormittag hier einzufinden», fuhr der Richter fort, «wenn ich auch eigentlich nicht weiß, was wir ihn fragen sollen, aber es gibt da ein oder zwei verdächtige Umstände.» Er machte eine Pause und rieb sich die Nase.

«Und zwar?», fragte Poirot.

«Also» — der Untersuchungsrichter hustete — «diese Dame, mit der er angeblich reist — Mademoiselle Mirelle. Die beiden wohnen in getrennten Hotels. Das kommt mir — eh — ziemlich merkwürdig vor.»

«Es sieht so aus», sagte Monsieur Caux, «als ob die beiden sich in Acht nähmen.»

«Genau», sagte Carrege triumphierend, «und wovor sollten sie sich in Acht nehmen müssen?»

«Allzu viel Umsicht ist verdächtig, was?», sagte Poirot.

«Preasement.»

«Wir könnten, finde ich», murmelte Poirot, «Monsieur Kettering durchaus ein paar Fragen stellen.»

Der Untersuchungsrichter gab Anweisungen. Bald darauf trat Derek Kettering ein, lässig wie immer.

«Guten Morgen, Monsieur», sagte der Richter höflich.

«Morgen», sagte Derek Kettering knapp. «Sie haben mich holen lassen. Gibt es etwas Neues?»

«Bitte nehmen Sie Platz, Monsieur.»

Derek warf Hut und Stock auf den Tisch und setzte sich.

«Also?», fragte er ungeduldig.

«Wir haben eigentlich keine neuen Einzelheiten», sagte Monsieur Carrege vorsichtig.

«Sehr interessant», sagte Derek trocken. «Haben Sie mich etwa rufen lassen, um mir das mitzuteilen?»

«Wir dachten natürlich, Monsieur, dass Sie über die Fortschritte in diesem Fall informiert werden möchten», sagte der Richter streng.

«Selbst wenn der Fortschritt nicht existent ist.»

«Außerdem wollten wir Ihnen einige Fragen stellen.»

«Fragen Sie.»

«Sind Sie ganz sicher, dass Sie Ihre Frau im Zug weder gesehen noch mit ihr gesprochen haben?»

«Habe ich Ihnen doch längst beantwortet. Ja, weder — noch.»

«Sie hatten zweifellos Gründe dafür.»

Derek starrte ihn misstrauisch an.

«Ich — habe — nicht — gewusst — dass — sie — im — Zug — war», erklärte er überdeutlich, als spräche er mit einem Schwachsinnigen.

«Das sagen Sie», murmelte Carrege.

Derek runzelte die Stirn.

«Ich wüsste gern, worauf Sie hinauswollen. Wissen Sie, was ich finde, Monsieur Carrege?»

«Was finden Sie denn, Monsieur?»

«Ich finde, die französische Polizei wird sehr überschätzt. Sie müssen doch sicher Daten über die Banden von Bahnräubern haben. Es ist empörend, dass in einem solchen train de luxe so etwas überhaupt vorkommen kann und dass die französische Polizei in der Sache zu hilflos ist, um sich damit zu befassen.»

«Wir befassen uns damit, keine Sorge, Monsieur.»

«Soviel ich weiß, hat Madame Kettering kein Testament hinterlassen», warf Poirot plötzlich ein. Er hatte die Fingerspitzen aneinander gelegt und musterte aufmerksam die Decke.

«Ich glaube nicht, dass sie je eines gemacht hat», sagte Kettering. «Warum?»

«Es ist ein nettes kleines Vermögen, das Sie da erben», sagte Poirot, «ein sehr nettes kleines Vermögen.»

Zwar hingen seine Augen noch immer an der Decke, aber dennoch entging ihm die plötzliche Röte nicht, die Derek Ketterings Gesicht überzog.

«Was meinen Sie damit, und wer sind Sie überhaupt?»

Poirot hatte mit übereinander geschlagenen Beinen dagesessen; nun setzte er beide Füße auf den Boden, nahm die Augen von der Decke und sah dem jungen Mann voll ins Gesicht.

«Mein Name ist Hercule Poirot», sagte er ruhig, «und wahrscheinlich bin ich der größte Detektiv der Welt. Sind Sie ganz sicher, dass Sie Ihre Frau während der Reise weder gesehen noch gesprochen haben?»

«Worauf wollen Sie hinaus? Wollen Sie — wollen Sie etwa unterstellen, dass ich — dass ich sie getötet hätte?»