Plötzlich lachte er.
«Ich sollte mich nicht aufregen, das ist doch offensichtlich absurd. Also, wenn ich sie getötet hätte, hätte ich doch nicht ihre Juwelen zu stehlen brauchen, oder?»
«Das ist wahr», murmelte Poirot mit einem einigermaßen erstaunten Gesichtsausdruck. «Das habe ich nicht bedacht.»
«Wenn es jemals einen klaren Fall von Raubmord gegeben hat, dann ist es dieser», sagte Derek Kettering. «Arme Ruth, es waren diese verfluchten Rubine. Es muss sich herumgesprochen haben, dass sie sie bei sich hatte. Ich glaube, wegen dieser Steine sind schon früher Morde begangen worden.»
Poirot richtete sich plötzlich in seinem Sessel auf. In seinen Augen glomm ein schwaches grünes Leuchten und er sah einer geputzten, wohlgenährten Katze bemerkenswert ähnlich.
«Eine Frage noch, Monsieur Kettering», sagte er. «Könnten Sie mir sagen, an welchem Tag Sie Ihre Frau zuletzt gesehen haben?»
«Mal sehen», überlegte Kettering. «Es muss — ja, vor über drei Wochen gewesen sein. Ich fürchte, das genaue Datum kann ich Ihnen nicht nennen.»
«Macht nichts», sagte Poirot trocken, «mehr wollte ich nicht wissen.»
«Also», sagte Derek Kettering unwirsch, «sonst noch was?»
Er sah Carrege an. Dieser suchte Inspiration bei Poirot und erhielt sie in Form eines schwachen Kopfschütteins.
«Nein, Monsieur Kettering», sagte er höflich, «nein, ich glaube, wir müssen Sie nicht länger behelligen. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.»
«Guten Morgen», sagte Kettering. Er ging hinaus, dabei schlug er die Tür hinter sich zu.
Sobald der junge Mann das Zimmer verlassen hatte, beugte Poirot sich vor und fragte scharf:
«Sagen Sie, wann haben Sie mit Monsieur Kettering über diese Rubine gesprochen?»
«Ich habe überhaupt nicht von ihnen gesprochen», sagte Carrege. «Wir haben erst gestern Nachmittag durch Monsieur Van Aldin von ihnen erfahren.»
«Ja, aber im Brief des Comte werden sie erwähnt.»
Carrege wirkte gekränkt.
«Selbstverständlich habe ich mit Monsieur Kettering nicht über diesen Brief gesprochen», sagte er mit schockierter Stimme. «Beim augenblicklichen Stand der Affäre wäre das äußerst leichtfertig gewesen.»
Poirot beugte sich vor und klopfte auf den Tisch.
«Woher wusste er dann davon?», fragte er leise. «Madame kann es ihm nicht erzählt haben; er hat sie doch seit drei Wochen nicht gesehen. Es ist unwahrscheinlich, dass Monsieur Van Aldin oder sein Sekretär sie erwähnt hätten. Bei ihren Gesprächen mit ihm ging es um ganz andere Dinge. Und in den Zeitungen gab es keinen Hinweis und keine Anspielung auf die Rubine.»
Er stand auf und nahm Hut und Stock.
«Und trotzdem», murmelte er vor sich hin, «weiß unser Gentleman über sie Bescheid. Also, da fragt man sich — ja, man fragt sich!»
Achtzehntes Kapitel
Derek Kettering ging geradewegs ins Negresco, wo er zunächst einige Cocktails bestellte und schnell hinunterstürzte. Dann starrte er mürrisch auf das blendend blaue Meer. Mechanisch registrierte er die Passanten — eine verdammt öde Gesellschaft, schlecht angezogen und fast schmerzhaft uninteressant; in diesen Tagen sah man ja kaum je etwas Bemerkenswertes. Diese letztere Feststellung korrigierte er allerdings sogleich, als sich eine Frau an einen nicht weit entfernten Tisch setzte. Sie trug eine wundervolle Komposition in Orange und Schwarz, mit einem Hütchen, das ihr Gesicht beschattete. Er bestellte einen weiteren Cocktail; wieder starrte er aufs Meer hinaus und zuckte dann plötzlich zusammen. Ein wohl bekanntes Parfüm stieg ihm in die Nase, und als er aufblickte, stand die Dame in Orange und Schwarz neben ihm. Nun sah er ihr Gesicht und erkannte sie. Es war Mirelle. Sie sah ihn mit dem herausfordernden, verführerischen Lächeln an, das er so gut kannte.
«Derek», murmelte sie. «Du freust dich doch, mich zu sehen, oder?»
Sie setzte sich in einen Sessel auf der anderen Seite des Tisches.
«Aber dann begrüß mich doch, du Dummkopf», spottete sie.
«Welch unerwartetes Vergnügen», sagte Derek. «Wann hast du London verlassen?»
Sie zuckte mit den Schultern.
«Vor einem oder zwei Tagen?»
«Und das Parthenon?»
«Ich habe denen, wie sagt man das? — den Kram hingeschmissen!»
«Wirklich?»
«Du bist nicht besonders entgegenkommend, Derek.»
«Hattest du das denn erwartet?»
Mirelle zündete sich eine Zigarette an und rauchte ein paar Minuten, ehe sie sagte:
«Meinst du vielleicht, es wäre unvorsichtig, so bald?»
Derek starrte sie an, dann zuckte er mit den Schultern und sagte förmlich:
«Willst du hier zu Mittag essen?»
«Mais oui. Ich esse mit dir.»
«Es tut mir wirklich sehr Leid», sagte Derek. «Ich habe eine überaus wichtige Verabredung.»
«Mon Dieu! Ihr Männer seid wie die Kinder», rief die Tänzerin aus. «O ja, jetzt spielst du mir das verzogene Kind vor, und zwar seit dem Tag in London, als du aus meiner Wohnung gerauscht bist, seitdem schmollst du. Ah!, mais c’est inoui!»
«Mein liebes Mädchen», sagte Derek, «ich weiß wirklich nicht, wovon du da redest. In London haben wir uns darüber geeinigt, dass Ratten ein sinkendes Schiff verlassen; mehr ist nicht dazu zu sagen.»
Trotz seiner achtlosen Rede wirkte sein Gesicht eingefallen und bedrückt. Mirelle beugte sich plötzlich vor.
«Du kannst mir nichts vormachen», murmelte sie. «Ich weiß — ich weiß, was du für mich getan hast.»
Scharf blickte er zu ihr auf. Ein Unterton in ihren Worten fesselte seine Aufmerksamkeit. Sie nickte ihm zu.
«Ah! Hab keine Angst, ich bin verschwiegen. Du bist großartig! Du hast ungeheuren Mut, aber trotz allem — ich war diejenige, die dich auf den Gedanken gebracht hat, als ich dir in London gesagt habe, dass manchmal Unfälle geschehen. Und bist du nicht in Gefahr? Verdächtigt dich die Polizei nicht?»
«Was zum Teufel.?»
«Pssst!»
Sie hob eine schlanke, olivfarbene Hand mit einem großen Smaragd am kleinen Finger.
«Du hast Recht, ich hätte hier in der Öffentlichkeit nicht so reden sollen. Wir werden nicht mehr davon sprechen, aber unsere Probleme sind gelöst; unser gemeinsames Leben wird wunderbar sein — wunderbar!»
Derek lachte plötzlich — ein schroffes, unangenehmes Lachen.
«Die Ratten kehren also zurück, wie? Zwei Millionen machen etwas aus — natürlich. Ich hätte es wissen müssen!» Er lachte noch einmal. «Du willst mir helfen, diese zwei Millionen auszugeben, oder, Mirelle? Du weißt, wie man das macht; keine Frau wüsste es besser.» Wieder lachte er.
«Pssst!», zischte die Tänzerin. «Was ist mit dir los, Derek? Sieh mal — die Leute drehen sich schon nach dir um.»
«Mit mir? Ich will dir sagen, was mit mir los ist. Ich bin fertig mit dir, Mirelle. Hörst du? Es ist aus!»
Mirelle nahm dies nicht so auf, wie er erwartet hatte. Sie sah ihn eine oder zwei Minuten lang an, dann lächelte sie sanft.
«Also, was für ein Kind! Du bist wütend — du bist verletzt, und all das nur, weil ich praktisch denke. Habe ich dir denn nicht immer gesagt, dass ich dich anbete?»
Sie beugte sich vor.
«Aber ich kenne dich, Derek. Sieh mich an — sieh mal, ich bin’s, Mirelle, die hier mit dir redet. Du kannst nicht ohne sie leben, das weißt du auch. Ich habe dich vorher geliebt, jetzt werde ich dich hundertmal mehr lieben. Ich werde dir ein wunderschönes Leben bereiten — ganz wunderschön. Keine andere ist wie Mirelle.»
Ihre Augen brannten auf ihn nieder. Sie sah ihn erblassen und Luft holen, und sie lächelte befriedigt vor sich hin. Sie kannte ihren Zauber, und ihre Macht über Männer.