«Das wäre also abgemacht», sagte sie leise und lachte. «Und jetzt, Derek, lädst du mich zum Essen ein?»
«Nein.»
Er holte scharf Luft und stand auf.
«Es tut mir Leid, aber ich habe es dir gesagt — ich habe eine Verabredung.»
«Du isst mit jemand anderem? Bah! Das glaube ich dir nicht.»
«Ich esse mit der Dame da drüben.»
Brüsk ging er quer durch den Raum zu einer Dame in Weiß, die eben die Stufen heraufgekommen war. Ein wenig atemlos sprach er sie an.
«Miss Grey, möchten Sie — darf ich Sie zum Essen einladen? Wir haben uns bei Lady Tamplin getroffen, wenn Sie sich erinnern mögen.»
Katherine sah ihn ein paar Momente mit ihren nachdenklichen grauen Augen an, die so viel sagten.
«Danke sehr», sagte sie nach einer kurzen Pause, «ich nehme Ihre Einladung gern an.»
Neunzehntes Kapitel
Der Comte de la Roche hatte soeben sein dejeuner beendet, das aus einer omelette fines herbes, einem entrecote Bearnaise und einem Savarin au Rhum bestanden hatte. Er tupfte mit der Serviette geziert seinen feinen schwarzen Schnurrbart ab und erhob sich von der Tafel. Als er den Salon der Villa durchquerte, registrierte er mit Wohlgefallen die wenigen objets d’art, die achtlos im Raum verteilt waren: die Louis-XV.-Schnupftabaksdose, den Satinschuh, den Marie Antoinette getragen hatte, und die übrigen historischen Kleinigkeiten, die zur mise en scene des Comte gehörten. Seinen schönen Besucherinnen pflegte er zu erzählen, es handle sich um Familienerbstücke. Er trat auf die Terrasse und sah zerstreut auf das blaue Meer hinaus. Er war nicht in der Stimmung, die Schönheit der Landschaft zu würdigen. Man hatte seinen ausgereiften Plan roh zunichte gemacht, und er musste alles wieder von neuem austüfteln. In einem Korbsessel ausgestreckt, eine Zigarette zwischen den weißen Fingern, versank der Comte in tiefes Grübeln.
Hippolyte, sein Diener, brachte den Kaffee und einige Flaschen zur Wahl. Der Comte entschied sich für einen sehr feinen alten Brandy.
Als der Diener sich eben entfernen wollte, hielt der Comte ihn durch eine knappe Geste zurück. Hippolyte stand ehrerbietig stramm. Er hatte kein besonders einnehmendes Gesicht, aber seine korrekte Haltung trug viel dazu bei, diese Tatsache geschickt zu verbergen. Er war nun das Bild ehrerbietiger Aufmerksamkeit.
«Es ist möglich», sagte der Comte, «dass in den nächsten Tagen verschiedene Fremde ins Haus kommen. Sie werden versuchen, mit Ihnen und Marie Bekanntschaft zu schließen. Wahrscheinlich werden sie Ihnen einiges an Fragen über mich stellen.»
«Ja, Monsieur le Comte.»
«Vielleicht ist das bereits geschehen?»
«Nein, Monsieur le Comte.»
«Es sind keine Fremden hier gewesen? Sind Sie sicher?»
«Es war niemand hier, Monsieur le Comte.»
«Das ist gut», sagte der Comte trocken, «aber sie werden kommen — dessen bin ich sicher. Sie werden Fragen stellen.»
Hippolyte sah seinen Herrn mit verständiger Erwartung an.
Der Comte sprach langsam, ohne Hippolyte anzusehen.
«Wie Sie wissen, bin ich hier am vorigen Dienstag morgens angekommen. Sollte die Polizei oder sonst jemand Sie fragen, dann vergessen Sie das nicht. Ich bin Dienstag, den Vierzehnten angekommen — nicht Mittwoch, dem Fünfzehnten. Verstehen Sie?»
«Vollkommen, Monsieur le Comte.»
«In einer Affäre, von der eine Dame betroffen ist, muss man immer diskret sein. Ich bin überzeugt, Hippolyte, dass Sie diskret sein können.»
«Ich kann diskret sein, Monsieur le Comte.»
«Und Marie?»
«Marie ebenfalls. Ich verbürge mich für sie.»
«Dann ist es gut», murmelte der Comte.
Als Hippolyte gegangen war, schlürfte der Comte nachdenklich seinen schwarzen Kaffee. Zuweilen runzelte er die Stirn, einmal schüttelte er ein wenig den Kopf, zweimal nickte er. Inmitten dieser Erwägungen erschien Hippolyte abermals.
«Eine Dame, Monsieur.»
«Eine Dame?»
Der Comte war überrascht. Nicht, dass Damenbesuch etwas Ungewöhnliches in der Villa Marina gewesen wäre, aber in diesem Moment hatte der Comte keine Ahnung, wer die Dame wohl sein mochte.
«Es ist, glaube ich, keine Dame, die Monsieur bereits kennt», murmelte der Diener hilfsbereit.
Der Comte zeigte sich nun stärker interessiert.
«Bringen Sie sie hierher, Hippolyte», befahl er.
Einen Augenblick später trat eine herrliche Erscheinung in Orange und Schwarz auf die Terrasse, und mit ihr schwebte ein starker Duft exotischer Blüten herein.
«Monsieur le Comte de la Roche?»
«Zu Ihren Diensten, Mademoiselle», sagte der Comte mit einer Verbeugung.
«Mein Name ist Mirelle. Vielleicht haben Sie schon von mir gehört?»
«Ah, selbstverständlich, Mademoiselle, wer wäre denn nicht hingerissen von Mademoiselle Mirelles Tanzkunst? Exquisit!»
Die Tänzerin quittierte das Kompliment mit einem kurzen, mechanischen Lächeln.
«Ich überfalle Sie ganz formlos», begann sie.
«Aber nehmen Sie doch Platz, Mademoiselle», rief der Comte; er holte einen Sessel herbei.
Unter seiner Maske von Galanterie beobachtete er sie scharf. Es gab nur wenig, was der Comte nicht über Frauen wusste. Allerdings beliefen sich seine Erfahrungen weniger auf Damen der Klasse von Mirelle, die selbst zu einer Art Raubtiergattung zählten. Er und die Tänzerin waren gewissermaßen aus dem gleichen Holz geschnitzt. Seine Künste, das wusste der Comte sehr wohl, wären an Mirelle vergeudet. Sie war eine Pariserin, und eine raffinierte dazu. Eines jedoch erkannte der Comte unfehlbar, er saß einer sehr zornigen Frau gegenüber, und der Com-te wusste sehr wohl, dass eine zornige Frau immer mehr sagt, als klug wäre, und dass zuweilen ein beherrschter Gentleman Nutzen aus einer solchen Frau ziehen kann.
«Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Mademoiselle, meine bescheidene Unterkunft in dieser Weise zu ehren.»
«Wir haben in Paris gemeinsame Bekannte», sagte Mi-relle, «die mir von Ihnen erzählt haben, aber ich bin heute aus einem anderen Grund zu Ihnen gekommen. Seit ich in Nizza bin, habe ich einiges über Sie gehört — in einem anderen Zusammenhang, wissen Sie.»
«Ah?», sagte der Comte sanft.
«Ich will sehr direkt mit Ihnen sein», fuhr die Tänzerin fort, «aber glauben Sie mir, Ihr Wohl liegt mir am Herzen. Man erzählt sich in Nizza, Monsieur le Comte, dass Sie der Mörder dieser englischen Lady seien, Madame Kettering.»
«Ich! — Madame Ketterings Mörder? Bah, wie absurd!»
Er sprach eher gelangweilt als empört, da er wusste, dass das sie zum Weitersprechen provozieren würde.
«Aber ja», beharrte sie, «es ist so, wie ich es Ihnen sage.»
«Die Leute tratschen eben gern», murmelte der Comte ungerührt. «Es wäre unter meiner Würde, solche wilden Anschuldigungen ernst zu nehmen.»
«Sie haben es nicht richtig verstanden.» Mirelle beugte sich vor, ihre schwarzen Augen funkelten. «Es geht nicht um müßiges Geschwätz auf der Straße. Es geht um die Polizei.»
«Die Polizei — ah?»
Der Comte setzte sich auf, nun wieder in voller Aufmerksamkeit.
Mirelle nickte mehrmals nachdrücklich. «Ja, ja. Verstehen Sie — ich habe überall Freunde. Der Präfekt selbst.» Sie beendete den Satz durch ein beredtes Schulterzucken.
«Wer wäre einer schönen Frau gegenüber nicht indiskret?», murmelte der Comte höflich.
«Die Polizei glaubt, dass Sie Madame Kettering umgebracht haben. Aber die Polizei irrt sich.»
«Natürlich irrt sie sich», stimmte der Comte gelassen zu.
«Das sagen Sie, aber die Wahrheit kennen Sie nicht. Ich dagegen kenne sie.»