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«Wenn ich das alles geahnt hätte», stöhnte er. «Mein Gott, hätte ich doch bloß nie dieses belgische Frettchen darauf angesetzt, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Ruths Mörder finden — das war alles, woran ich gedacht habe.»

«Wäre es Ihnen lieber, wenn Ihr Schwiegersohn davonkäme?»

Van Aldin seufzte.

«Ich hätte es vorgezogen, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen.»

«Ich fürchte, das wäre nicht besonders klug gewesen, Sir.» «Trotzdem — sind Sie sicher, dass der Kerl mich sprechen will?»

«Ja, Mr Van Aldin. Er tut so, als wäre es sehr dringend.»

«Dann muss es wohl sein. Von mir aus kann er heute Vormittag mitkommen.»

Ein frischer und liebenswürdiger Poirot wurde hereingeführt. Einen Mangel an Herzlichkeit im Verhalten des Millionärs schien er nicht zu spüren und er plauderte fröhlich drauflos. Er sei in London, erklärte er, um seinen Arzt zu konsultieren. Er nannte den Namen eines bedeutenden Chirurgen.

«Nein, nein, pas la guerre — ein Souvenir aus meiner Zeit bei der Polizei, die Kugel eines schurkischen Apachen.»

Er berührte seine linke Schulter und zuckte ein wenig theatralisch zusammen.

«Ich habe Sie immer für einen glücklichen Mann gehalten, Monsieur Van Aldin; Sie entsprechen so gar nicht unseren herkömmlichen Vorstellungen von amerikanischen Millionären, Märtyrern des Magenleidens.»

«Ich bin ziemlich zäh», sagte Van Aldin. «Ich führe ein ganz einfaches Leben, wissen Sie, schlichte Kost, und davon nicht zu viel.»

«Sie haben inzwischen Miss Grey wieder gesehen, nicht wahr?», erkundigte sich Poirot, wobei er sich unschuldig an den Sekretär wandte.

«Ich — ja, ein- oder zweimal», sagte Knighton.

Er wurde ein wenig rot, und Van Aldin rief erstaunt:

«Seltsam, dass Sie mir gar nichts davon gesagt haben, Knighton.»

«Ich dachte, es würde Sie nicht interessieren, Sir.»

«Ich mag das Mädchen sehr gern», sagte Van Aldin.

«Es ist ein tausendfacher Jammer, dass sie sich wieder in St. Mary Mead vergräbt», sagte Poirot.

«Es ist sehr nett von ihr», sagte Knighton hitzig. «Es gibt wohl nur wenige, die sich da vergraben würden, um für eine alte zänkische Frau zu sorgen, die keinerlei Ansprüche gegen sie hat.»

«Ich bin ja schon still», sagte Poirot begütigend, und seine Augen zwinkerten ein wenig. «Trotzdem sage ich, es ist ein Jammer. Und jetzt, Messieurs, lassen Sie uns zum Geschäft kommen.»

Die beiden anderen sahen ihn ein wenig überrascht an.

«Sie sollten über das, was ich Ihnen sagen will, nicht beunruhigt oder besorgt sein. Nehmen wir an, Monsieur Van Aldin, dass Derek Kettering seine Frau doch nicht ermordet hätte?»

«Was?»

Beide starrten ihn völlig verblüfft an.

«Ich sagte, angenommen, Monsieur Kettering hätte seine Frau nicht umgebracht?»

«Sind Sie wahnsinnig, Poirot?», rief Van Aldin.

«Nein», sagte Poirot, «ich bin nicht wahnsinnig. Ein bisschen exzentrisch vielleicht — das behaupten jedenfalls gewisse Leute. Aber was meinen Beruf angeht, bin ich durchaus, wie man sagt, <ganz da>. Ich frage Sie, Monsieur Van Aldin, ob Sie traurig oder froh wären, wenn das, was ich Ihnen gesagt habe, sich als die Wahrheit herausstellen sollte?»

Van Aldin starrte ihn an.

«Natürlich wäre ich froh», sagte er schließlich. «Ist das eine Übung im Mutmaßen, Monsieur Poirot, oder stehen Fakten dahinter?»

Poirot betrachtete die Decke.

«Es gibt eine geringe Chance», sagte er ruhig, «dass es schließlich doch der Comte de la Roche war. Jedenfalls ist es mir gelungen, sein Alibi zu zerstören.» «Wie haben Sie das geschafft?»

Poirot zuckte bescheiden mit den Schultern.

«Ich habe so meine Methoden. Ein wenig Taktgefühl, ein wenig Gerissenheit — und schon ist es erledigt.»

«Aber die Rubine», sagte Van Aldin, «diese Rubine, die der Comte hatte, waren falsch.»

«Und er hätte das Verbrechen nur wegen der Rubine begangen. Aber Sie übersehen einen Punkt, Monsieur Van Aldin. Was die Rubine angeht, ist ihm vielleicht jemand zuvor gekommen.»

«Aber das ist ja eine ganz neue Theorie», rief Knighton.

«Glauben Sie diesen ganzen Ringelpiez wirklich, Monsieur Poirot?», fragte der Millionär.

«Bewiesen ist es nicht», sagte Poirot ruhig. «Bis jetzt ist es nur eine Theorie, aber ich sage Ihnen, Monsieur Van Aldin, die Fakten sind der Erforschung wert. Sie müssen mit mir nach Südfrankreich kommen und die Sache an Ort und Stelle untersuchen.»

«Halten Sie das wirklich für notwendig — dass ich mitkomme?»

«Ich dachte, es wäre das, was Sie selbst wünschen», sagte Poirot.

In seiner Stimme lag ein Unterton des Tadels, der seine Wirkung auf den Millionär nicht verfehlte.

«Ja, ja, natürlich», sagte er. «Wann wollen Sie abreisen, Monsieur Poirot?»

«Sie haben ziemlich dringende Geschäfte vor sich, Sir», murmelte Knighton.

Aber der Millionär hatte sich bereits entschlossen und schob die Einwände beiseite.

«Ich glaube, dieses Geschäft geht vor», sagte er. «Also abgemacht, Monsieur Poirot, morgen. Mit welchem Zug?»

«Wir fahren, finde ich, mit dem Blauen Express», sagte Poirot, und er lächelte.

Vierunddreißigstes Kapitel

Wieder im Blauen Express

Der «Zug der Millionäre», wie er manchmal genannt wird, raste in scheinbar riskantem Tempo durch eine Kurve. Van Aldin, Knighton und Poirot saßen schweigend beieinander. Knighton und Van Aldin hatten zwei miteinander verbundene Abteile, wie Ruth Kettering und ihre Zofe auf der verhängnisvollen Fahrt. Poirots Abteil lag am andern Ende des Wagens.

Die Fahrt war schmerzlich für Van Aldin, da sie in ihm die schlimmsten Erinnerungen weckte. Poirot und Knighton unterhielten sich bisweilen leise, um ihn nicht zu stören.

Als der Zug jedoch seine langsame Fahrt um die ceinture beendet hatte und den Gare de Lyon erreichte, wurde Poirot plötzlich überaus lebendig. Van Aldin begriff, dass es ein Teilziel der Zugreise gewesen war, das Verbrechen rekonstruieren zu können. Poirot selbst spielte sämtliche Rollen. Er war abwechselnd die Zofe, eilig in ihr Abteil geschickt, dann Mrs Kettering, die überrascht und ein wenig besorgt ihren Gatten erkennt, und Derek Kettering, der entdeckt, dass seine Frau mit dem gleichen Zug reist. Er probierte verschiedene Dinge aus, suchte etwa nach der besten Möglichkeit, sich im zweiten Abteil zu verstecken.

Plötzlich schien ihm eine Idee zu kommen. Er packte Van Aldin bei der Hand.

«Mon Dieu, daran habe ich ja gar nicht gedacht! Wir müssen die Reise in Paris unterbrechen. Schnell, schnell, steigen wir sofort aus.»

Er schnappte sich seinen Koffer und sprang aus dem Zug. Verstört, aber gehorsam folgten ihm Van Aldin und Knighton. Van Aldin, dessen Meinung über Poirots Fähigkeiten gerade erst bestärkt worden war, beschlichen Zweifel. An der Bahnsteigsperre hielt man sie auf. Sie hatten ihre Fahrkarten der Obhut des Schaffners überlassen, daran hatte in der Eile keiner von ihnen gedacht.

Poirots Erklärungen kamen schnell, flüssig und leidenschaftlich, bewirkten aber nichts bei dem Beamten.

«Schluss mit dem Unfug», sagte Van Aldin brüsk. «Ich nehme an, Sie haben es eilig, Monsieur Poirot. Zahlen Sie doch um Gottes willen die Karten für die Fahrt von Calais hierher und lassen Sie uns weitermachen mit dem, was Sie sich in den Kopf gesetzt haben.»

Aber Poirots Redestrom war plötzlich versiegt, und er blieb wie versteinert stehen. Sein Arm, in einer leidenschaftlichen Gebärde gereckt, wirkte plötzlich wie gelähmt.

«Ich bin ein Trottel», sagte er schlicht. «Ma foi, ich fange an, den Kopf zu verlieren. Kommen Sie, meine Herren, wir setzen unsere Reise ruhig fort. Wenn wir Glück haben, ist der Zug noch nicht weg.»