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Der Antiquar verzichtete auf eine Gebärde des Triumphs. Er nickte nur, kühl und gelassen, als habe er soeben eine lästige Formalität erledigt.

»Daß ich zu diesem Beruf gekommen bin, war purer Zufall«, begann er zu erzählen. »Eines Tages stand ich ohne einen Heller in der Tasche da, mit nichts als einer Bibliothek, die mir ein verstorbener Großonkel als einzige Erbschaft hinterlassen hatte. Rund zweitausend Bände, von denen höchstens hundert etwas wert waren. Aber zu diesen gehörte eine Erstausgabe des Quijote, zwei Psalter aus dem 13. Jahrhundert und ein Exemplar von Geoffroy Torys Champfleury, von dem insgesamt nur vier Exemplare bekannt sind. Wie finden Sie das?«

»Sie hatten unverschämtes Glück.« »Das können Sie laut sagen«, erwiderte Varo Borja. Er erzählte ohne die Selbstgefälligkeit, die viele Erfolgverwöhnte zur Schau tragen, wenn sie von sich sprechen. »Ich hatte damals keine Ahnung von den Sammlern seltener Bücher, aber das Wesentliche begriff ich sofort: Es ging um Leute, die bereit waren, für ein rares Produkt sehr viel Geld hinzublättern. Und ich besaß gleich mehrere von diesen raren Produkten . So kam es, daß ich Begriffe kennenlernte, die ich vorher noch nie gehört hatte, wie Kolophon, Fliegenkopf, goldener Schnitt oder Leporello. Und während ich mich langsam für dieses Gewerbe zu begeistern begann, habe ich eine Entdeckung gemacht: Es gibt Bücher zum Verkaufen und Bücher zum Aufbewahren. Was letztere angeht, so tritt man der Bibliophilie bei wie einer Religion: fürs ganze Leben.«

»Sehr ergreifend. Aber jetzt sagen Sie mir, was ich und die Neun Pforten mit Ihrem ewigen Gelübde zu tun haben.«

»Sie haben mich vorhin gefragt, was passiert, wenn sich herausstellen sollte, daß mein Exemplar gefälscht ist . Nun, eins kann ich Ihnen jetzt schon sagen, es ist gefälscht.«

»Woher wissen Sie das?«

»Das weiß ich eben, und zwar mit absoluter Gewißheit.«

Corso verzog den Mund zu einer Grimasse, die durchblicken ließ, was er von absoluten Gewißheiten hielt.

»Aber in der Bibliografia Universal von Mateu und im Ter-ral-Coy-Katalog ist es als authentisch verzeichnet.«

»Ja«, gab Varo Borja zu, »wenn Mateu auch ein kleiner Fehler unterlaufen ist. Er spricht von acht Bildtafeln, obwohl das Buch in Wirklichkeit neun enthält . Aber formale Echtheit bedeutet nicht viel. Den Bibliographien zufolge sind auch das Exemplar von Fargas und das von Ungern authentisch.«

»Vielleicht sind sie das ja auch. Alle drei.«

Der Antiquar verneinte mit dem Kopf.

»Das ist unmöglich. Die Prozeßakten des Buchdruckers Tor-chia lassen keinen Zweifel offen. Nur ein Exemplar ist gerettet worden.« Er lächelte geheimnisvoll. »Außerdem verfüge ich über weitere Beweise.«

»Zum Beispiel?«

»Das fällt nicht in Ihr Ressort.«

»Wozu brauchen Sie mich dann überhaupt?«

Varo Borja schob seinen Sessel zurück und stand auf.

»Folgen Sie mir.«

»Ich habe Ihnen doch schon gesagt«, Corso schüttelte den Kopf, »daß mich diese Geschichte nicht interessiert.«

»Lügen Sie nicht. Sie sterben ja vor Neugier.«

Er packte mit Daumen und Zeigefinger den Scheck und ließ ihn in einem Täschchen seiner Weste verschwinden.

Dann führte er Corso über eine Wendeltreppe ins obere Stockwerk. Das Büro des Antiquars befand sich im hinteren Teil seines Hauses, einem mittelalterlichen Palacio im alten Stadtkern, für dessen Erwerb und Restaurierung Borja ein Vermögen ausgegeben haben mußte. Über einen Korridor, der mit dem Haupteingang und dem Vestibül in Verbindung stand, geleitete er Corso zu einer Tür, die er per Tastendruck mit einer geheimen Zahlenkombination öffnete. Sie traten in ein großes Zimmer mit schwarzem Marmorfußboden, Balkendecke und alten kunstgeschmiedeten Gittern vor den Fenstern. Es gab auch einen Schreibtisch, ein paar Ledersessel und einen großen Kamin aus Stein. Alle Wände waren mit Bücherschränken und Stichen in schönen Rahmen bedeckt.

»Ein hübsches Plätzchen«, meinte er anerkennend - er sah dieses Zimmer zum erstenmal. »Ich dachte immer, Sie würden Ihre Bücher im Keller lagern.«

»Die hier gehören alle mir; keines von ihnen ist käuflich. Es gibt Sammler, die sich auf Ritterromane oder höfische Literatur spezialisieren. Leute, die Quijotes oder unbeschnittenen Ausgaben hinterherjagen . Die Bücher, die Sie hier sehen, haben alle denselben Protagonisten: Luzifer.«

»Darf ich sie mir ein bißchen genauer ansehen?«

»Deshalb habe ich Sie ja hierher gebracht.«

Corso trat ein paar Schritte vor. Die Bücher hatten zeitgenössische Einbände, angefangen von den lederbezogenen Holzdeckeln der Inkunabeln bis hin zu den mit Rankenwerk verzierten Maroquineinbänden. Der Marmorboden quietschte unter seinen ungeputzten Schuhen, während er zu einem der Bücherschränke ging und sich niederbeugte, um seinen Inhalt zu betrachten: De spectris et apparitionibus von Johannes Rivius. Summa diabolica von Benedictus Casianus.

La haine de Satan von Pierre Crespet. Die Steganografia des Abtes Trithemius. De consummatione saeculi von Pontianus. Wertvolle und sehr rare Bücher, die Corso zum größten Teil nur aus bibliographischen Verweisen kannte.

»Es gibt nichts Schöneres, stimmt’s?« fragte Varo Borja, der Corso aufmerksam beobachtete. »Nichts wie diesen zarten Schimmer: Goldprägungen auf Leder hinter einer Glasscheibe .ganz zu schweigen von den Schätzen, die sie in ihrem Inneren bergen: Jahrhunderte der Forschung und Weisheit. Antworten auf die Geheimnisse des Universums und der menschlichen Seele.« Er hob ein wenig die Arme, um sie dann auf seine Hüften fallen zu lassen, und gab es auf, seinen Besitzerstolz in Worte zu fassen. »Ich kenne Leute, die würden für so eine Sammlung einen Mord begehen.«

Corso nickte, ohne seinen Blick von den Büchern zu nehmen. »Sie, zum Beispiel«, sagte er. »Wenn auch nicht persönlich. Sie würden es so einrichten, daß andere für Sie morden.«

Varo Borja stieß ein verächtliches Lachen aus.

»Das gehört zu den Vorteilen des Reichseins: Man kann Schergen anheuern und die Drecksarbeit von ihnen erledigen lassen. So bleibt man selbst ein Unschuldsengel.«

Corso sah den Antiquar an.

»Das ist auch ein Standpunkt«, gab er nach einem Augenblick des Schweigens zu, währenddessen er wirklich nachzudenken schien. »Aber mir sind die Typen, die sich nie die Hände schmutzig machen, noch mehr zuwider als die anderen.«

»Was Ihnen zuwider ist, interessiert mich nicht. Kommen wir also zu den ernsten Dingen.«

Varo Borja trat an die Bücherschränke heran. Ein jeder von ihnen mochte um die hundert Bände enthalten.

»Ars Diavoli ...« Er öffnete den nächstgelegenen, um mit den Fingern sanft, beinahe streichelnd über die Buchrücken zu fahren. »Sie werden nirgend woanders so viele versammelt finden. Das sind die seltensten, die erlesensten Exemplare. Es hat mich Jahre gekostet, diese Sammlung zusammenzutragen. Aber es fehlte das Meisterwerk.«

Er zog eines der Bücher heraus, einen Folianten mit schwarzem venezianischem Ledereinband, Rücken mit fünf Bünden, außen kein Titel, aber ein goldenes Pentagramm auf dem Vorderdeckel. Corso nahm es in die Hand und öffnete es mit größter Behutsamkeit. Auf dem ersten gedruckten Blatt, der ursprünglichen Titelseite, stand auf Lateinisch; DE UMBRARUM REGNI NOVEM PORTIS - Buch von den neun Pforten ins Reich der Schatten. Es folgten Druckermarke, Ort, Name und Datum: Venetiae, apud Aristidem Torchiam. M.DC.LX. VI. Cum superiorum privilegio veniaque. Mit Privileg und Genehmigung der Obrigkeiten.

Varo Borja wartete gespannt auf Corsos Reaktion.

»Einen Bibliophilen erkennt man daran, wie er ein Buch anfaßt«, sagte er.