»Mehr oder weniger. Im Augenblick ist das die einzige Bildunterschrift, die wir sicher deuten können. Sie kommt in beinahe identischer Form bei Roger Bacon vor, der ein großer Kenner der Dämonologie, Kryptographie und Magie war. Bacon behauptete, ein Delomelanicon mit dem Schlüssel schrecklicher Geheimnisse zu besitzen, das vorher dem König Salomon gehört habe. Dieses Werk, das aus Pergamentrollen mit Abbildungen bestand, ist im Jahr 1350 verbrannt worden, auf persönliche Anweisung von Papst InnozenzVL, der erklärte: Es enthält eine Methode zur Beschwörung von Dämonen. Drei Jahrhunderte später beschließt Aristide Torchia, es mit den ursprünglichen Abbildungen in Venedig zu drucken.«
»Nein. Die Bildtafeln sind zu perfekt«, wandte Corso ein.
»Das können keine originalgetreuen Kopien sein, sonst wäre der Stil altertümlicher.«
»Einverstanden. Torchia hat sie wahrscheinlich etwas dem Stil der Zeit angepaßt.«
Auf der Bildtafel mit der Nummer »III« war eine Brücke dargestellt, die über einen Fluß führte und auf beiden Seiten mit turmförmig befestigten Toren versehen war. Corso hob den Blick und sah, daß Varo Borja ein geheimnisvolles Lächeln aufgesetzt hatte, wie ein Alchimist, der genau weiß, was in seinem Reagenzglas brodelt.
»Und noch ein Bezugspunkt, der letzte«, sagte der Antiquar: »Giordano Bruno, Märtyrer des Rationalismus, Mathematiker und Verfechter der Theorie, daß die Erde sich um die Sonne dreht ...« Borja machte eine wegwerfende Handbewegung, als wäre dies alles von sekundärer Bedeutung. »Aber das ist nur ein Teil seines einundsechzig Bände umfassenden Werkes, in dem die Magie einen wichtigen Platz einnimmt. Und passen Sie auf: Bruno bezieht sich ausdrücklich auf das Delomelanicon, indem er sogar die griechischen Wörter delo und melas benützt, und fährt dann fort: >Auf dem Weg der Männer, die nach Wissen streben, gibt es neun geheime Pforten.< Danach erklärt er die Methoden, mit denen man Licht in die Dunkelheit bringt. Sic Luceat Lux, schreibt er, und das ist zufällig dasselbe Motto« - er zeigte Corso das Zeichen des Buchdruckers: ein Baum, in den der Blitz einschlägt, eine Schlange und daneben ein Motto -, »das auch Aristide Torchia im Frontispiz der Neun Pforten verwendet. Wie finden Sie das?«
»Ganz interessant. Aber das sagt überhaupt nichts. Aus einem Text kann man alles mögliche herauslesen, besonders wenn er alt ist und viele Mehrdeutigkeiten enthält.«
»Mehrdeutigkeiten, die Vorsichtsmaßnahmen sein können. Obwohl Giordano Bruno die goldene Regel des Überlebens außer acht gelassen hat: Scire, tacere. Wissen und schweigen. Offensichtlich wußte er einiges, aber er konnte den Mund nicht halten. Aber es gibt noch viel mehr Übereinstimmungen: Giordano Bruno wird in Venedig verhaftet, zum unbekehrbaren Ketzer erklärt und im Februar des Jahres 1600 in Rom auf dem Campo dei Fiori bei lebendigem Leibe verbrannt. Dieselben Begleitumstände, dieselben Orte, dieselben Daten, die siebenundsechzig Jahre später mit der Hinrichtung des Buchdruckers Aristide Torchia einhergingen: in Venedig verhaftet, in Rom gefoltert und im Februar 1667 auf dem Campo dei Fiori in Rom verbrannt. Und achten Sie auf dieses Detaiclass="underline" Damals wurden kaum noch Leute verbrannt, aber ihn hat man angesteckt.« »Ich bin beeindruckt«, sagte Corso ironisch.
Varo Borja schnalzte mißbilligend mit der Zunge.
»Manchmal frage ich mich, ob Sie überhaupt in der Lage sind, an etwas zu glauben.«
Corso tat, als denke er nach, und zuckte dann mit der Schulter.
»Früher habe ich an gewisse Dinge geglaubt. Aber damals war ich jung und skrupellos. Jetzt bin ich fünfundvierzig, also alt und skrupellos.«
»Das bin ich auch. Trotzdem gibt es Dinge, an die ich glaube. Dinge, die mein Herz höher schlagen lassen.«
»Wie das Geld?«
»Machen Sie sich nicht lustig. Das Geld ist der Schlüssel, der die dunklen Türen des Menschen öffnet. Damit kaufe ich zum Beispiel Sie. Oder das einzige, was ich auf der Welt achte: diese Bücher.« Er ging ein paar Schritte an den vollgestopften Bücherschränken entlang. »Sie liefern uns ein getreues Abbild der Menschen, von denen sie geschrieben wurden. Sie spiegeln ihre Sorgen, ihre Geheimnisse, ihre Wünsche, ihr Leben, ihren Tod. Ich betrachte sie als lebende Materie: Man muß wissen, wie man ihnen Nahrung gibt und Schutz.«
»Und wie man sie benützt.«
»Manchmal.«
»Und das hier funktioniert nicht.«
»Nein, es funktioniert nicht.«
»Sie haben es versucht.«
Corsos Äußerung klang nicht nach einer Frage, sondern nach einer Feststellung. Varo Borja warf ihm einen wütenden Blick zu.
»Reden Sie keinen Quatsch. Sagen wir, daß ich die Gewißheit habe, daß es gefälscht ist, und damit basta. Aus diesem Grund möchte ich es mit den anderen Exemplaren vergleichen.«
»Und ich bin nach wie vor der Meinung, daß es nicht unbedingt gefälscht zu sein braucht. Viele Bücher weisen Unterschiede auf, selbst wenn sie aus derselben Auflage stammen .
In Wirklichkeit kann es gar keine zwei Exemplare geben, die miteinander identisch wären, da bereits ihre Geburt zu kleinen Abweichungen beiträgt. Und danach lebt jedes Buch sein eigenes Leben: Bestimmte Seiten fehlen ihm, andere werden hinzugefügt oder ausgetauscht, es wird gebunden. Wenn genügend Jahre vergehen, sehen sich zwei Bücher, die auf derselben Presse gedruckt wurden, unter Umständen kaum noch ähnlich. Das könnte auch mit diesem der Fall sein.«
»Finden Sie das heraus. Stellen Sie Nachforschungen an, als gehe es um ein Verbrechen. Heften Sie sich den Neun Pforten auf die Fersen. Nehmen Sie jede Seite unter die Lupe, jede Abbildung, das Papier, den Einband . Verfolgen Sie die Geschichte meines Exemplars bis zu seinen Ursprüngen zurück. Und dann machen Sie dasselbe in Sintra und Paris mit den anderen beiden.«
»Es wäre mir eine große Hilfe, wenn Sie mir verraten würden, wie Sie darauf gekommen sind, daß Ihr Buch gefälscht ist.«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Vertrauen Sie auf meine Intuition.«
»Ihre Intuition wird Sie viel Geld kosten.«
»Beschränken Sie sich darauf, es auszugeben.«
Borja zog den Scheck aus seiner Westentasche und drückte ihn Corso in die Hand. Der drehte ihn unentschlossen zwischen den Fingern herum.
»Warum bezahlen Sie mich im voraus? Das haben Sie bisher nie getan.«
»Sie werden viele Ausgaben haben. Und das hier gebe ich Ihnen, damit Sie anfangen, sich zu rühren.« Er reichte ihm ein dickes, gebundenes Dossier. »Hier finden Sie alles, was ich über das Buch in Erfahrung bringen konnte. Es könnte Ihnen nützlich sein.«
Corso sah immer noch den Scheck an.
»Das ist zuviel für einen Vorschuß.«
»Möglich, daß Sie gewisse Komplikationen haben .«
»Was Sie nicht sagen.«
Nach seiner sarkastischen Bemerkung räusperte sich der Antiquar. Endlich kamen sie zum Kern der Sache.
»Wenn alle drei Exemplare gefälscht oder unvollständig sind«, fuhr Varo Borja fort, »ist Ihr Auftrag erledigt, und wir legen die ganze Sache zu den Akten .« Er machte eine Pause, um sich mit der Hand über die gebräunte Glatze zu fahren, und lächelte Corso etwas verlegen an. »Wenn sich jedoch herausstellt, daß eins der Bücher das echte ist, bekommen Sie noch mehr Geld. Denn in diesem Fall möchte ich es haben, egal wie, ohne Ausgaben oder Mittel zu scheuen.«
»Sie scherzen, oder?«
»Sehe ich so aus, Corso?«
»Das ist illegal.«
»Sie haben auch vorher schon illegale Sachen gemacht.«
»Aber nicht von diesem Kaliber.«
»Weil keiner Ihnen bezahlt hat, was ich Ihnen bezahlen werde.«
»Was bieten Sie mir als Garantie?«
»Ich erlaube Ihnen, dieses Buch hier mitzunehmen, auch weil Sie es für Ihre Arbeit brauchen ... Ist Ihnen das genug Garantie?«