»Weißt du was, Flavio?« sagte er endlich und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Manchmal habe ich den Eindruck, als hätte ich diesen Roman schon mal gelesen.«
La Ponte runzelte die Stirn.
»Sie will den Vin d’Anjou zurückhaben«, erklärte er seinem Freund. »So, wie er ist, ohne Gutachten oder sonst was .« Er trank einen Schluck, bevor er Corso unsicher anlächelte. »Komisch, nicht? Dieses plötzliche Interesse.«
»Was hast du ihr gesagt?«
Der Buchhändler zog die Augenbrauen hoch.
»Daß die Sache leider nicht von mir abhängt. Daß du das Manuskript hast. Und daß ich dir einen Vertrag unterschrieben habe.«
»Das ist gelogen. Wir haben gar nichts unterschrieben.«
»Klar ist das gelogen. Aber so mußt du die Kastanien aus dem Feuer holen, wenn’s brenzlig wird«, grinste La Ponte. »Angebote kann ich ja trotzdem entgegennehmen: An einem der nächsten Abende gehe ich mit der Witwe zum Essen, um die Angelegenheit noch einmal zu besprechen. Wie findest du das? Flavio, der mutige Harpunier.«
»Harpunier? Ein dreckiger Bastard und Verräter bist du!«
»Ja. Dazu hat mich England nun einmal gemacht, wie dieser Scheinheilige von Graham Greene sagen würde. In der Schule wurde ich von allen nur >die Petze< genannt. Habe ich dir eigentlich nie erzählt, wie ich durch Mathe gekommen bin?« Er zog erneut die Augenbrauen hoch, als schwelge er in wehmütigen Erinnerungen. »Ich bin nun mal zum Verräter geboren.«
»Dann paß mit Liana Taillefer aber auf.«
»Warum?« La Ponte betrachtete sich im Spiegel der Bar und schnitt eine anzügliche Grimasse. »Die Frau gefällt mir schon, solange ich sie kenne. Sie hat unglaubliche Klasse.«
»Ja«, gab Corso zu. »Mittelklasse.«
»Also, hör mal ... Was hast du gegen sie? Ich finde sie jedenfalls toll.«
»Bis sie die Katze aus dem Sack läßt.«
»Ich liebe Katzen. Vor allem wenn ihre Besitzerinnen blond und hübsch sind.«
Corso klopfte ihm mit einem Finger auf den Knoten seiner Krawatte.
»Paß mal auf, du Idiot ... In Schauerromanen stirbt immer der Freund. Begreifst du den Syllogismus? Das hier ist ein Schauerroman, und du bist mein Freund« - er unterstrich die erdrückende Logik seiner Worte mit einem vielsagenden Augenzwinkern. »Es spricht also alles für dich.«
Aber La Ponte war so vom Gedanken an die Witwe beflügelt, daß er sich nicht einschüchtern ließ.
»Komm schon. Ich habe in meinem Leben noch nie den ersten Preis gewonnen. Außerdem habe ich dir ja schon gesagt, daß ich einen Streifschuß für dich in Kauf nehmen würde.«
»Hör auf, das meine ich im Ernst. Taillefer ist tot.«
»Selbstmord.«
»Angeblich. Aber hier können noch mehr Leute abkratzen.«
»Dann kratz doch du ab. Spielverderber, Schweinehund.«
Den Rest des Abends verbrachten die beiden mit Variationen zum selben Thema. Fünf oder sechs Gläser später verabschiedeten sie sich und verblieben, daß Corso aus Portugal anrufen würde. La Ponte wankte, ohne zu bezahlen, davon, aber vorher schenkte er Corso noch den Stummel von Rocheforts Zigarre. »Damit du ein Pärchen hast«, sagte er.
VI. Von apokryphen Ausgaben und eingefügten Blättern
Zufall? Herrgott noch mal, daß ich nicht lache.
Mit dieser Erklärung lassen sich nur Idioten abspeisen.
M. Zevaco, Les Pardaillan
GEBRÜDER CENIZA
BUCHBINDER UND RESTAURATOREN
ANTIQUARISCHE BÜCHER
Die Holztafel hing an einem Fenster, das blind vor Staub war -ein rissiges Firmenschild mit verwitterter Schrift. Die Werkstatt der Gebrüder Ceniza befand sich in einer düsteren Madrider Gasse, im Hochparterre eines vierstöckigen Altbaus, dessen Rückseite mit Gerüsten abgestützt war.
Lucas Corso läutete zweimal, erhielt aber keine Antwort. Nach einem Blick auf die Uhr lehnte er sich an die Hauswand und richtete sich auf ein längeres Warten ein. Schließlich kannte er die Gewohnheiten von Pedro und Pablo Ceniza. Um diese Uhrzeit standen sie zwei Straßen weiter am Marmortresen der Bar La Taurina, tranken einen halben Liter Wein zum Frühstück und sprachen über Bücher und Stierkämpfe -Zecher, Junggesellen, griesgrämig und unzertrennlich.
Zehn Minuten später sah er sie nebeneinander daherschlurfen. Die grauen Staubmäntel flatterten wie Leichentücher um ihre skeletthaften, gekrümmten Körper, die sich ein Leben lang über Druckerpressen und Stempel gebeugt, Bogen geheftet und Fileten vergoldet hatten. Sie waren beide noch unter Fünfzig, aber man konnte sie leicht zehn Jahre älter schätzen, wenn man ihre eingefallenen Wangen betrachtete, ihre Augen und Hände, die von der handwerklichen Kleinarbeit angegriffen waren, ihre fahle Haut, auf die das Pergament, mit dem sie umgingen, abgefärbt zu haben schien. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Brüdern war verblüffend: Sie hatten dieselbe große Nase, dieselben an den Schädel geklebten Ohren, dasselbe schüttere Haar, das sie ohne Scheitel nach hinten kämmten. Das einzige, worin sie sich auffällig unterschieden, war ihre Körpergröße und ihre Gesprächigkeit. Pablo, der Jüngere, war größer und schweigsamer als sein Bruder. Pedro hatte einen rasselnden Raucherhusten, und seine Hand, mit der er eine Zigarette nach der anderen anzündete, zitterte immer leicht.
»Was für eine Überraschung, Senor Corso. Freut uns, Sie wiederzusehen.«
Sie stiegen ihm voraus eine Holztreppe mit ausgetretenen Stufen hinauf. Pablo Ceniza steckte den Schlüssel ins Schloß der Tür, die sich knarrend öffnete, und betätigte den Lichtschalter. In der Werkstatt herrschte wie immer ein heilloses Durcheinander. Neben der mächtigen alten Druckerpresse stand ein Zinktisch, auf dem sich alles mögliche befand: Werkzeuge, Druckbogen, die halb geheftet oder bereits mit einem Rücken versehen waren, Papierschneidemaschinen, gefärbtes Leder, Leimtöpfe, Streicheisen und andere Arbeitsutensilien. Und natürlich stapelten sich überall Bücher: Bücher mit Saffian-, Chagrin- oder Kalbsledereinbänden, Bücher, die abholbereit zu Stößen geschichtet waren, und Bücher ohne oder mit unbezogenen Deckeln, die erst noch fertiggestellt werden mußten. Auf Holzbänken und in Regalen warteten antike Bände, denen die Feuchtigkeit oder der Bücherwurm zugesetzt hatten, auf ihre Restaurierung. Es roch nach Papier, nach Buchbinderleim und neuem Leder. Corso weitete genüßlich die Nasenflügel. Dann zog er das Buch aus seiner Tasche und legte es auf den Tisch.
»Ich wüßte gerne, was Sie davon halten.«
Es war nicht das erstemal, daß er bei ihnen Rat einholen kam. Pedro und Pablo Ceniza näherten sich langsam, beinahe scheu. Wie üblich ergriff der Ältere als erster das Wort:
»Die Neun Pforten ...« Er berührte das Buch, ohne es zu verrücken; seine knochigen, nikotinverfärbten Finger strichen darüber, als habe er es mit lebender Haut zu tun. »Ein schönes Buch. Und sehr rar.«
Pedro Ceniza hatte graue Mausäuglein. Grauer Staubmantel, graues Haar, graue Augen - alles an ihm war grau. Beim Anblick des Buches bekam sein Mund einen gierigen Ausdruck.
»Haben Sie es vorher schon einmal zu Gesicht bekommen?« fragte Corso.
»Ja, vor weniger als einem fahr, als wir im Auftrag von Claymore zwanzig Bücher aus der Bibliothek von Don Gualte-rio Terrai restauriert haben.«
»In welchem Zustand gelangte es in Ihre Hände?«
»In ausgezeichnetem Zustand. Senor Terrai wußte, wie man mit Büchern umgeht. Fast alle waren gut erhalten. Nur ein Teixeira hat uns ein bißchen mehr Arbeit gemacht. Aber die anderen, das hier eingeschlossen, brauchten wir nur oberflächlich zu säubern.«
»Es soll gefälscht sein«, sagte Corso unvermittelt.