Die beiden Brüder sahen sich an.
»Gefälscht, gefälscht . « murmelte der Ältere mißmutig. »Dieses Wort wird viel zu leicht in den Mund genommen.«
»Viel zu leicht«, echote der andere.
»Sogar von Ihnen, Senor Corso. Und das überrascht uns. Ein Buch zu fälschen ist unrentabel - das lohnt bei weitem nicht den Aufwand. Ich meine natürlich eine richtige Fälschung, kein Faksimile, mit dem man Bauerntölpel übers Ohr haut.«
Corso bat mit einer beschwichtigenden Geste um Nachsicht.
»Ich will ja nicht behaupten, das ganze Buch sei eine Fälschung, aber vielleicht ist es teilweise gefälscht. Es kommt öfter vor, daß Exemplare, denen eine oder mehrere Seiten fehlen, mit Kopien aus anderen Exemplaren vervollständigt werden, die komplett sind.«
»Natürlich: Das ist das Abc unseres Berufes. Aber verwechseln Sie bitte nicht das Hinzufügen einer Fotokopie oder eines Faksimiles mit der Vervollständigung eines lückenhaften Buches nach .« Er wandte sich an seinen Bruder, ohne Corso aus den Augen zu lassen. »Sag du es ihm, Pablo.«
»Nach allen Regeln der Kunst«, erläuterte der jüngere Ceniza.
Corso setzte eine komplizenhafte Miene auf: ein Kaninchen, das eine halbe Mohrrübe teilt.
»Das könnte aber hier der Fall sein.«
»Wer sagt das?«
»Sein Besitzer. Und der ist gewiß kein Bauerntölpel.«
Pedro Ceniza zuckte mit der schmalen Schulter und zündete sich an der Glut seiner letzten Zigarette eine neue an. Beim ersten Zug wurde er von einem Hustenanfall gepackt, aber er rauchte unbeirrt weiter.
»Hatten Sie schon Gelegenheit, Ihr Exemplar mit einem als echt eingestuften zu vergleichen?«
»Die werde ich bald haben. Aber vorher wollte ich Ihre Meinung hören.«
»Das hier ist ein wertvolles Buch, und wir üben keine exakte Wissenschaft aus.« Er wandte sich erneut an seinen Bruder. »Stimmt’s, Pablo?«
»Wir üben eine Kunst aus«, bekräftigte der andere.
»Da hören Sie es. Es täte uns leid, Sie enttäuschen zu müssen, Senor Corso.«
»Sie werden mich nicht enttäuschen. Wer wie Sie in der Lage ist, von dem einzigen bekannten Exemplar des Speculum Vitae eine Fälschung anzufertigen, die so gut ist, daß sie in einem der renommiertesten Kataloge Europas als authentisch geführt wird ... Wer das schafft, der weiß, was er in der Hand hat.«
Die beiden setzten ein säuerliches Grinsen auf - gleichzeitig, als wären sie synchronisiert.
»Es ist nie bewiesen worden, daß wir das waren«, sagte endlich Pedro Ceniza. Er rieb sich die Hände und warf verstohlene Blicke auf das Buch.
»Nie«, wiederholte sein Bruder mit einem Anflug von Melancholie in der Stimme - als bedauere er es, einer Gefängnisstrafe und damit der offiziellen Anerkennung der eigenen Urheberschaft entgangen zu sein.
»Das stimmt«, gab Corso zu. »Und Beweise fehlen auch im Fall von Geoffrey Chaucer, der dem Katalog der Sammlung Manoukian zufolge von Marius Michel gebunden wurde. Oder im Fall der Polyglotten Bibel des Barons Bielke, deren fehlende drei Seiten von Ihnen so perfekt imitiert wurden, daß die Experten es noch heute nicht wagen, ihre Echtheit in Zweifel zu ziehen .«
Pedro Ceniza hob seine gelbliche Hand mit den ungewöhnlich breiten Fingernägeln.
»Ich glaube, wir müssen hier etwas klarstellen, Senor Corso. Es gibt Leute, die Bücher in kommerzieller Absicht fälschen, und Leute, die es aus Liebe zu ihrem Handwerk tun, denen es einzig darum geht, etwas zu kreieren, oder - wie im Großteil der Fälle - im wahrsten Sinne des Wortes zu >rekreieren< .«
Der Buchbinder blinzelte ein wenig und lächelte dann verschmitzt. Seine kleinen Mausaugen glänzten, als er sie wieder auf die Neun Pforten heftete. »Obwohl ich mich nicht daran erinnere, und mein Bruder sicher auch nicht, an diesen Arbeiten beteiligt gewesen zu sein, die Sie als bewundernswert bezeichnen.«
»Ich sagte perfekt.«
»Ach ja? Egal.« Er führte sich die Zigarette zum Mund und sog so kräftig daran, daß seine hohlen Wangen noch mehr einfielen. »Aber wer auch immer der Urheber oder die Urheber waren, glauben Sie mir, daß diese Arbeit für ihn oder sie ein persönliches Vergnügen war - eine innere Genugtuung, die sich nicht mit Geld bezahlen läßt .«
»Sine pecunia«, kommentierte sein Bruder.
Pedro Ceniza blies den Rauch seiner Zigarette lässig durch die Nase und den halb geöffneten Mund aus.
»Nehmen wir zum Beispiel diesen Speculum, den die Sorbonne als echtes Exemplar gekauft hat. Schon allein das Papier, der Satz, der Druck und die Bindung müssen mindestens fünfmal so viel gekostet haben wie der Gewinn, den die Autoren oder Fälscher, wie Sie es nennen, daraus gezogen haben. Es gibt Leute, die das nicht verstehen können ... Stellen Sie sich einen Maler vor, der das Talent Velazquez’ besitzt und in der Lage ist, seine Gemälde nachzuahmen: Woran liegt ihm wohl mehr? Daran, Geld zu machen, oder daran, seine Bilder zwischen Las Meninas und der Schmiede Vulkans im Prado aufgehängt zu sehen?«
Corso stimmte ihm rückhaltlos zu. Acht Jahre lang hatte der Speculum der Brüder Ceniza zu den wertvollsten Werken der Pariser Bibliothek gezählt. Und die Entdeckung, daß es sich um eine Fälschung handelte, war keinesfalls das Verdienst von Experten, sondern Zufall gewesen. Ein Mittelsmann, der geplaudert hatte.
»Werden Sie immer noch von der Polizei belästigt?«
»Nein, fast nie. Vergessen Sie nicht, daß der Skandal in Frankreich ausgebrochen ist. Unsere Namen wurden zwar auch damit in Verbindung gebracht, aber nachweisen konnte uns keiner etwas.« Pedro Ceniza setzte erneut ein schiefes Lächeln auf. »Mit der Polizei stehen wir auf gutem Fuße. Sie zieht uns sogar zu Rate, wenn es darum geht, gestohlene Bücher zu identifizieren.« Er deutete mit der qualmenden Zigarette auf seinen Bruder: »Keiner versteht es so gut wie Pablo, Bibliotheksstempel, Exlibris oder Besitzervermerke aus einem Buch verschwinden zu lassen - manchmal verlangen sie von ihm, diese Arbeit im entgegengesetzten Sinne durchzuführen. Sie wissen schon: Leben und leben lassen.«
»Was halten Sie von den Neun Pforten?«
Der ältere der beiden Brüder sah den anderen an, dann das Buch und schüttelte den Kopf.
»Seinerzeit ist uns nichts Ungewöhnliches daran aufgefallen. Wir haben es zwar nicht gründlich studiert, aber gewisse Unstimmigkeiten springen einem sofort ins Auge.«
»Uns jedenfalls«, präzisierte sein Bruder.
»Und jetzt?«
Pedro Ceniza zog ein letztesmal an seiner Zigarette, die zu einem winzigen Stummel geschrumpft war, und ließ sie dann auf den Boden fallen, zwischen seine Schuhe, wo sie vollends verglomm. Das Linoleum war mit Brandlöchern übersät.
»Gut erhaltener venezianischer Einband aus dem 17. Jahrhundert . « Die beiden Brüder beugten sich über das Buch, aber nur der ältere von ihnen berührte die Seiten mit seinen blassen, kalten Händen. Man hätte sie für Präparatoren halten können, die vor einem Tierkadaver stehen und beratschlagen, wie er wohl am besten auszustopfen sei. »Schwarzes Maroquinleder mit goldgeprägten Pflanzenornamenten .«
»Etwas nüchtern für Venedig«, meinte Pablo Ceniza.
Sein Bruder pflichtete ihm mit einem neuerlichen Hustenanfall bei.
»Wahrscheinlich hat sich der Künstler in Anbetracht des Themas zurückgehalten.« Er sah Corso an. »Haben Sie schon die Deckel untersucht? Die Ledereinbände aus dem 16. und 17. Jahrhundert bergen mitunter Überraschungen. Die Pappe für die Buchdeckel wurde aus losen Blättern hergestellt, die man mit Leim tränkte und dann preßte. Oft wurden dazu Druckproben desselben Buches verwendet, oder gar noch ältere Drucke . Manche Deckel sind heute mehr wert als die Bücher, zu denen sie gehören - man hat da unglaubliche Funde gemacht.« Er deutete auf ein paar Blätter, die auf dem Tisch lagen. »Dort haben Sie ein Beispiel. Erzähl du ihm, was das ist, Pablo.«