Pedro Ceniza, der den Erläuterungen seines Bruders kopfnikkend gefolgt war, zündete sich schon wieder eine Zigarette an.
»Nicht schlecht, was?« Hustend stieß er den Rauch aus. Seine schlauen Mausäuglein funkelten verschmitzt, während er Corso ansah. »Dieser Drucker war nicht alleine, wenn auch nur er verbrannt worden ist.«
»Nein«, sagte sein Bruder mit einem düsteren Lachen. »Irgend jemand hat geholfen, den Scheiterhaufen aufzuschichten.«
Am Abend desselben Tages bekam Corso noch Besuch von Liana Taillefer. Die Witwe erschien ohne Voranmeldung, und zwar genau zur Dämmerstunde, als der Bücherjäger in einem verwaschenen Baumwollhemd und einer alten Kordhose auf seinem verglasten Balkon saß und die rot- und ockerfarben glühenden Dächer der Stadt betrachtete. Das war vielleicht nicht der günstigste Augenblick, und unter Umständen hätte sich viel von dem, was danach passierte, vermeiden lassen, wenn sie zu einer anderen Uhrzeit aufgetaucht wäre. Aber sicher werden wir das nie erfahren. Fest steht nur folgendes: Corso saß auf seinem Balkon, und sein Blick wurde trüber, je tiefer der Pegel seines Gin-Glases sank, als es plötzlich läutete und Liana Taillefer auf der Schwelle der Wohnungstür erschien
- groß, blond, atemberaubend, in ihrem englischen Trenchcoat, unter dem sie ein maßgeschneidertes Kostüm und schwarze Seidenstrümpfe trug. Das Haar hatte sie im Nacken aufgedreht und unter einem tabakfarbenen Borsalino-Hut mit breiter Krempe versteckt, der ihr schräg auf dem Kopf saß. Das wirkte sehr verwegen und stand ihr ausgezeichnet, was sie selbst am besten zu wissen schien. Sie machte den Eindruck einer schönen Frau, die gerne Aufsehen erregt.
»Was verschafft mir die Ehre?« fragte Corso - ein törichter Satz, aber zu dieser Uhrzeit und mit dem Gin, den er bereits intus hatte, konnte er sich keine brillanten Dialoge mehr abverlangen. Liana Taillefer hatte bereits das Zimmer durchquert und stand jetzt vor dem Schreibtisch, auf dem neben dem Computer und den Diskettenboxen das Dumas-Manuskript lag.
»Arbeiten Sie immer noch daran?«
»Klar.«
Sie wandte sich von dem Vin d’Anjou ab, um ihren Blick ruhig durch das Zimmer schweifen zu lassen, über die vielen Bücher, die sich auf dem Fußboden stapelten und die Wandregale füllten. Corso begriff, daß sie Fotos suchte, Andenken, irgendwelche Indizien, die ihr geholfen hätten, ihn zu taxieren. Da sie aber nichts dergleichen fand, zog sie verdrießlich und arrogant eine Augenbraue hoch. Schließlich blieben ihre Augen an dem Säbel der Alten Garde hängen.
»Sammeln Sie Degen?«
Logische Schlußfolgerung nannte man so etwas. Durch Induktion gewonnen. Corso verzeichnete erleichtert, daß Liana Taillefers Talent, peinliche Situationen zu überbrücken, weit hinter dem Eindruck zurückblieb, den sie nach außen hin vermittelte. Es sei denn, sie nahm ihn auf den Arm. Er setzte also vorsichtshalber nur ein sehr zurückhaltendes Lächeln auf.
»Ich sammle diesen hier. Das ist ein Säbel.«
Sie nickte mit ausdrucksloser Miene, und es war nicht zu erraten, ob sie eine mittelmäßige oder eine gute Schauspielerin war.
»Ein Familienerbstück?«
»Nein, gekauft«, log Corso. »Ich dachte, der paßt gut an die Wand. Immer nur Bücher - das wird mit der Zeit langweilig.«
»Warum haben Sie überhaupt keine Bilder, keine Fotos?«
»Weil es niemanden gibt, an dessen Andenken mir etwas liegt.« Er dachte an das silbergerahmte Foto des verstorbenen Taillefer, auf dem er mit Schürze bekleidet vor einem Spanferkel stand. »In Ihrem Fall ist das natürlich etwas ganz anderes.«
Sie beobachtete ihn scharf. Als wolle sie den Grad an Frechheit bestimmen, der sich in seinen Worten verbarg. Ihre blauen Augen blitzten wie Stahl und waren so kalt, daß Corso ein Frösteln überlief. Sie ging ein wenig herum, verweilte vor ein paar Büchern, betrachtete die Stadtlandschaft jenseits des Balkons und wandte sich dann wieder dem Schreibtisch zu.
Einer ihrer Finger mit den blutrot lackierten Nägeln strich über den Ordner, der das Dumas-Manuskript enthielt. Vielleicht wartete sie darauf, daß Corso irgendeinen Kommentar abgab, aber der Bücherjäger schwieg und beschränkte sich darauf, geduldig zu warten. Wenn sie etwas wollte - und das war offensichtlich -, dann sollte sie ihre schmutzige Arbeit selbst erledigen. Er war nicht bereit, ihr die Sache zu erleichtern.
»Darf ich mich setzen?«
Wieder diese heisere Stimme. Der Nachklang einer schlechten Nacht, erinnerte sich Corso. Er blieb abwartend in der Mitte des Zimmers stehen, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Liana Taillefer legte Hut und Trenchcoat ab, sah sich unendlich langsam um und wählte ein altes Sofa aus. Sie schlenderte darauf zu, ließ sich träge nieder - der Rock ihres maßgeschneiderten Kostüms erwies sich in dieser Position als ausgesprochen kurz - und überkreuzte die Beine in einer Art, die den stärksten Mann umgehauen hätte, nicht nur Corso, und das selbst, wenn er nüchtern gewesen wäre.
»Ich bin gekommen, um über ein Geschäft mit Ihnen zu sprechen.«
Das war klar. Ohne Absicht fuhr man solche Geschütze nicht auf. Corso mangelte es keineswegs an Selbstwertgefühl, aber dumm war er nicht.
»Sprechen Sie nur«, sagte er. »Haben Sie schon mit Flavio La Ponte zu Abend gegessen?«
Keine Reaktion. Die Witwe blieb völlig gelassen und fuhr fort, ihn von oben herab zu betrachten.
»Nein, noch nicht«, antwortete sie schließlich ruhig. »Ich wollte vorher Sie treffen.«
»Nun, jetzt haben Sie mich ja getroffen.«
Liana Taillefer lehnte sich etwas tiefer in das Sofa zurück. Ihre Hand ruhte auf einem Riß des zerschlissenen Lederbezugs, durch den die Roßhaarfüllung zum Vorschein kam.
»Sie arbeiten für Geld«, sagte sie.
»Ganz recht.«
»Verkaufen sich dem Meistbietenden.«
»Manchmal.« Corso entblößte einen Eckzahn. Jetzt, wo er sich auf seinem Terrain befand, konnte er auf die Kaninchenmasche verzichten. »Normalerweise verpachte ich mich. Wie Humphrey Bogart im Film. Wie die Nutten.«
Für eine Witwe, die als kleines Mädchen in der Schule Bilder gestickt hatte, blieb Liana Taillefer erstaunlich unberührt von seiner unflätigen Ausdrucksweise.
»Ich möchte Ihnen einen Auftrag anbieten.«
»Wie schön. Zur Zeit werden mir von allen Seiten Jobs angeboten.«
»Ich werde Sie sehr gut dafür bezahlen.«
»Toll. Derzeit wollen mich auch alle gut bezahlen.«
Die Witwe hatte ein langes Roßhaar aus der kaputten Armlehne des Sofas gezogen und wickelte es sich zerstreut um den Zeigefinger.
»Was zahlt Ihnen Ihr Freund La Ponte?«
»Flavio? Nichts. Der läßt sich keinen roten Heller abknöpfen.«
»Warum arbeiten Sie dann für ihn?«
»Sie haben es ja selbst gesagt. Weil er mein Freund ist.«
Corso hörte, wie sie das Wort nachdenklich wiederholte.
»Aus Ihrem Mund klingt das komisch«, sagte sie dann mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln, das Verachtung und Neugier zugleich verriet. »Haben Sie auch Freundinnen?«
Corso ließ seinen Blick langsam und unverschämt von ihren Knöcheln zu ihren Schenkeln hinaufwandern.
»Ich habe Erinnerungen. Ihre zum Beispiel könnte mir heute nacht gute Dienste leisten.«