»Ein prächtiges Stück«, bestätigte der Bücherjäger, während er an seiner Zigarette zog.
»Mehr als das. Fassen Sie das Papier an. Esemplare buono e genuino con le figure assai ben impresse, versichern die alten Kataloge . « Nach seinem euphorischen Anfall verloren sich Fargas’ Augen nun wieder im Leeren. Er wirkte abwesend, zurückgezogen in die dunkelsten Winkel seines Alptraums. »Ich glaube, ich werde das hier verkaufen.«
Corso stieß gereizt den Rauch seiner Zigarette aus.
»Ich verstehe Sie nicht. Das ist doch offensichtlich eines Ihrer Lieblingsbücher. Und der Agricola genauso. Ihnen zittern ja die Hände, wenn Sie sie berühren.«
»Die Hände? Sagen Sie lieber, daß sich meine Seele unter Höllenqualen windet. Ich dachte, ich hätte es Ihnen erklärt ... Das zum Opfer auserkorene Buch darf mir nicht gleichgültig sein. Was wäre dieser schmerzliche Akt sonst? Eine plumpe Transaktion, die den Regeln des Marktes gehorcht: mehrere billige gegen ein teures.« Er schüttelte energisch und angewidert den Kopf und blickte mit wilden Augen um sich, als suche er jemanden, dem er hätte ins Gesicht spucken können. »Nein. Es sind gerade die liebsten, die ich an der Hand nehme und bis zum Opferaltar begleite, diejenigen, welche sich durch ihre Schönheit hervortun und durch die Liebe, die sie zu verbreiten wußten . Das Leben kann mich an den Bettelstab bringen, gewiß. Aber einen Schuft wird es nie aus mir machen.«
Er irrte ziellos durchs Zimmer. Das traurige Szenarium, seine Behinderung, der Wollpullover und die alte Hose betonten noch den zerrütteten Eindruck, den er machte.
»Das ist auch der Grund, weshalb ich in diesem Haus bleibe«, fuhr er fort. »In seinen Zimmern geistern die Schatten meiner verlorenen Bücher umher.« Er war vor dem Kamin stehengeblieben und starrte auf den kläglichen Holzstoß. »Manchmal fühle ich, daß sie mich umringen und von meinem Gewissen eine Wiedergutmachung fordern . Dann greife ich zu der Violine, die Sie dort sehen, und spiele stundenlang, um sie zu besänftigen; dabei laufe ich im Dunklen durchs Haus wie ein Verdammter.« Er hatte sich nun wieder Corso zugewandt, der sich im Gegenlicht vor der dreckigen Fensterscheibe abzeichnete. »Der ewige Büchernarr.«
Er schritt langsam auf den Tisch zu und legte auf jedes Buch eine Hand, als habe er den Moment der Entscheidung bis zu diesem Augenblick hinausgezögert. Jetzt lächelte er und sah Corso forschend an.
»Welches würden Sie an meiner Stelle auswählen?«
Corso trat ungemütlich von einem Bein aufs andere.
»Lassen Sie mich da raus. Glücklicherweise bin ich nicht an Ihrer Stelle.«
»Sie sagen es: glücklicherweise. Scharfsinnige Bemerkung. Wenn Sie ein Dummkopf wären, würden Sie mich wahrscheinlich beneiden. Ein solcher Schatz im Hause ... Aber Sie haben mir nicht gesagt, welches ich verkaufen soll. Welcher Sohn geopfert werden soll.« Seine Miene verzog sich plötzlich zu einer gequälten Grimasse, als werde er bis ins Mark hinein, bis ins Innerste seiner Seele von Schmerzen gepeinigt. »Möge sein Blut über mich kommen«, fügte er leise und mit gebrochener Stimme hinzu. »Über mich und meine Nachkommenschaft bis zur siebten Generation.«
Er legte den Agricola an seinen Platz auf dem Teppich zurück und streichelte den Pergamentdeckel des Vergil, während er zähneknirschend »sein Blut« wiederholte. Seine Augen waren feucht, und der Tremor seiner Hände schien unkontrollierbar geworden zu sein.
»Ich glaube, ich verkaufe das hier«, stöhnte er.
Wenn Fargas nicht schon ganz übergeschnappt war, so fehlte wenig. Corsos Blick glitt über die nackten Wände und über die Abdrücke der Bilder auf den schimmeligen Tapeten. Der siebten Generation würde das alles piepegal sein. Aber so weit kam es sowieso nicht - Fargas würde so wenig wie er, Lucas Corso, Nachkommen haben. Sein Geschlecht würde mit ihm aussterben. Oder endlich in Frieden ruhen. Der Qualm seiner Zigarette stieg zu dem abgeblätterten Deckengemälde empor, kerzengerade wie die Rauchsäule eines Opfers im windstillen Morgengrauen.
Er sah zum Fenster hinaus, in den vom Unkraut überwucherten Garten, und hielt Ausschau nach einem Schaf, das sich im Dorngestrüpp verfangen hatte, aber es gab keine Alternative, es gab nur Bücher. Und der Engel ließ die Hand fahren, die das Messer umklammerte, und verkrümelte sich - weinend, der armselige Narr.
Corso nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und schnippte sie in den Kamin. Er war müde und fröstelte trotz seines Mantels. Zu viele Worte hatte er in diesem Zimmer gehört, und er war froh, daß es keinen Spiegel gab, in dem er sein Gesicht hätte sehen können. Er warf mechanisch einen Blick auf die Uhr, aber ohne die Zeit abzulesen. Für das Vermögen auf den alten Teppichen und Gobelins hatte Victor Fargas mehr als genug Mitleid von ihm kassiert, und Corso fand, es sei nun an der Zeit, übers Geschäft zu reden.
»Unddie Neun Pforten!«
»Was ist damit?«
»Ihretwegen bin ich hier. Sie haben meinen Brief doch bekommen, oder?«
»Ihren Brief? Ach ja, natürlich. Jetzt erinnere ich mich wieder. Sie müssen mich entschuldigen, doch das alles hat mich ein wenig mitgenommen ... Die Neun Pforten, aber ja.«
Fargas schaute sich verwirrt um - ein Schlafwandler, den man brüsk geweckt hat. Er wirkte auf einmal sehr erschöpft, als habe er eine große Anstrengung hinter sich. Er hob den Finger zum Zeichen, daß er einen Augenblick nachdenken wollte, und steuerte dann hinkend auf eine Ecke des Salons zu. Dort waren etwa fünfzig Bände auf einem verschossenen französischen Gobelin angeordnet, auf dessen Resten man gerade noch den Sieg Alexanders des Großen über Darius erkennen konnte.
»Wußten Sie«, fragte Fargas, indem er auf die kunstvoll gewirkte Darstellung deutete, »daß Alexander die Schatztruhe seines Rivalen dazu verwendet hat, die Werke Homers aufzubewahren?« Er nickte zufrieden mit dem Kopf, während er das zerfaserte Profil des Makedoniers betrachtete. »Ein Bruder der Bibliophilie. Anständiger Kerl.«
Corso scherte sich einen Dreck um die literarischen Neigungen Alexanders des Großen. Er war in die Hocke gegangen und las die Titel auf den Rücken und Deckeln einiger Bücher. Es handelte sich durchweg um alte Traktate der Magie, Alchemie und Dämonologie: Les trois livres de l’Art, Destructor omnium rerum, Disertazioni sopra le apparizioni de ’ spiriti e diavoli, De origine, moribus et rebus gestis Satanae ...
»Was halten Sie davon?« fragte Fargas.
»Nicht schlecht.«
Der Bibliophile stieß ein lustloses Lachen aus. Er hatte sich neben Corso auf den Gobelin gekniet, ließ seine Hände mechanisch über die Bücher gleiten und vergewisserte sich, daß keines von ihnen auch nur einen Millimeter verrückt worden war, seit er sie zum letztenmal abgeschritten hatte.
»Nicht schlecht. Allerdings. Mindestens zehn davon sind Exemplare von höchster Seltenheit. Diesen Teil der Bibliothek habe ich von meinem Großvater geerbt. Er war ein Anhänger der Geheimlehren, und außerdem Hobby-Astrologe und Freimaurer ... Schauen Sie: Das ist ein Klassiker, das Dictionnaire infernale von Collin de Plancy in der ersten Ausgabe von 1842. Und das hier ist das Compendi dei secreti von Leonardo Fioravanti, 1571 gedruckt ... Bei dem kuriosen Duodezband dort drüben handelt es sich um die zweite Ausgabe des Buches der Wunder.« Er öffnete ein anderes und zeigte Corso einen Stich. »Sehen Sie sich diese Isis an ... Wissen Sie, was das ist?«
»Klar. Der Oedipus Aegiptiacus von Athanasius Kircher.«