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»Genau. Die römische Ausgabe von 1652.« Fargas legte das Buch an seinen Platz zurück und nahm ein anderes zur Hand, dessen Einband Corso wohl bekannt war: schwarzes Leder, fünf Bünde, ohne Titel und mit einem Pentagramm auf dem Deckel. »Und hier ist das Stück, das Sie suchen: De Umbrarum Regni Novem Partis. Die neun Pforten ins Reich der Schatten.«

Corso bekam wider Willen eine Gänsehaut. Von außen betrachtet war dieser Band völlig identisch mit dem, der sich in seiner Segeltuchtasche befand. Fargas reichte ihm das Buch, und er richtete sich auf, während er es durchblätterte. Die beiden Exemplare glichen sich wie ein Ei dem anderen - oder doch beinahe. Bei diesem hier war das Leder des hinteren Deckels ein bißchen abgeschabt, und auf dem Rücken konnte man noch die Spur eines Schildchens erkennen, das aufgeklebt und dann wieder abgerissen worden war. Aber im übrigen war es so tadellos in Ordnung wie das Exemplar Varo Borjas, einschließlich der völlig unversehrten Bildtafel Nummer VIIII.

»Vollständig und in einwandfreiem Zustand«, sagte Fargas, das Mienenspiel Corsos richtig deutend. »Seit dreieinhalb Jahrhunderten wandert es auf der Welt umher, und wenn man es aufschlägt, wirkt es so frisch, als käme es gerade aus der Presse . Man könnte fast meinen, der Drucker habe den Teufel beschwört und einen Pakt mit ihm geschlossen.«

»Womöglich hat er das ja«, erwiderte Corso.

»Die Formel wüßte ich gern.« Der Bibliophile deutete mit einer ausholenden Armbewegung auf den desolaten Raum und die Bücherreihen auf dem Boden. »Meine Seele, um das alles konservieren zu können.«

»Warum versuchen Sie es nicht?« Corso zeigte auf die Neun Pforten. »Angeblich steckt die Formel da drin.«

»Diesen Quatsch habe ich nie geglaubt - obwohl es vielleicht an der Zeit wäre, damit anzufangen. Finden Sie nicht? Nach dem Sprichwort: In der Not frißt der Teufel Fliegen.«

»Ist das Exemplar in Ordnung? Haben Sie irgend etwas Ungewöhnliches an ihm bemerkt?«

»Nein, nicht das geringste. Es fehlen keine Seiten, und die Stiche sind auch alle beisammen: neun an der Zahl und die Titelseite. Alles noch genau so wie am Anfang des Jahrhunderts, als mein Großvater es gekauft hat. Es stimmt mit den Katalogen überein und mit den anderen beiden Exemplaren: dem von Ungern in Paris und dem von Terral-Coy.«

»Ehemals Terral-Coy. jetzt befindet es sich in der Sammlung Varo Borja in Toledo.«

Diese Worte mußten den Bibliophilen alarmiert haben, denn Corso fiel auf, daß sein Blick plötzlich wieder mißtrauisch wurde.

»Sagten Sie Varo Borja?« Er war drauf und dran, noch etwas hinzuzufügen, aber er machte im letzten Moment einen Rückzieher. »Eine bemerkenswerte Sammlung. Und sehr bekannt.« Fargas wanderte erneut im Zimmer auf und ab und betrachtete dann die Bücher auf dem Gobelin. »Varo Borja«, wiederholte er nachdenklich. »Ein Experte für Dämonologie, nicht wahr? Steinreicher Antiquar. Er ist seit Jahren hinter dieser Ausgabe der Neun Pforten her, bereit, jeden Preis zu bezahlen ... Ich wußte nicht, daß er an ein anderes Exemplar gekommen ist. Und Sie arbeiten für ihn?«

»Gelegentlich«, gab Corso zu.

Der andere schüttelte verwundert den Kopf und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder den Büchern auf dem Boden zu. »Eigenartig, daß er ausgerechnet Sie schickt. Schließlich sind Sie .«

Er ließ den Satz unbeendet und heftete seinen Blick auf Corsos Tasche.

»Haben Sie das Buch dabei? Darf ich es einmal sehen?«

Sie gingen zu dem Tisch, und Corso legte sein Exemplar neben das von Fargas. Der Atem des Bibliophilen wurde kürzer, und sein Gesicht nahm wieder den Ausdruck ekstatischer Verzückung an.

»Sehen Sie sich die Bücher genau an.« Er sprach leise, als fürchte er, an ein Geheimnis zu rühren, das zwischen diesen Seiten schlummerte. »Sie sind perfekt, wunderschön und identisch. Zwei von den drei Exemplaren, die dem Feuer entronnen sind, seit dreihundertfünfzig Jahren zum erstenmal beieinander . « Seine Hände zitterten jetzt wieder, und er massierte sich die Pulsadern an den Handgelenken, um sein wallendes Blut ein wenig zu beruhigen. »Beachten Sie den Druckfehler auf Seite 72. Und das gebrochene »s« in der vierten Zeile auf Seite 87. Dasselbe Papier, derselbe Druck ... Ist das nicht phantastisch?«

»Doch.« Corso räusperte sich. »Und ich würde gern eine Weile hier bleiben. Um sie ernsthaft zu studieren.«

Fargas musterte ihn scharf. Er schien zu zweifeln.

»Wie Sie möchten«, sagte er endlich. »Aber wenn es sich bei Ihrem Exemplar um das von Terral-Coy handelt, steht seine

Echtheit außer Frage.« Er beobachtete Corso neugierig, als wolle er in seinen Gedanken lesen. »Das sollte Varo Borja eigentlich wissen.«

»Wahrscheinlich weiß er das auch.« Corso setzte ein neutrales Lächeln auf. »Aber ich werde dafür bezahlt, daß ich es überprüfe.« Er lächelte immer noch - nun war einer der heikelsten Punkte erreicht. »Apropos ... Wo wir schon von Bezahlung sprechen: Ich bin dazu autorisiert, Ihnen ein Angebot zu machen.«

Die Neugier des Bibliophilen schlug in Mißtrauen um.

»Was für ein Angebot?«

»Geld. Eine beträchtliche Summe.« Corso legte die Hand auf das zweite Exemplar. »Damit könnten Sie Ihre Probleme eine Zeitlang lösen.«

»Wer zahlt? Varo Borja?«

»Schon möglich.«

Fargas faßte sich mit den Fingern ans Kinn.

»Er hat bereits eines der Bücher«, sagte er. »Will er sie etwa alle drei beisammen haben?«

So verrückt dieser Mensch auch sein mochte, blöd war er nicht. Corso gab ihm mit einer vagen Geste zu verstehen, daß er das auch nicht so genau wußte. Vielleicht. Diese Büchersammler waren ja zu allem fähig. Aber angenommen, Fargas entschloß sich zu dem Verkauf, so konnte er den Vergil retten.

»Sie haben anscheinend immer noch nicht verstanden«, erwiderte der Bibliophile, obwohl Corso in Wahrheit sehr gut verstand. Hier war nichts zu machen.

»Vergessen Sie es«, sagte er. »Das war nur so eine Idee.«

»Ich verkaufe nicht wahllos. Ich suche meine Bücher aus. Das habe ich Ihnen doch erklärt.«

Die Adern auf den Rücken seiner verkrampften Hände schwollen an, und er begann in Wut zu geraten, so daß Corso fünf Minuten nur darauf verwendete, Signale der Beschwichti-gung auszusenden. Das Angebot sei völlig zweitrangig, eine reine Routineangelegenheit. Was er in Wirklichkeit wolle, sei etwas ganz anderes, nämlich die beiden Exemplare ausführlich miteinander vergleichen. Zu seiner großen Erleichterung nickte Fargas am Schluß zustimmend.

»Dagegen gibt es eigentlich nichts einzuwenden«, sagte er, während sein Mißtrauen sich ein wenig legte. Es war offensichtlich, daß Corso ihm sympathisch war, sonst wären die Dinge anders gelaufen. »Nur kann ich Ihnen leider nicht viel zu ihrer Bequemlichkeit bieten.«

Er führte ihn durch einen kahlen Korridor zu einem kleinen Zimmer, in dem ein zu Brennholz geschlagenes Klavier in der Ecke lag. Auf einem Tisch stand eine alte Menora, ein sieben-armiger Leuchter aus Bronze mit Tropfengebilden aus Wachs, und davor waren zwei aus den Fugen geratene Stühle gerückt.

»Wenigstens haben Sie es hier ruhig«, meinte Fargas. »Und die Fensterscheiben sind heil.«

Er schnalzte mit den Fingern, als habe er etwas vergessen, humpelte aus dem Zimmer und kehrte kurze Zeit später mit der Cognacflasche zurück, die allerdings nahezu leer war.

»Dann hat Varo Borja es also endlich bekommen«, wiederholte er und schien in sich hineinzulächeln, als bereite ihm diese Vorstellung Vergnügen. Danach stellte er die Flasche und das Glas auf den Boden, weit entfernt von den beiden Exemplaren der Neun Pforten, sah sich um, wie ein zuvorkommender Gastgeber es getan hätte, um zu überprüfen, ob alles in Ordnung war, und richtete vor dem Hinausgehen eine letzte ironische Bemerkung an Corso: