Der Polizist sah das Mädchen im Vorübergehen schief an und steuerte zielstrebig auf den Bücherjäger zu, um sich ihm gegenüber in einen Sessel fallen zu lassen. Er keuchte, als wäre er zu Fuß aus Lissabon gekommen.
»Wer war das?«
»Niemand Wichtiges«, erwiderte Corso. »Ein Mädchen aus Spanien. Touristin.«
Pinto nickte beruhigt und wischte sich die feuchten Hände an den Hosenbeinen ab, wie er es sehr oft tat. Er geriet leicht ins Schwitzen, und sein Hemdkragen hatte immer einen schmalen, dunklen Rand, dort, wo er mit der Haut in Berührung kam.
»Ich habe ein Problem«, meinte Corso.
Das Lächeln des Portugiesen wurde breiter. Alle Probleme sind lösbar, schien es zu sagen. Jedenfalls solange wir beide uns verstehen.
»Ich bin sicher«, erwiderte er, »daß wir gemeinsam einen Ausweg finden.«
Jetzt war es an Corso zu lächeln. Er hatte Amilcar Pinto vor vier Jahren kennengelernt, und zwar anläßlich einer üblen Geschichte mit gestohlenen Büchern, die plötzlich auf den Jahrmarktständen der Feira da Ladra auftauchten. Corso war nach Lissabon gefahren, um sie zu identifizieren, Pinto hatte zwei, drei Leute verhaftet, und auf dem Rückweg zu ihrem rechtmäßigen Besitzer waren ein paar wertvolle Exemplare spurlos verschwunden. Um den Beginn ihrer einträglichen Freundschaft gebührend zu feiern, hatten sie sich in einer FadoKneipe der Oberstadt gemeinsam betrunken, während der ehemalige Unteroffizier der Fallschirmjäger in kolonialen Erinnerungen schwelgte und Corso erzählte, wie sie ihm in der Schlacht von Gorongosa beinahe den Garaus gemacht hatten. Zum Abschluß hatten sie auf dem Mirador von Santa Luzia aus voller Kehle Grändola vila morena gesungen, das vom Mond beschienene Alfama-Viertel zu ihren Füßen und dahinter den Tejo, breit und glänzend wie ein silbernes Laken, über das gemächlich die dunklen Silhouetten der Schiffe glitten, mit Kurs auf den Turm von Belem und auf den Atlantik.
Der Kellner brachte Pinto den bestellten Kaffee. Corso wartete, bis er wieder weg war, und fuhr dann fort:
»Es geht um ein Buch.«
Der Polizist beugte sich über das niedere Tischchen und gab Zucker in seinen Kaffee.
»Es geht immer um Bücher«, entgegnete er zurückhaltend.
»Das hier ist aber ein besonderes.«
»Welches Buch wäre das nicht?«
Corso lächelte erneut. Ein messerscharfes, metallenes Lächeln.
»Der Besitzer möchte nicht verkaufen.«
»Was du nicht sagst.« Pinto führte sich die Tasse an die Lippen und schlürfte genüßlich den Kaffee. »Dabei ist der Handel doch etwas Gutes. Er schafft Wohlstand und sichert den Händlern ihren Lebensunterhalt . « Er stellte seine Tasse ab, um sich die Hände an der Hose abzutrocknen. »Waren müssen ausgetauscht werden, zirkulieren. So will es das Gesetz des Marktes - das Gesetz des Lebens. Es müßte verboten sein, nicht zu verkaufen: Das ist beinahe ein Verbrechen.«
»Ganz deiner Meinung«, stimmte Corso ihm zu. »Aber vielleicht kannst du ja etwas dagegen unternehmen.«
Pinto lehnte sich in seinen Sessel zurück und sah sein Gegenüber abwartend an. Er wirkte sicher und gelassen. Als seine Abteilung in Mosambik einmal in einen Hinterhalt geraten war, hatte er sich einen schwerverletzten Oberleutnant auf die Schulter gepackt und war mit ihm die ganze Nacht durch den Urwald gelaufen. Im Morgengrauen, als der Oberleutnant tot war, hatte er den Leichnam, statt ihn auf dem Boden liegenzulassen, zum Stützpunkt zurückgetragen. Der Oberleutnant war sehr jung, und Pinto dachte, daß seine Mutter ihn bestimmt gerne in Portugal begraben würde. Dafür war er mit einer Medaille ausgezeichnet worden. Jetzt spielten seine Kinder mit den verrosteten alten Medaillen, die überall in der Wohnung herumlagen.
»Vielleicht kennst du den Mann: Victor Fargas.«
Der Polizist nickte bejahend.
»Eine illustre und sehr alte Familie, die Fargas«, bemerkte er. »Früher war sie einmal ziemlich einflußreich. Aber das ist lange her.«
Corso reichte ihm einen verschlossenen Umschlag.
»Hier hast du alle nötigen Informationen: Besitzer, Buch und Ort.«
»Ich kenne die Quinta.« Pinto fuhr sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe und befeuchtete seinen Schnurrbart. »Ein Riesenleichtsinn, dort wertvolle Bücher aufzubewahren. In die Villa kommt der dümmste Einbrecher rein.« Er machte ein betrübtes Gesicht, als bekümmere es ihn tatsächlich, daß Victor Fargas so unvorsichtig war. »Ich denke da zum Beispiel an einen Ganoven aus dem Chiado, der mir noch einen Gefallen schuldet.«
Corso schnippte sich ein unsichtbares Staubkorn von der Hose. Das war nicht seine Sache. Jedenfalls nicht, was die praktische Seite betraf.
»Ich möchte weg sein, wenn es passiert.«
»Sei unbesorgt. Du bekommst das Buch, und Senor Fargas soll so wenig wie möglich in seiner Ruhe gestört werden. Eine kaputte Fensterscheibe, wenn’s hochkommt: Ich bestehe auf sauberer Arbeit. Was das Honorar betrifft .«
Corso deutete auf den Umschlag, den der Polizist ungeöffnet in der Hand hielt.
»Da ist ein Vorschuß drin«, sagte er, »ein Viertel der Gesamtsumme. Den Rest bei Ablieferung.«
»Kein Problem. Wann fährst du ab?«
»Morgen früh. Ich setze mich von Paris aus mit dir in Verbindung.« Pinto wollte gehen, aber Corso hielt ihn noch zurück. »Noch etwas. Heute nacht hat sich hier ein Typ herumgetrieben, den ich gerne identifiziert hätte: einen Meter achtzig groß, mit Schnurrbart und Narbe im Gesicht. Schwarzes Haar, dunkle Augen. Schlank. Er ist weder Spanier noch Portugiese.«
»Gefährlich?«
»Das weiß ich nicht. Er ist mir aus Madrid gefolgt.«
Der Polizist machte sich ein paar Notizen auf der Rückseite des Umschlags.
»Hat er etwas mit unserem Geschäft zu tun?«
»Das nehme ich an. Aber Genaueres kann ich dir nicht sagen.«
»Mal sehen, was sich da machen läßt. Ich habe Freunde im Kommissariat von Sintra. Und dann kann ich in unserer Zentrale in Lissabon einen Blick in die Archive werfen.«
Er hatte sich erhoben und verstaute den Umschlag in der Innentasche seiner Jacke. Corso nahm flüchtig einen Pistolenschaft und ein Halfter wahr.
»Bleibst du noch auf ein Glas?«
Pinto schüttelte seufzend den Kopf.
»Das würde ich gerne, aber ich habe drei Kinder mit Masern daheim. Die stecken sich gegenseitig an, diese Bälger.«
Er lächelte, während er das sagte, aber etwas müde. In Corsos Welt waren alle Helden müde.
Sie gingen gemeinsam zum Eingang des Hotels, vor dem Pinto seinen alten Citroen 2 CV geparkt hatte. Als sie sich die Hände schüttelten, kam Corso noch einmal auf das Thema Victor Fargas zurück.
»Mir liegt viel daran, daß die Störung auf ein Minimum beschränkt wird ... Ein simpler Diebstahl, nicht mehr.«
Der Polizist startete den Motor, machte die Scheinwerfer an und warf ihm durch das offene Wagenfenster einen vorwurfsvollen Blick zu. Er schien ernsthaft beleidigt.
»Ich bitte dich. Solche Kommentare sind überflüssig - unter Profis.«
Nachdem er den Polizisten verabschiedet hatte, stieg Corso in sein Zimmer hinauf, um noch einmal seine Notizen durchzusehen. Er arbeitete bis spät in die Nacht, das Bett war mit Blättern übersät, die Neun Pforten lagen aufgeschlagen auf dem Kopfkissen. Schließlich war er so erschöpft, daß er beschloß, zur Entspannung heiß zu duschen und dann ins Bett zu gehen. Er war auf dem Weg ins Bad, da läutete das Telefon: Varo Borja, der wissen wollte, was der Besuch bei Fargas gebracht hatte. Der Bücherjäger erzählte ihm kurz das Wichtigste und erwähnte dabei auch die Abweichungen, die er auf fünf der neun Bildtafeln entdeckt hatte.