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»Und was meinen Sie?«

Replinger warf einen verstohlenen Blick auf das DumasPorträt über seiner Ladentür.

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich kein Experte bin, wie etwa mein Freund, Senor Balkan. Ich bin nur ein einfacher Buchhändler, ein Antiquar.« Er machte ein nachdenkliches Gesicht und schien im Geiste abzuwägen, bis zu welchem Grade sein Beruf mit seinen persönlichen Vorlieben zu vereinbaren war. »Aber ich möchte Sie auf etwas hinweisen: zwischen 1870 und 1894 sind in Frankreich drei Millionen Bücher und acht Millionen Fortsetzungsromane erschienen, alle unter dem Namen Alexandre Dumas’. Werke die vor, während und nach Maquet verfaßt worden sind. Wenn das nichts bedeutet!«

»Auf alle Fälle bedeutet es Ruhm zu Lebzeiten«, erwiderte Corso.

»Das steht außer Frage. Ein halbes Jahrhundert lang wurde Dumas in Europa wie ein Gott verehrt. Man las ihn von Kairo bis Moskau, von Istanbul bis Chandigarh. Aus beiden Teilen des amerikanischen Kontinents kamen Dampfer, die vollbeladen mit seinen Büchern zurückkehrten. Dumas hat seine Popularität ausgenützt und das Leben mit allem, was es zu bieten hat, bis zum letzten ausgekostet. Er hat gepraßt und gefeiert, er ist auf die Barrikaden geklettert, er hat sich duelliert und Prozesse geführt, Schiffe befrachtet und aus seiner eigenen Tasche Pensionen verteilt, er hat geliebt, geschlemmt, getanzt, er hat zehn Millionen verdient und zwanzig verschleudert, und zum Schluß ist er sanft wie ein Kind entschlummert ...« Replinger wies mit dem Finger auf die korrigierten weißen Blätter Maquets. »Nennen Sie es, wie Sie wollen: Talent, Genie . Aber was man hier nicht drin hat«, er klopfte sich wie Porthos auf die Brust, »das kann man auch bei anderen nicht abgucken oder improvisieren. Es gibt keinen Schriftsteller, der zu Lebzeiten ruhmreicher war als er. Dumas hat mit nichts angefangen und alles erreicht, was es überhaupt zu erreichen gibt. Als hätte er mit Gott im Bunde gestanden.«

»Ja«, sagte Corso, »oder mit dem Teufel.«

Corso verließ das Geschäft und begab sich zu dem Antiquariat auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Vor der Ladentür waren Holzböcke mit Brettern aufgebaut, auf denen sich im Schutz einer Markise Hunderte von Büchern, alte Drucke und Postkarten stapelten. Das Mädchen kramte darin herum und ließ sich durch seine Ankunft nicht stören. Der feine Flaum in ihrem Nacken und auf den Schläfen flimmerte im Gegenlicht der Sonne.

»Welche würdest du nehmen?« fragte sie ihn und hielt unentschlossen zwei Postkarten vor sich hin. Sie schwankte zwischen einer sepiafarbenen Darstellung von Tristan und Isolde,

die sich umarmten, und Daumiers »Flohmarktbesucher«.

»Kauf doch beide«, schlug Corso vor und beobachtete aus den Augenwinkeln einen Kunden, der an den Tisch herangetreten war und die Hand nach einem Bündel Postkarten ausstreckte. Blitzschnell, wie die Pranke eines Tigers, schoß sein Arm vor und schnappte sich das mit einem Gummi zusammengehaltene Päckchen. Während der Mann schimpfend abzog, machte Corso sich daran, seine Beute zu begutachten, und entdeckte verschiedene interessante Stiche aus dem Umfeld Napoleons: Marie Louise als Kaiserin, die Familie Bonaparte, der Tod des Kaisers und eine Darstellung seines letzten Sieges im Feldzug von 1814: Fin polnischer Lanzenreiter und zwei berittene Husaren schwenkten vor der Kathedrale in Reims Fahnen, die sie dem Feind abgenommen hatten. Nach kurzem Zögern fügte Corso noch Marschall Ney in Galauniform dazu und den betagten Wellington, der für die »Geschichte« posierte. Was für ein Schwein er doch gehabt hatte, der alte Gauner.

Das Mädchen suchte sich auch noch ein paar Postkarten aus. Ihre langen braunen Finger trafen sicher ihre Wahclass="underline" zwei Porträts von Robespierre und Saint-Just und ein elegantes Bild von Richelieu im Kardinalsgewand.

»Sehr passend«, bemerkte Corso in ätzendem Ton.

Sie erwiderte nichts und trat statt dessen auf einen Stoß Bücher zu. Die Sonne, die wie ein Goldregen über ihren Rücken floß, blendete Corso so stark, daß er die Augen zusammenkneifen mußte, und als er sie wieder öffnete, hielt das Mädchen ihm einen dicken Wälzer in Quartformat hin, den sie beiseite gelegt hatte.

»Was hältst du davon?«

Er warf einen Blick auf das Buch: Die drei Musketiere mit den Originalillustrationen von Leloir, in Leinen und Leder gebunden, guter Zustand. Als er die Augen wieder hob, stellte er fest, daß das Mädchen lächelte und ihn erwartungsvoll ansah.

»Hübsche Ausgabe«, bemerkte er nur. »Hast du vor, das zu lesen?«

»Klar doch. Verrate mir nicht, wie es ausgeht.«

Corso lachte leise und humorlos vor sich hin.

»Wenn ich das nur könnte«, sagte er, während er das Postkartenbündel an seinen Platz zurücklegte. »Dir verraten, wie es ausgeht.«

»Ich habe ein Geschenk für dich«, verkündete das Mädchen.

Sie spazierten am linken Ufer entlang, dort, wo die Stände der Straßenhändler sind. Auf der Seinebrüstung waren alte Bücher ausgelegt, und an den Buden hingen Plastik- und Cellophanhüllen mit Stichen. Ein Passagierschiff glitt langsam stromaufwärts, nahe daran abzusaufen unter dem Gewicht von etwa fünftausend Japanern, wie Corso schätzte, und ebenso vielen Videokameras. Auf der anderen Straßenseite linsten affektierte Antiquitätenhändler durch die Scheiben ihrer exklusiven Schaufenster mit Visa- und American-Express-Aufklebern und hielten wie beiläufig Ausschau nach einem Kuwaiter, einem russischen Schwarzhändler oder irgendeinem westafrikanischen Regierungsvertreter, dem sie zum Beispiel das Bidet aus handbemaltem Sèvres-Porzellan von Eugénie Grandet andrehen konnten.

»Ich mag Geschenke nicht«, murmelte Corso mit finsterem Gesicht. »Gewisse Leute haben sich da mal ein hölzernes Pferd schenken lassen. Griechisches Kunsthandwerk, stand auf dem Etikett. Schöne Idioten.«

»War denn keiner dagegen?«

»Doch, einer mit seinen Söhnen. Aber dann sind ein paar Viecher aus dem Meer aufgetaucht und haben eine hübsche Marmorgruppe aus ihnen gemacht. Hellenistisch, wenn ich mich recht entsinne. Schule von Rhodos. In der damaligen Zeit

waren die Götter einfach zu parteiisch.«

»Das waren sie immer.« Das Mädchen starrte in den Fluß, als trieben ihre Erinnerungen in dem trüben Wasser. Corso sah, daß sie nachdenklich und gedankenverloren lächelte. »Ich habe noch nie einen unparteiischen Gott erlebt. Und Teufel auch nicht.« Sie wandte sich unversehens nach ihm um, als habe die Seine ihre Gedanken fortgespült. »Glaubst du an den Teufel, Corso?«

Er betrachtete sie aufmerksam, aber die Bilder, die vor wenigen Sekunden noch ihre Augen erfüllt hatten, schienen in der Strömung untergegangen zu sein. Jetzt herrschte dort nur schillerndes Grün und Licht.

»Ich glaube an die Dummheit und an die Ignoranz«, erwiderte er mit einem müden Lächeln. »Und ich glaube, daß der wirksamste Messerstich der ist, den man jemandem hier rein gibt, siehst du?« Er deutete auf seine Hüfte. »In die Leistengegend. Während man ihn umarmt.«

»Wovor hast du Angst, Corso? Daß ich dich umarme? Daß dir der Himmel auf den Kopf fällt?«

»Ich habe Angst vor hölzernen Pferden, billigem Gin und hübschen Mädchen. Vor allem, wenn sie einem Geschenke bringen. Und wenn sie unter dem Namen der Frau auftreten, die Sherlock Holmes in die Knie gezwungen hat.«

Sie waren weitergegangen und befanden sich jetzt auf den Holzdielen der Pont des Arts. Das Mädchen blieb neben einem Straßenkünstler stehen, der Miniaturaquarelle ausstellte, und stützte sich auf das Eisengeländer der Brücke.