Sally nickte. Ihr Blick richtete sich nach vorn, in die leere Wüste hinein.
»Was also werden Sie tun?«, fragte Tom schließlich.
»Ich reise nach Honduras.«
»Ganz allein?«
»Warum nicht?«
Tom sagte nichts. Es war ihre Sache.
»Hatte Ihr Vater je Ärger wegen seiner Grabräuberei?«
»Ab und an hatte das FBI ein Auge auf ihn. Man konnte ihm aber nichts anhängen. Mein Vater war einfach zu geris-
sen. Ich weiß noch, wie das FBI unser Haus mal auf den Kopf gestellt und ein paar Jadefigürchen beschlagnahmt hat. Er hatte sie gerade aus Mexiko mitgebracht. Ich war damals zehn, und es hat mich schrecklich geängstigt, als sie vor Morgengrauen an unsere Tür klopften. Aber sie konnten nichts beweisen und mussten den ganzen Krempel zurückgeben.«
Sally schüttelte den Kopf. »Menschen wie Ihr Vater sind für die Archäologie die reinste Pest.«
»Ich weiß nicht so recht, ob ich einen großen Unterschied zwischen dem erkennen kann, was mein Vater getan hat, und was die Archäologen tun.«
»Da besteht ein Riesenunterschied«, erwiderte Sally.
»Plünderer verwüsten Grabstätten. Sie reißen die Dinge aus ihrem Zusammenhang. Ein guter Freund von Professor Clyve wurde einmal in Mexiko verprügelt, als er einige Einheimische daran hindern wollte, einen Tempel zu plündern.«
»Tut mir Leid, das zu hören, aber hungernden Menschen kann man es kaum verübeln, wenn sie versuchen, ihre Kinder zu ernähren, und etwas gegen dahergelaufene Nordamerikaner haben, die ihnen vorschreiben wollen, was sie zu tun und zu lassen haben.«
Sally zog eine Schnute, und Tom bemerkte, dass sie verärgert war. Der Wagen schnurrte über den schillernden As-phalt. Tom schaltete die Klimaanlage ein. Er würde froh sein, wenn alles vorüber war. Sein Leben konnte Komplikationen wie Sally Colorado nicht gebrauchen.
Sally warf ihr goldfarbenes Haar nach hinten und verbrei-tete einen leichten Duft von Parfüm und Shampoo. »Trotz-dem stört mich etwas. Es geht mir einfach nicht aus dem Kopf.«
»Was denn?«
»Barnaby und Fenton. Kommt es Ihnen nicht auch seltsam vor, dass die beiden gestorben sind, kurz nachdem sie bei dem angeblichen Raub ermittelt haben? Der Zeitpunkt des Unfalls hat etwas, das mir nicht gefällt.«
Tom schüttelte den Kopf. »Das ist einfach nur Zufall, Sally.«
»Mir kommt er nicht ganz geheuer vor.«
»Ich kenne die Ski Basin Road, Sally. Und Nun's Corner ist eine geradezu mörderische Kurve. Die beiden sind nicht die Ersten, die da ums Leben gekommen sind.«
»Was haben sie überhaupt in der Ski Basin Road gemacht?
Die Skisaison ist doch längst vorbei.«
Tom seufzte. »Wenn Sie sich solche Sorgen machen, rufen Sie doch einfach mal diesen Hernandez an und erkundigen sich danach.«
»Das werde ich auch.« Sally holte ihr Handy aus der Handtasche und gab eine Nummer ein. Tom hörte, wie sie ein halbes Dutzend Mal von einer Telefonistin zur nächsten verbunden wurde, bis sie Hernandez schließlich erreichte.
»Hier ist Sally Colorado«, sagte sie. »Erinnern Sie sich an uns ?«
Pause.
»Ich möchte etwas über den Tod von Barnaby und Fenton wissen.«
Noch eine Pause.
»Was haben die beiden da oben am Ski Basin gemacht?«
Wieder eine lange Wartezeit. Tom ertappte sich dabei, dass er angestrengt lauschte, obwohl er das Gefühl hatte, es sei reinste Zeitverschwendung.
»Ja, eine tragische Sache«, sagte Sally. »Und wo wollten sie diese Angeltour machen?«
Wieder Stille.
»Danke.«
Sally klappte das Telefon zu und schaute Tom an. Tom hatte ein mulmiges Gefühl im Magen, denn ihr Gesicht war bleich geworden.
»Sie sind zum Ski Basin raufgefahren, um einer Meldung über Vandalismus nachzugehen. Es war aber falscher Alarm. Auf dem Rückweg haben die Bremsen ihres Wagens versagt. Sie wollten die Geschwindigkeit reduzieren, indem sie an der Leitplanke entlanggeschlittert sind, aber die Stra-
ße war einfach zu steil. Als sie Nun's Corner erreichten, hatten sie fast hundertfünfzig Sachen drauf.«
»Gott im Himmel!«
»Nach dem Absturz aus einer Höhe von hundertzwanzig Metern und der Explosion war von dem Wagen nicht mehr viel übrig. Man geht aber nicht von Sabotage aus. Der Fall ist besonders tragisch, weil Barnaby und Fenton einen Tag später zu einer großen Tarpon-Angeltour aufbrechen wollten.«
Tom schluckte. Dann stellte er die Frage, die er eigentlich gar nicht stellen wollte. »Wohin?«
»Nach Honduras. In einen Ort namens Laguna de Brus.«
Tom verlangsamte, warf einen Blick in den Rückspiegel, trat auf die Bremse, bis die Reifen kreischten, gab Gas und drehte um.
»Sind Sie verrückt? Was machen Sie denn da?«
»Ich fahre zum nächsten Flughafen.«
»Warum denn?«
»Weil jemand, der zwei Polizisten umbringt, mit Sicherheit auch keine Skrupel hat, meine Brüder zu töten.«
»Glauben Sie, jemand hat von dem versteckten Erbe erfahren?«
»Und ob ich das glaube!« Tom beschleunigte auf den Fluchtpunkt am Horizont zu. »Sieht so aus, als gingen wir gemeinsam nach Honduras.«
13
Philip Broadbent änderte seine Position, um im Innern des Einbaums bequemeren Halt zu finden. Zum vierten oder fünften Mal verschob er die weicheren Bündel der Ausrüstung, damit sie eine Art Sessel bildeten. Das Boot glitt zwischen zwei schweigenden Mauern aus grüner Vegetation flussaufwärts, der Motor schnurrte, der Bug zerschnitt das glatte schwarze Wasser. Es war wie eine Reise durch eine heiße grüne Grotte, in der man die Echos des furchtbaren Kreischens, die Schreie und Pfiffe der Dschungeltiere vernahm. Moskitos bildeten eine beständig surrende Wolke um das Boot und reisten ihnen hinterher. Die Luft war schwül und klebrig. Es war, als atme man Moskitosuppe ein.
Philip zog die Pfeife aus der Tasche, klopfte sie an der Bordwand aus und stopfte sie mit Tabak aus der Dunhill-Dose, die er in einer Tasche seiner Barbour-Safari-Khakikleidung aufbewahrte. Er ließ sich Zeit, um sie anzuzünden, dann blies er eine Rauchwolke in den Moskitoschwarm hinein und sah zu, wie sich in der surrenden Masse eine Schneise bildete, die sich, kaum dass der Rauch verzogen war, wieder schloss. Die Moskito-Küste machte ihrem Namen alle Ehre, denn nicht einmal das Zeug, das Philip sich auf Haut und Kleider gesprüht hatte, bot adäquaten Schutz. Außerdem war es ölig und roch abscheulich. Wahrscheinlich sickerte es sogar in seinen Blutstrom ein und vergiftete ihn obendrein.
Philip murmelte eine Verwünschung und erzeugte eine neue Rauchwolke. Vater und seine gottverfluchten Prüfungen.
Er änderte erneut seine Position. Hier konnte man einfach nicht bequem sitzen. Hauser kam, einen Discman an der Hand, vom Bug des Einbaums zurück und nahm neben ihm Platz. Er roch nicht nach Insektenspray, sondern nach Rasierwasser. Außerdem sah er ebenso kühl und frisch aus, wie Philip sich verschwitzt und klebrig fühlte. Hauser nahm den Kopfhörer ab und ergriff das Wort.
»Gonz hat den ganzen Tag Spuren von Max' Reise gesammelt. Wenn wir morgen nach Pito kommen, wissen wir mehr.«
»Wie kann man auf einem Fluss Spuren sichten?«
Hauser lächelte. »Es ist eine Kunst, Philip. Eine abgerisse-ne Kletterpflanze hier, ein Landeplatz da, und die Markierung einer Stake auf überspülten Sandbänken. Der Fluss ist so träge, dass die Spuren an seinem Boden wochenlang erhalten bleiben.«
Philip zog gereizt an seiner Pfeife. Diese eine Folter seines Vaters wollte er noch ertragen, doch dann war er frei. Endlich frei, um sein Leben zu führen, ohne dass der alte Arsch sich einmischte, an ihm herumkrittelte und wie der Geiz-hals Dagobert Duck Geldpakete verteilte. Zwar liebte er seinen Vater, und auf einer gewissen Ebene fühlte er sich aufgrund seiner Krankheit und seines Todes auch schlecht, doch dies änderte nichts an seinen Gefühlen, was diese Intrige betraf. Sein Vater hatte in seinem Leben viele dämliche Dinge getan, aber dies schlug dem Fass den Boden aus.