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»Es muss schwierig gewesen sein, einen solchen Vater zu haben.«

»Und ob. Ich weiß nicht, wie oft er, wenn ich Tennis spielte, früher ging, weil er nicht zusehen wollte, wie ich verliere. Er war ein unbarmherziger Schachspieler - doch wenn er bemerkte, dass er im Begriff war, einen von uns zu schlagen, stieg er aus dem Spiel aus. Er konnte es nicht ertragen, wenn einer von uns verlor - nicht mal gegen ihn. Wenn die Zeugnisse kamen, hat er nie etwas gesagt, obwohl man an seinem Blick sah, wie enttäuscht er war. Alles unterhalb einer Eins war für ihn eine solche Katastrophe, dass er es nicht über sich brachte, darüber zu reden.«

»Haben Sie je eine Eins gekriegt?«

»Ein Mal. Da hat er mir die Hand auf die Schulter gelegt und mich liebevoll gedrückt. Das war alles. Aber diese Geste hat Bände gesprochen.«

»Tut mir Leid. Wie schrecklich.«

»Jeder von uns hat eine Zuflucht gefunden. Ich fand meine zuerst im Fossiliensammeln - ich wollte eigentlich Paläontologe werden -, dann in den Tieren. Weil sie einen eben nicht beurteilen. Sie verlangen nicht von einem Menschen, ein anderer zu sein. Ein Pferd akzeptiert einen so, wie man ist.«

Tom verfiel in Schweigen. Es verblüffte ihn, dass die Gedanken an seine Kindheit ihn noch so sehr schmerzten. Dabei war er doch schon einunddreißig.

»Tut mir Leid«, sagte Sally. »Ich wollte nicht neugierig sein.«

Tom winkte ab. »Ich hab ja auch nicht vor, ihn zu entthro-nen. Er war - auf seine Weise - ein guter Vater. Vielleicht hat er uns zu sehr geliebt.«

»Tja«, sagte Sally nach einer Weile und stand auf. »Jetzt müssen wir uns einen Führer suchen, der uns den Patuca hinaufbringt. Ich habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll.« Sie nahm das Telefonbuch in die Hand und blätterte es durch. »Ich habe so was noch nie gemacht. Ob es hier überhaupt Einträge unter Abenteuerreisen oder so gibt?«

»Ich habe eine bessere Idee. Wir suchen die Tränke der ausländischen Journalisten hier. Die haben beim Reisen den besten Durchblick.«

»Eins zu null für Sie.«

Sally beugte sich vor, griff eine Hose und warf sie ihm zu.

Ihr folgten ein Hemd, Socken und leichte Laufschuhe. Alles landete in einem Stapel vor Tom. »Die albernen Cowboy-

Stiefel können Sie jetzt ausziehen.«

Tom raffte die Kleider zusammen, ging in sein Zimmer und zog sich um. Das Zeug schien hauptsächlich aus Taschen zu bestehen. Als er zurückkehrte, beäugte Sally ihn mit einem kritischen Blick und meinte: »Nach ein paar Tagen im Dschungel sehen Sie vielleicht nicht mehr so komisch aus.«

»Danke.« Tom ging ans Telefon und rief die Rezeption an.

Die Journalisten schienen in einer Bar herumzuhängen, die Los Charcos hieß.

Es überraschte Tom, dass die Bar nicht die billige Ka-schemme war, die er sich vorgestellt hatte, sondern ein elegantes, mit Holz getäfeltes Lokal neben der Lobby des schönen alten Hotels. Die Klimaanlage machte den Raum fast so kalt wie die Arktis. Ansonsten war die Bar vom Duft feiner Zigarren erfüllt.

»Ich erledige das Reden«, sagte Sally. »Ich spreche besser Spanisch als Sie.«

»Sie sehen auch besser aus.«

Sally runzelte die Stirn. »Solche Witze finde ich gar nicht komisch.«

Sie nahmen am Tresen Platz.

»Hola«, sagte Sally fröhlich zu dem Barmann, einem Typen mit Schlafzimmerblick. »Ich suche den Mann von der New York Times.«

»Mr. Sewell? Ich habe ihn seit dem Hurrikan nicht mehr gesehen, Señorita.«

»Und was ist mit dem Korrespondenten des Wall Street Journal?«

»Wir haben hier keinen Korrespondenten vom Wall Street Journal. Wir sind ein armes Land.«

»Tja, wer ist denn sonst noch hier?«

»Roberto Rodriguez von El Diario ist da.«

»Nein, nein, ich suche einen Amerikaner. Jemanden, der das Land kennt.«

»Würde es auch ein Engländer tun?«

»Aber ja doch.«

»Da drüben«, murmelte der Barmann und deutete mit dem Kinn in die angegebene Richtung, »sitzt Derek Dunn.

Er schreibt ein Buch.«

»Worüber?«

»Über Reisen und Abenteuer.«

»Hat er schon andere Bücher geschrieben? Kennen Sie einen Titel?«

»Sein letztes Buch hieß Langsames Wasser.«

Sally warf einen Zwanzig-Dollar-Schein auf den Tresen und ging zu Dunn hinüber. Tom folgte ihr. Na, wollen wir doch mal sehen, dachte er.

Dunn saß gut versorgt allein da und machte gerade ein Getränk nieder. Er hatte eine blonde Mähne und ein flei-schiges rotes Gesicht. Sally blieb stehen, deutete auf ihn und rief: »He, sind Sie nicht Derek Dunn?«

»Für gewöhnlich bejahe ich diese Frage«, sagte Dunn. Seine Nase und seine Wangen wiesen ein permanentes Rosarot auf.

»Ah, wie aufregend! Langsames Wasser ist eines meiner Lieblingsbücher! Es hat mir sehr gut gefallen!«

Dunn stand auf und reckte seine kräftige Gestalt. Er wirkte gepflegt und in Form und trug abgetragene Khakihosen und ein einfaches kurzärmeliges Baumwollhemd. Er war ein stattlicher Mann, der typische Vertreter des britischen Weltreichs.

»Vielen Dank«, sagte er. »Und wer sind Sie?«

»Sally Colorado.« Sally schüttelte seine Hand.

Wie sie ihn einwickelt, dachte Tom. Er kam sich in den neuen Klamotten, die noch immer nach Textilgeschäft rochen, wie ein Blödmann vor. Im Gegensatz zu ihm wirkte Dunn, als sei er schon am Ende der Welt gewesen.

»Trinken Sie einen mit?«

»Es wäre mir eine Ehre«, rief Sally.

Dunn winkte sie in die Sitzecke neben ihm.

»Ich trinke das Gleiche wie Sie«, sagte Sally.

»Gin Tonic.« Dunn winkte dem Barmann zu, dann fiel sein Blick auf Tom. »Sie können sich ruhig zu uns setzen.«

Tom nahm Platz. Er sagte nichts. Seine Begeisterung für seine Idee nahm allmählich ab. Er mochte den rotgesichtigen Mr. Dunn nicht, der Sally äußerst intensiv in Augenschein nahm - und zwar nicht nur ihr Gesicht.

Der Barmann kam zu ihnen herüber. Dunn sprach Spanisch mit ihm. »Gin Tonic für mich und die Dame. Und ...?«

Sein Blick traf Tom.

»Limonade«, sagte Tom säuerlich.

» Y una limonada«, fügte Dunn hinzu, wobei sein Ton genau das aussagte, was er von Toms Getränkewahl hielt.

»Welch ein Glück, dass wir Sie getroffen haben!«, rief Sally. »So ein Zufall!«

»Sie haben also Langsames Wasser gelesen«, sagte Dunn mit einem Lächeln.

»Es ist eines der besten Reisebücher, die ich je gelesen habe.«

»Das kann man wohl sagen«, bekräftigte Tom.

»Sie haben es auch gelesen?« Dunn wandte sich mit einem erwartungsvollen Blick zu ihm um.

Tom stellte fest, dass der Autor die Hälfte seines Getränks schon verputzt hatte.

»Und ob ich es gelesen habe«, erwiderte er. »Am besten hat mir die Stelle gefallen, an der Sie in die Elefantenkacke gestürzt sind. Es war zum Brüllen.«

Dunn hielt inne. »Elefantenkacke?«

»Kam in Ihrem Buch etwa keine Elefantenkacke vor?«

»In Mittelamerika gibt's doch gar keine Elefanten.«

»Ach. Dann muss ich es wohl mit einem anderen Buch verwechseln. Verzeihen Sie mir.«

Tom sah, wie Sallys grüne Augen sich auf ihn richteten. Er wusste nicht genau, ob sie wütend war oder ein Lachen unterdrückte.

Dunn drehte sich auf seinem Stuhl und wandte Tom den Rücken zu. Seine ganze Aufmerksamkeit galt Sally. »Vielleicht interessiert es Sie ja zu erfahren, dass ich an einem neuen Buch arbeite.«

»Wie aufregend!«

»Es soll Nächte in La Mosquitia heißen. Es geht um die Moskito-Küste.«