Skiba schaute auf die Uhr. Die Börsen hatten geschlossen.
Mit einem ängstlichen, zögernden Gefühl schaltete er den Monitor wieder ein. Späte Schnäppchenjäger hatten die Aktie in den letzten zwanzig Minuten steigen lassen. Sie hatte bei zehneinhalb geschlossen.
Skiba empfand einen Anflug von Erleichterung. So schlecht war der Tag nun eigentlich auch wieder nicht verlaufen.
16
Sally schaute skeptisch auf den Schrotthaufen von einem Flugzeug, den zwei Arbeiter aus dem schäbigen Hangar rollten.
»Vielleicht hätten wir die Maschine überprüfen sollen, bevor wir die Tickets gekauft haben«, sagte Tom zu ihr.
»Die ist bestimmt in Ordnung«, erwiderte Sally, als wolle sie sich selbst Mut machen.
Der Pilot, ein hagerer, bärtiger Amerikaner mit zwei langen Zöpfen - er trug ein zerfetztes T-Shirt und kurze Hosen
-schlenderte auf sie zu und stellte sich als John vor. Tom be-
äugte ihn, dann musterte er die Maschine mit einem argwöhnischen Blick.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte John grinsend. »Sieht aus wie ein Haufen Müll.« Er pochte mit den Fingerknöcheln auf den Rumpf des Flugzeugs, bis es schepperte. »Aber es kommt drauf an, was unter der Haube ist. Ich halt die Kiste selbst in Schuss.«
»Sie glauben nicht, wie mich das beruhigt«, meinte Tom.
»Sie wollen also nach Brus?«
»Stimmt.«
John warf einen Blick auf ihr Gepäck. »Wollen Sie Tarpons fischen?«
»Nein.«
»Einen besseren Platz werden Sie nirgendwo finden. Leider gibt's da sonst nichts.« John öffnete ein Fach an der Seite der Maschine und schob das Gepäck mit seinen dürren Armen hinein. »Was wollen Sie denn da?«
»Wissen wir noch nicht genau«, antwortete Sally schnell.
Je weniger sie über ihr Vorhaben erzählten, desto besser. Es hatte keinen Sinn, eine Stampede auszulösen, die sich den Fluss hinauf begab.
Der Pilot schob die letzte Tasche ins Fach, versetzte ihr ein paar Hiebe, damit sie auch reinpasste, und schlug die blechern scheppernde Luke zu. Nach drei Versuchen war sie endlich im Schloss. »Wo wohnen Sie in Brus?«
»Das haben wir auch noch nicht entschieden.«
»Es geht nichts über Vorausplanung«, sagte John. »Na ja, es gibt da ohnehin nur ein Hotel, das La Perla.«
»Wie viele Sterne hat es im Michelin?«
John lachte kurz. Dann öffnete er die Passagierluke, schwang die Treppe ins Freie, und sie kletterten an Bord.
John folgte ihnen. Als er hereinkam, glaubte Tom einen leichten Hauch von Marihuana zu riechen. Großartig.
»Wie lange fliegen Sie schon?«, wollte er wissen.
»Zwanzig Jahre.«
»Hatten Sie schon mal einen Unfall?«
»Einmal. Hab in Paradiso ein Schwein angefahren. Ein paar Scherzkekse hatten die Landebahn nicht gemäht, und das blöde Vieh schlief im hohen Gras. Es war ein riesiges Schwein.«
»Haben Sie eine Instrumentbewertung?«
»Na ja, sagen wir mal, ich weiß, wie man Instrumente be-dient. Hier gibt's wenig Bedarf für amtliche Bewertungen; jedenfalls nicht bei Buschfliegern.«
»Haben Sie einen Flugplan eingereicht?«
John schüttelte den Kopf. »Ich brauch doch nur an der Küste entlangzufliegen.«
Die Maschine hob ab. Es war ein herrlicher Tag. Sally war ganz aufgeregt, als sie in die Kurve gingen und der Sonnenschein über der Karibik schillerte. Sie folgten der tief liegenden, flachen Küste mit den zahlreichen Lagunen und den vor dem Festland liegenden Inseln; sie muteten wie grüne Dschungelteile an, die vom Hauptland abgebrochen und ins Meer hinausgetrieben waren. Sally konnte erkennen, wo die Straßen ins Landesinnere verliefen, wo sie an unregelmäßig geformte Felder oder gezackte Flecken grenzten, an denen man erst kürzlich Bäume gefällt hatte. Tief im Innern sah sie eine gezackte Reihe blauer Berge, deren Gipfel bis in die Wolken reichten.
Sally warf Tom einen Blick zu. Die Sonne hatte sein hell-braunes Haar gebleicht und mit Gold gesprenkelt. Er war hager, hoch gewachsen, drahtig und bewegte sich auf eine cowboyhafte Art, die ihr gefiel. Sie fragte sich, wie jemand hundert Millionen Dollar einfach so verschmähen konnte.
Das hatte sie mehr beeindruckt als alles andere. Sie war lang genug auf dieser Welt, um zu wissen, dass Leute mit Geld sich viel mehr um ihre Finanzen sorgten als jene, die keines hatten.
Tom wandte sich um und schaute sie an. Sally lächelte schnell und blickte wieder aus dem Fenster. Je weiter die Küste nach Osten verlief, desto wilder wurde die Landschaft unter ihnen und die Lagunen weitläufiger und kom-
plizierter. Schließlich kam die bisher größte Lagune ins Blickfeld. Sie war mit Hunderten von winzigen Inseln gesprenkelt. Ein großer Fluss mündete in das gegenüberliegende Ende. Als sie zum Anflug abdrehten, sah Sally dort, wo der Fluss sich mit der Lagune verband, eine Ortschaft; eine Ansammlung glänzender Blechdächer, von einem Wirrwarr unregelmäßiger Felder umgeben. Sie lagen wie zerrissene Lumpenfetzen auf der Landschaft. Der Pilot beschrieb einen Kreis, dann hielt er auf den Landeplatz zu, der sich, als sie näher kamen, als Wiese entpuppte. Er setzte nach Sallys Ansicht sehr schnell zur Landung an, und obwohl sie dem Boden immer näher kamen, schien die Maschine weiter zu beschleunigen. Sally hielt sich an den Sitz-lehnen fest. Die Landebahn raste unter ihnen dahin, aber die Maschine ging nicht tiefer. Dann sah sie, wie die Mauer aus Dschungellaubwerk am anderen Ende mit höchster Geschwindigkeit auf sie zu kam.
»Herrgott«, rief Sally. »Sie schießen über die Landebahn hinaus!«
Die Maschine stieg schnell und leicht wieder hoch. Der Dschungel flog unter ihnen dahin. Die Baumwipfel waren kaum fünf Meter unter ihnen. Als sie aufstiegen, hörte Sally Johns trockenes Lachen in ihrem Kopfhörer. »Immer mit der Ruhe, Sal. Ich bin nur mal über die Landebahn gefegt, um sie zu säubern. Ich hab meine Lektion nämlich gelernt.«
Als die Maschine abschwenkte und erneut zur Landung ansetzte, lehnte Sally sich zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Nett von Ihnen, dass Sie uns warnen.«
»Ich hab euch doch von dem Schwein erzählt ...«
Sie bezogen in der Stadt im La Perla Quartier, einer Klinkerhütte, die sich Hotel nannte. Dann gingen sie zum Fluss hinunter, um zu schauen, wo man ein Boot mieten konnte.
Sie schlenderten durch die schmutzigen Gassen von Brus.
Es war Nachmittag, die Hitze hatte die Luft lustlos und tot gemacht. Alles war still, am Boden standen Unmengen dampfende Pfützen. Der Schweiß lief Sally aus den Ärmeln, am Hals hinab und zwischen ihre Brüste. Sie hatte den Eindruck, dass alle vernünftigen Menschen Siesta hielten.
Am anderen Ende der Ortschaft stießen sie auf den Fluss.
Er lag zwischen steilen erdigen Ufern, war etwa zweihundert Meter breit und hatte die Farbe von Mahagoni. Er schlängelte sich zwischen dichten Urwaldmauern dahin und roch schlammig. Das zähflüssige Wasser bewegte sich träge, an der Oberfläche kräuselten sich Strudel und Wirbel. Hier und da trieben langsam grüne Blätter oder Zweige flussabwärts. Ein Gehweg aus Balken führte von der steilen Uferstraße nach unten und endete an einer Bambusrohr-plattform, die über dem Wasser errichtet worden war und einen wackeligen Kai bildete. Vier Einbaumkanus lagen dort vertäut. Sie waren etwa zehn Meter lang, eins zwanzig breit und bestanden aus riesigen Baumstämmen, die sich zu einem lanzenähnlichen Bug verjüngten. Ihr Heck war flach abgeschnitten und mit einem Brett versehen, an dem man kleine Außenbordmotoren befestigen konnte. Vorn und hinten angebrachte Bretter dienten als Sitzfläche.
Sie kletterten die Uferstraße hinab, um einen besseren Überblick zu gewinnen. Sally stellte fest, dass drei der Einbäume mit 6-PS-Evinrude-Motoren ausgerüstet waren. Das vierte war länger und schwerer und verfügte über eine 18-PS-Maschine.