Tom und Sally ließen sich zum Jeep bringen. Der Leutnant verfrachtete Tom auf den Rücksitz und schubste Sally neben ihn. Ihre Rucksäcke und ihr Gepäck waren schon aus dem Hotel geholt und im hinteren Teil des Fahrzeugs verstaut worden. Der Jeep fuhr über die Straße, die zur Landebahn führte. Dort wartete im Gras ein schäbiger Militär-hubschrauber auf sie. Eine Metallplatte an der Seite des Hubschraubers fehlte, und ein Mann fummelte mit einem Schraubenschlüssel am Triebwerk herum. Der Jeep kam schlitternd zum Stehen.
»Was machen Sie da?«, fragte der Leutnant jäh auf Spanisch.
»Tut mir Leid, Teniente, aber wir haben ein kleines Problem. «
»Was für ein Problem?«
»Wir brauchen ein Ersatzteil.«
»Können Sie ohne nicht fliegen?«
»Nein, Teniente.«
»Gottverdammte Scheiße! Wie oft geht dieser Hubschrauber denn noch aus dem Leim?«
»Soll ich per Funk darum ersuchen, dass man uns eine Maschine mit dem Ersatzteil schickt?«
»Bei Josefs Klöten! Ja, Sie Null, funken Sie nach dem Teil!«
Der Pilot kletterte in den Hubschrauber, setzte seinen Funkspruch ab und kam wieder heraus. »Wir kriegen es morgen früh, Teniente. Eher geht es nicht.«
Der Leutnant schloss sie in eine Holzhütte ein, die neben der Landebahn stand, und ließ die beiden Soldaten davor Posten beziehen. Nachdem die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, setzte sich Tom auf ein leeres 150-Liter-Fass und hielt sich seinen schmerzenden Schädel.
»Wie geht's Ihnen?«, fragte Sally.
»Als wäre mein Kopf ein Messinggong, den gerade jemand geschlagen hat.«
»Er hat wirklich böse zugehauen.«
Tom nickte.
Es klapperte, dann wurde die Tür wieder aufgerissen. Der Leutnant stand draußen und beobachtete, wie seine Männer ihre Schlafsäcke und eine Taschenlampe zu ihnen her-einwarfen. »Ich bedauere diese Umstände wirklich.«
»Sie werden Sie erst richtig bedauern, wenn ich Sie ange-zeigt habe«, erwiderte Sally.
Der Leutnant ignorierte sie. »Ich möchte Ihnen raten, nichts Dummes zu tun. Es wäre bedauerlich, wenn jemand erschossen würde.«
»Sie würden es nicht wagen, uns zu erschießen, Sie Möch-tegern-Nazi«, sagte Sally.
Die Zähne des Leutnants glitzerten silbergelb im schwachen Licht. »Bekanntlich ist Amerikanern, die nach La Mosquitia kommen, ohne sich ausreichend auf den Dschungel vorbereitet zu haben, schon so mancher Unfall zugestoßen.«
Er zog sich zurück, und die Soldaten knallten die Tür zu.
Tom hörte die gedämpfte Stimme des Leutnants, die den Soldaten klar machte, dass er ihnen eigenhändig die Eier abschneiden würde, wenn sie während der Wache ein-schliefen oder tranken. Anschließend würde er sie trocknen und als Türklopfer verwenden.
»Verdammte Nazis«, schimpfte Sally. »Danke, dass Sie mich verteidigt haben.«
»Hat ja nicht viel gebracht.«
»Hat er Sie fest geschlagen?« Sally schaute sich seinen Kopf an. »Die Beule da ist echt fies.«
»Mir fehlt nichts weiter.«
Sally nahm neben ihm Platz. Tom spürte die Wärme ihrer Nähe. Er schaute sie an und sah ihr sich im Halbdunkel der Hütte schwach abzeichnendes Profil. Sie schaute ihn ebenfalls an. Sie waren sich so nahe, dass er die Wärme ihres Gesichts an dem seinen spürte und das Kräuseln ihrer Lippen und das kleine Grübchen auf ihrer Wange und ein paar Sommersprossen auf ihrer Nase sah. Sie duftete noch immer nach Pfefferminz. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was er tat, beugte er sich vor und seine Lippen streiften die ihren. Einen Moment lang rührte sich keiner, dann wich Sally jäh zurück. »Das ist keine gute Idee!«
Ja, was glaubt sie denn, verdammt? Tom wich ebenfalls zurück. Er war wütend und fühlte sich gedemütigt.
Der unbehagliche Augenblick wurde durch ein plötzliches Klopfen an die Tür unterbrochen. »Abendessen«, brüllte einer der Soldaten. Die Tür flog kurz auf. Licht fiel hinein, dann wurde die Tür wieder zugeworfen. Tom hörte, wie der Mann sie verschloss.
Er richtete den Strahl der Taschenlampe auf die Tür, dann nahm er das Tablett an sich. Das Abendessen bestand aus zwei Dosen warmer Pepsi, einigen Tortillas mit Bohnen und einem Häufchen lauwarmem Reis. Keinem war nach Essen zumute, also saßen sie nur eine Weile in der Dunkelheit da. Der Schmerz in Toms Schädel ließ nach, und je mehr er nachließ, desto wütender wurde er. Die Soldaten hatten kein Recht, so mit ihnen umzuspringen. Sally und er hatten nichts getan. Er hatte irgendwie das Gefühl, dass ihre Scheinfestnahme von eben von dem namenlosen Gegner bewerkstelligt worden war,
der Barnaby und Fenton umgebracht hatte. Seine Brüder waren in größerer Gefahr, als er angenommen hatte. »Geben Sie mir doch mal die Taschenlampe.« Tom leuchtete ihr Gefängnis aus. Unbeholfener hätte man eine Hütte kaum bauen können. Sie bestand nur aus Balken, daran festgena-gelten Brettern und einem Blechdach. Langsam nahm eine Idee in seinem Kopf Gestalt an - ein Fluchtplan.
18
Um 3.00 Uhr nachts nahmen sie ihre Plätze ein: Sally an der Tür und Tom an der Wand gegenüber. Er zählte leise bis drei, dann traten sie gleichzeitig zu. Die Tritte, die Sally der Tür verpasste, überlagerten den Lärm, den Tom vollführte, als er gegen die Bretter an der hinteren Wand trat. Ihre gemeinsame Aktion verband sich zu einem Radau, der laut in dem engen Raum widerhallte. Wie Tom gehofft hatte, löste sich das schäbige Brett.
Im nahe liegenden Dorf fingen Hunde an zu bellen. Einer der Soldaten stieß eine Verwünschung aus. »Was macht ihr da?«, schrie er durch die Tür.
»Ich muss mal!«, brüllte Sally.
»Nein, nein, Sie müssen es da drin erledigen!«
Tom legte einen weiteren Countdown vor - eins, zwei, drei: Rums. Sally versetzte der Tür noch einen Tritt, und Tom trat das zweite Brett ab.
»Aufhören!«, schrie der Soldat.
»Aber ich muss doch mal, Cabrón!«
»Tut mir Leid, Señorita, aber Sie müssen es da drin erledigen. Ich habe den Befehl, die Tür nicht zu öffnen.«
Eins, zwei, drei: Rums!
Das dritte Brett löste sich. Die Öffnung war nun groß genug, um sich hindurchzuzwängen. Die Hunde im Ort bellten hysterisch.
»Wenn Sie noch mal treten, rufe ich den Teniente!«
»Aber ich muss mal!«
»Da kann ich auch nichts dran ändern.«
»Ihr Soldaten seid Barbaren.«
»Wir haben Befehle, Señorita.«
»Das haben Hitlers Schergen auch gesagt.«
»Lassen Sie uns abhauen, Sally«, zischte Tom ihr durch die Dunkelheit zu.
»So schlecht war Hitler nun auch wieder nicht, Señorita.
Bei ihm sind die Züge pünktlich gefahren.«
»Das war bei Mussolini, Sie Schwachkopf. Sie und Ihr Kollege werden noch am Galgen enden, dann sind wir Sie Gott sei Dank los!«
»Sally!«, rief Tom.
Sally kehrte zu ihm zurück. »Haben Sie gehört, was dieser Nazi gerade gesagt hat?«
Tom schob Sally durch das Loch und reichte ihr die Schlafsäcke. Sie liefen geduckt über den Dschungelpfad zum Ort. Dort gab es zwar keinen Strom, aber der Himmel war klar und der Mondschein beleuchtete die leeren Straßen. Da die Hunde ohnehin schon bellten, konnten sie den Ort durchqueren, ohne weiteren Alarm auszulösen. Trotz des Lärms rührte sich kein Mensch.
Die Leute haben gelernt, dass es besser ist, wenn sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, dachte Tom.
Fünf Minuten später waren sie bei den Booten. Tom ließ den Strahl der Taschenlampe über den Militär-Einbaum schweifen. Das war das Boot mit dem 18-PS-Motor. Es war gut in Schuss und verfügte über zwei große Kunststoff-tanks, die beide voll waren. Tom löste die Vertäuung am Bug. Plötzlich hörte er eine Stimme, die sich leise aus der Finsternis meldete.