»Krank? Ist es etwas Ansteckendes?«
»Nein. Er ist, wie man in Ihrer Sprache sagt, ein bisschen loco, mehr nicht. Es geht um ein Spiel, das er mit seinen Söhnen spielt.«
Don Alfonso dachte eine Weile nach, dann schüttelte er den Kopf. »Ich habe Yanquis viele eigenartige Dinge tun sehen, aber dies hier ist mehr als eigenartig. Ich habe das Gefühl, dass Sie mir etwas verschweigen. Doch wenn ich Ihnen helfen soll, müssen Sie mir alles erzählen.«
Tom seufzte und schaute Sally an. Sie nickte. »Er hat nicht mehr lange zu leben. Er ist mit seinem gesamten Besitz flussaufwärts gefahren, um sich bestatten zu lassen. Und er hat uns die Aufgabe gestellt, sein Grab zu finden, wenn wir unser Erbe haben wollen.«
Don Alfonso nickte, als sei dies die natürlichste Sache der Welt. »Ja, ja, so etwas haben wir Tawahka-Indianer früher auch gemacht. Wir haben uns mit unserem Besitz bestatten lassen und unsere Söhne verärgert. Aber dann kamen die Missionare und haben uns erklärt, dass Jesus uns im Himmel neue Dinge schenkt und wir die Toten ohne Beigaben bestatten sollen. Also haben wir den Brauch aufgegeben.
Aber ich glaube, dass die alte Methode besser war. Außerdem weiß ich nicht genau, ob Jesus wirklich alles für die Verstorbenen hat. Die Bilder, die ich von ihm gesehen habe, zeigen einen armen Mann ohne Kochtöpfe, Schweine, Hühner und Schuhe. Er hatte nicht einmal eine Ehefrau.«
Don Alfonso zog laut die Nase hoch. »Aber vielleicht ist es auch besser, wenn man seinen Besitz mit ins Grab nimmt, weil sich die Söhne dann nicht darum streiten. Sie streiten sich doch schon darum, wenn man noch lebt. Deswegen habe ich alles, was mir gehört, meinen Söhnen und Töchtern geschenkt und lebe wie ein armer Hund. Es ist respek-tabel, so zu leben. Nun haben meine Söhne keinen Grund, sich um etwas zu streiten und ... Was noch wichtiger ist: Sie wollen gar nicht, dass ich sterbe.«
Er beendete seine Rede und klemmte sich die Pfeife wieder zwischen die Zähne.
»Sind noch andere Weiße hier vorbeigekommen?«, fragte Sally.
»Vor zehn Tagen haben zwei Einbäume mit vier Männern hier Rast gemacht. Es waren zwei Weiße und zwei Bergindianer. Ich dachte, der Jüngere könnte vielleicht Jesus Christus sein, aber in der Missionsschule habe ich erfahren, dass er nur ein Hippie ist. Sie sind einen Tag geblieben und dann weitergefahren. Dann sind vor einer Woche vier Einbäume mit Soldaten und zwei Gringos hier angekommen. Sie haben Don Orlando als Führer eingestellt und sind weitergezogen. Deswegen frage ich mich, warum plötzlich all diese verrückten Yanquis in den Meambar-Sumpf wollen. Suchen sie alle nach dem Grab Ihres Vaters?«
»Ja. Es sind meine beiden Brüder.«
»Warum suchen Sie nicht zusammen?«
Tom antwortete nicht.
»Sie haben die Bergindianer erwähnt«, sagte Sally, »die mit dem ersten Weißen hier waren. Wissen Sie, woher sie kamen?«
»Es waren nackte Wilde aus dem Hochland, die sich rot und schwarz anmalen. Sie sind keine Christen. Wir hier in Pito Solo sind ein bisschen christlich. Nicht sehr, aber es reicht, um als Christen durchzugehen, wenn die Missionare mit ihrem nordamerikanischen Essen und den Medikamen-
ten da sind. Dann singen und klatschen wir für Jesus. So bin ich zu meiner neuen Brille gekommen.« Don Alfonso nahm sie ab und hielt sie Tom hin, damit er sie begutachten konnte.
»Don Alfonso«, sagte Tom, »wir brauchen einen Führer, der uns flussaufwärts bringen kann. Außerdem brauchen wir Proviant und Ausrüstung. Können Sie uns helfen?«
Don Alfonso stieß ein Rauchwölkchen aus, dann nickte er.
»Ich bringe Sie hin.«
»Oh, nein«, sagte Tom und schaute den schwachen Greis erschrocken an. »Darum habe ich nicht gebeten. Wir können Sie doch nicht aus dem Dorf entführen, wo man Sie braucht.«
»Mich soll jemand brauchen? Hier würden sich alle freuen, wenn sie den alten Don Alfonso endlich los wären!«
»Aber Sie sind doch der Häuptling.«
»Häuptling? Pah!«
»Es wird eine sehr lange Reise werden«, meinte Tom.
»Das ist doch nichts für einen Mann Ihres Alters.«
»Ich bin noch immer so stark wie ein Tapir! Ich bin jung genug, um noch mal zu heiraten. Offen gesagt, ich brauche dringend eine Sechzehnjährige, die den leeren Platz in meiner Hängematte einnimmt und mich jeden Abend mit leisen Seufzern und Küssen in den Schlaf bumst ...«
»Don Alfonso ...«
»Ich brauche eine Sechzehnjährige, die mich scharf macht und mir die Zunge ins Ohr schiebt, damit ich morgens mit den Vögeln aufstehe. Sie brauchen sich jetzt keine Sorgen mehr zu machen: Ich, Don Alfonso Boswas, werde Sie durch den Meambar-Sumpf führen.«
»Nein«, sagte Tom so entschlossen, wie er nur konnte.
»Das werden Sie nicht tun. Wir brauchen einen jüngeren Führer.«
»Es ist unvermeidlich. Ich habe geträumt, dass Sie kommen und dass ich mit Ihnen gehe. Es ist so beschlossen. Ich spreche Englisch und Spanisch, aber Spanisch ist mir lieber.
Ich habe Angst vor dem Englischen. Die Sprache klingt so, als würde jemand erwürgt.«
Tom schaute Sally wütend an. Der Greis war unmöglich.
In diesem Moment kehrte Marisol mit ihrer Mutter zurück. Beide trugen mit Palmwedeln belegte Schneidebretter aus Holz, auf denen frische heiße Tortillas, gebratene Bananen, geröstetes Fleisch, Nüsse und frisches Obst lagen.
Tom war noch nie im Leben so hungrig gewesen. Er und Sally fingen gleich an zu schlemmen, wobei Don Alfonso ihnen half und Marisol und ihre Mutter in zufriedenem Schweigen zuschauten. Während des Essens erstarb das Gespräch. Als Tom und Sally fertig waren, nahm die Frau schweigend die Teller an sich, füllte sie erneut, und dann noch ein drittes Mal.
Als sie satt waren, lehnte Don Alfonso sich zurück und wischte sich den Mund ab.
»Hören Sie«, sagte Tom so amtlich wie möglich. »Ob Sie es nun geträumt haben oder nicht, Sie kommen nicht mit. Wir brauchen einen jüngeren Mann.«
»Oder eine Frau«, sagte Sally.
»Ich nehme zwei junge Männer mit: Chori und Pingo. Ich bin außer Don Orlando der Einzige, der den Weg durch den Meambar-Sumpf kennt. Ohne Führer werden Sie sterben.«
»Ich muss Ihr Angebot ablehnen, Don Alfonso.«
»Sie haben nicht mehr viel Zeit. Die Soldaten sind hinter Ihnen her.«
»Sie waren hier?«, fragte Tom erschrocken.
»Sie waren heute Morgen da. Und sie kommen zurück.«
Tom schaute Sally an, dann wandte er sich wieder Don Alfonso zu. »Wir haben nichts Schlimmes getan. Ich kann Ihnen erklären ...«
»Sie brauchen nichts zu erklären. Die Soldaten sind böse.
Wir müssen sofort Maßnahmen ergreifen. - Marisol?«
»Ja, Großvater?«
»Wir brauchen Planen, Zündhölzer, Benzin, Zweitakter-Maschinenöl, Werkzeug, eine Bratpfanne, einen Kochtopf, Bestecke und Feldflaschen.« Er ratterte eine ganze Liste von Gegenständen herunter.
»Haben Sie Medikamente?«, fragte Tom.
»Dank der Missionare haben wir viele nordamerikanische Medikamente. Wir haben Jesus eifrig beklatscht, um an sie heranzukommen. - Marisol, sag den Leuten, sie sollen uns die Sachen zu einem angemessenen Preis verkaufen.«
Marisol eilte hinaus. Ihre Zöpfe flogen. Kaum zehn Minuten später kehrte sie zurück und führte eine Gruppe alter Männer, Frauen und Kinder an, die alle irgendetwas dabei-hatten. Don Alfonso blieb in der Hütte. Niedere Tätigkeiten wie Handel waren unter seiner Würde. Marisol hielt die Menge in Schach.
»Kauft, was ihr wollt, und sagt den anderen, sie sollen gehen«, empfahl Marisol. »Sie werden euch den Preis nennen.
Feilscht nicht herum; das ist bei uns nicht üblich. Sagt nur Ja oder Nein. Die Preise sind angemessen.«
Sie sprach laut auf die zerlumpten Menschen ein, die sich in einer Linie aufbauten und sich reckten.