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»Die wird mal hier Häuptling werden«, sagte Tom auf Englisch zu Sally, als sein Blick auf die ordentlich ausge-richtete Warteschlange fiel.

»Ist sie jetzt schon.«

»Wir sind so weit«, erklärte Marisol. Sie deutete auf den ersten Mann in der Reihe. Er trat vor und hielt ihnen fünf alte Jutesäcke hin.

»Vierhundert«, sagte Marisol.

»Dollar?!«

»Lempiras.«

»Wie viele Dollar sind das?«, fragte Tom.

»Zwei.«

»Wir nehmen sie.«

Der nächste Mann trat mit einem großen Sack Bohnen, einem Sack losem trockenem Getreide und einem unbeschreiblich zerbeulten Aluminiumtopf mit Deckel vor. Der ursprüngliche Griff fehlte, doch an seiner Stelle befand sich ein wunderschön geschnitzter und eingeölter Ersatz aus Hartholz. »Einen Dollar.«

»Wir nehmen alles.«

Der Mann legte die Gegenstände ab und zog sich zurück.

Dann trat der nächste vor und bot ihnen zwei T-Shirts, zwei schmutzige Shorts, eine Trucker-Mütze und ein nagelneues Paar Turnschuhe der Marke Nike an.

»Na, endlich hab ich was zum Wechseln«, meinte Tom. Er schaute sich die Schuhe an. »Zufällig ist das sogar meine Größe. Das muss man sich mal vorstellen: Da findet man ausgerechnet hier ein nagelneues Paar Air Jordans.«

»Die werden hier hergestellt«, erklärte Sally. »Haben Sie den Schwitzbuden-Skandal schon vergessen?«

»Keineswegs.«

Die Warenprozession ging weiter: Kunststoffplanen, Säk-ke mit Bohnen und Reis, getrocknetes und geräuchertes Fleisch, über das Tom sich Fragen zu stellen verbiss; Bananen, ein 150-Liter-Benzinfass, eine Tüte Salz. Eine ganze Reihe von Leuten war mit Dosen eines besonders starken, vorzüglichen Insektenabwehrmittels aufgetaucht, das Tom höflich ablehnte.

Plötzlich verstummte die Menge. Tom hörte in der Ferne das Summen eines Außenbordmotors. Marisol ergriff sofort das Wort: »Kommen Sie mit in den Wald. Schnell!«

Die Menge löste sich rasch auf. Im Dorf wurde es still, es wirkte wieder wie ausgestorben. Marisol ging ihnen ruhig in den Wald voraus, wobei sie einem fast unsichtbaren Pfad folgte. Zwischen den Bäumen waberte zwielichtiger Dunst dahin. Rings um sie her war überall Sumpf, doch der Pfad schlängelte sich hier und da entlang und blieb stets auf festem Boden. Hinter ihnen verstummten die Geräusche aus dem Dorf, dann hüllte der Schutz des Waldes sie ein. Nach einer zehn Minuten langen Wanderung blieb Marisol stehen.

»Wir warten hier.«

»Wie lange?«

»Bis die Soldaten weg sind.«

»Was ist mit unserem Boot?«, fragte Sally. »Werden sie es nicht erkennen?«

»Wir haben Ihr Boot schon versteckt.«

»Das war eine gute Idee. Danke.«

»Gern geschehen.« Das selbstbewusste Mädchen richtete den Blick seiner dunklen Augen wieder auf den Pfad und wartete so reglos und still wie ein Reh.

»In welche Schule gehst du?«, fragte Sally kurz darauf.

»In die der Baptisten. Sie liegt flussabwärts.«

»Eine Missionsschule?«

»Ja.«

»Bist du Christin?«

»Aber ja«, sagte Marisol und schaute Sally mit einem erns-ten Blick an. »Sie nicht?«

Sally errötete. »Nun ... ähm ... Meine Eltern waren Christen.«

»Das ist gut«, sagte Marisol lächelnd. »Würde mir nicht gefallen, wenn Sie in die Hölle kämen.«

»Tja«, sagte Tom in die unbehagliche Stille hinein. »Marisol, ich würde gern wissen, ob es außer Don Alfonso noch jemanden im Dorf gibt, der den Weg durch den Meambar-Sumpf kennt.«

Marisol schüttelte ernst den Kopf. »Er ist der Einzige.«

»Ist der Sumpf schwierig zu durchqueren?«

»Und wie.«

»Warum ist er so sehr darauf aus, uns zu führen?«

Marisol schüttelte nur den Kopf. »Das weiß ich nicht. Er hat Träume und Visionen, und davon hat er auch geträumt.«

»Er hat wirklich geträumt, dass wir kommen?«

»Aber ja. Als der erste Weiße kam, hat er gesagt, bald kämen auch seine Söhne. Und jetzt sind Sie da.«

»Vielleicht hat er's ja nur vermutet und einen Glückstref-fer gelandet«, sagte Tom auf Englisch.

In der Ferne fiel ein Schuss und warf sein Echo durch den Urwald. Dann noch einer. Er rollte wie Donner, da der Dschungel ihn auf eigenartige Weise verzerrte. Es dauerte lange, bis das Echo verhallte. Die Auswirkungen des Geräusches auf Marisol waren schrecklich. Sie wurde bleich, zitterte und wankte. Aber sie sagte nichts und rührte sich nicht von der Stelle. Tom empfand Bestürzung. War jemand erschossen worden?

»Die erschießen doch da niemanden?«, fragte er.

»Ich weiß nicht.«

Tom sah, dass Marisols Augen sich mit Tränen füllten.

Doch sie verriet kein Gefühl.

Sally tastete nach Toms Hand. »Vielleicht erschießen sie jemanden, weil sie uns nicht finden können. Vielleicht sollten wir uns stellen.«

»Nein«, sagte Marisol jäh. »Vielleicht schießen sie nur in die Luft. Wir können jetzt nur abwarten.« Eine einzelne Träne lief ihr über die Wange.

»Wir hätten nie hier anhalten sollen«, sagte Sally und wechselte wieder ins Englische. »Wir haben kein Recht, diese Leute in Gefahr zu bringen. Tom, wir müssen ins Dorf zurück und uns den Soldaten stellen.«

»Sie haben Recht.« Tom wandte sich zum Gehen.

»Wenn Sie zurückkehren, werden sie uns erschießen«, sagte Marisol. »Gegen die Soldaten sind wir machtlos.«

»Damit kommen sie nicht ungestraft durch«, sagte Sally mit bebender Stimme. »Ich melde es der amerikanischen Botschaft. Die Soldaten werden ihrer Strafe nicht entgegen.«

Marisol schwieg. Sie stand nun wieder still da, wie ein Reh, und zitterte kaum merklich. Aber sie weinte nicht mehr.

21

Lewis Skiba blieb allein in seinem Büro zurück. Es war zwar noch früh am Nachmittag, aber er hatte alle nach Hause geschickt, damit sie der Presse nicht in die Hände liefen. Er hatte das Bürotelefon ausgestöpselt und die beiden Außentüren zugemacht. Während die Firma sich rings um ihn auflöste, war er in einen Kokon des Schweigens gehüllt, verpackt in das goldene Leuchten der Marke Eigen-bau.

Die Securities and Exchange Commission hatte nicht einmal bis zum Börsenschluss gewartet, um bekannt zu geben, dass sie die Ermittlungen hinsichtlich der

Unregelmäßigkeiten in der Buchhaltung von Lampe-Denison Pharmaceuticals aufgenommen hatte. Die Bekanntmachung hatte sich wie ein Paukenschlag auf die Aktie ausgewirkt. Nun stand Lampe bei sieben ein Viertel und fiel weiter. Das Unternehmen war wie ein im Sterben liegender Wal - gelähmt, sich suhlend, von einem ekstatischen, geistlosen Schwarm von Haien umgeben: Leerverkäufern, die ihn stückweise zerfetzten. Es war ein primitiver darwinistischer Fressrausch. Und jeder Dollar, den sie aus dem Aktienpreis herausbissen, riss ein Hundert-Millionen-Dollar-Loch in Lampes Marktkapitel.

Skiba war hilflos.

Die Firmenanwälte hatten ihre Pflicht getan. Sie hatten die übliche Meldung herausgegeben, dass die Behauptungen

»haltlos« seien und Lampe bereitwillig kooperieren würde, um seinen Namen sauber zu halten. Graff, der Finanzchef, hatte seine Rolle gespielt und verlautbaren lassen, Lampe sei gewissenhaft den allgemein akzeptierten Buchhaltungs-prinzipien gefolgt. Lampes Buchprüfer hatten Entsetzen und Abscheu ausgedrückt und erklärt, sie hätten sich auf Lampes Finanzverlautbarungen und Bekenntnisse verlassen. Falls es irgendwelche Unregelmäßigkeiten gäbe, seien sie ebenso gründlich getäuscht worden wie alle anderen auch. Jede Börsenschwafelei, die Skiba von anderen schrägen Firmen und ihren Legionen von Bevollmächtigten kannte, war aufs Tapet gekommen. Alles klang so gestelzt und vorprogrammiert wie ein japanisches Kabuki-Drama.

Außer ihm hatten sich alle ans Drehbuch gehalten. Nun wollten alle etwas von ihm hören, dem großen und schrecklichen Skiba. Sie wollten den Vorhang wieder aufreißen.