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»Es ist mein Schicksal, mit Ihnen zu kommen, Tomas«, erwiderte er leise. »Natürlich werden wir alle sterben, bevor wir die Sierra Azul erreichen. Aber ich bin ein alter Mann.

Ich bin bereit zu sterben und vor den heiligen Petrus zu treten. Aber es wird mich traurig stimmen zu sehen, dass Chori und Pingo sterben - und Vernon und die Curandera, die so hübsch ist und noch viele Jahre der Liebe vor sich hat. Und es wird sehr traurig für mich sein, Sie sterben zu sehen, Tomas, weil Sie nun mein Freund sind.«

33

Der Gedanke an die Weiße Stadt ließ Tom nicht einschlafen.

Vernon hatte Recht. Alles passte perfekt zusammen. Es war so offensichtlich, dass Tom sich fragte, wieso er nicht schon früher darauf gekommen war.

Als er sich hin und her wälzte, quiekte Kniich gereizt, dann kletterte er auf den Pfahl der Hängematte und schlief über Toms Kopf in den Sparren. Gegen vier Uhr in der Früh gab Tom auf. Er stieg aus der Hängematte, zündete auf der Asche des alten Lagerfeuers ein neues an und stellte einen Topf auf die Flammen. Der noch immer verärgerte Kniich kam herunter, kletterte in Toms Hemdtasche und legte den Kopf auf die Seite, um sich unterm Kinn kraulen zu lassen.

Kurz darauf tauchte Don Alfonso auf, setzte sich hin und nahm einen Becher Kaffee entgegen. Lange saßen sie schweigend in der Dunkelheit des Dschungels.

»Da ist etwas, worüber ich schon seit geraumer Zeit nachdenke«, sagte Tom. »Als wir Pito Solo verließen, haben Sie eine Rede gehalten, die so klang, als würden Sie nicht wieder zurückkehren. Warum haben Sie das getan?«

Don Alfonso nippte an seinem Kaffee. Seine Brillengläser reflektierten den flackernden Feuerschein. »Wenn die Zeit kommt, Tomasito, werden Sie die Antwort auf diese Frage erfahren - und auf viele andere mehr.«

»Warum haben Sie diese Reise mitgemacht?«

»Sie wurde mir prophezeit.«

»Das ist aber kein guter Grund.«

Don Alfonso schaute Tom an. »Das Schicksal ist zwar kein Grund, jedoch eine Erklärung. Wir werden nicht mehr darüber reden.«

Der Macaturi war der breiteste der fünf in die Schwarze Lagune mündenden Flüsse. Er war leichter schiffbar als der Patuca, tief und sauber, ohne Sandbänke oder verborgene Aststümpfe. Als sie den Fluss hinauffuhren, stieg die Sonne über den fernen Hügeln auf und tauchte sie in grünliches Gold. Don Alfonso hatte seinen üblichen Thron auf der Ausrüstung eingenommen, doch seine Stimmung hatte sich verändert. Er ließ keine philosophischen Reflexionen mehr über sein Leben verlauten; er sprach nicht mehr über Sex, beschwerte sich nicht über seine undankbaren Söhne und rief auch keine Namen von Vögeln und Tieren. Er saß nur da und schaute mit besorgter Miene in die Richtung, die sie nahmen.

Die beiden Boote fuhren schweigend mehrere Stunden lang flussaufwärts. Als sie an eine Biegung kamen, tauchte vor ihnen ein großer Baum auf. Er lag quer im Wasser und blockierte ihnen den Weg. Offensichtlich war er erst kürzlich umgestürzt, denn seine Blätter waren noch grün.

»Das ist aber eigenartig«, murmelte Don Alfonso. Er rief Chori, und sie verlangsamten die Fahrt, damit das hinter ihnen kommende Boot Pingos sie einholen und an ihnen vor-beiziehen konnte. Vernon hielt sich mittschiffs auf, lehnte sich gegen das Dollbord und genoss die Sonne. Als sie vor-beifuhren, winkte er ihnen.

Pingo steuerte den Einbaum auf das gegenüberliegende Flussufer zu, wo der Stamm dünner und somit leichter durchzuhacken war.

Da stürzte sich Don Alfonso plötzlich auf die Ruderpinne und schob sie ganz nach rechts. Der Einbaum machte einen Schwenk und neigte sich fast bis zum Kentern. »Runter!«, schrie er. »Runter!«

Im gleichen Augenblick wurde aus dem Wald eine Salve aus Automatikwaffen abgefeuert.

Tom warf sich über Sally und drückte sie auf den Boden des Bootes. Eine Kugelsalve durchschlug die Seite des Einbaums und überschüttete sie mit einem Schwall von Splittern. Tom hörte die Kugeln rings um sie her aufs Wasser klatschen und vernahm das Geschrei der Angreifer. Sein Kopf fuhr herum, und er sah Don Alfonso. Er kauerte am Heck. Seine Hand hielt noch immer den Motorgriff umklammert, und er steuerte in die Deckung eines überhän-genden Uferdammes.

Ein unmenschlicher Schrei stieg aus dem Boot hinter ihnen auf. Jemand war getroffen worden.

Tom lag auf Sally. Er konnte außer der Mähne ihres blonden Haares und dem vernarbten Holzrumpf unter sich nichts sehen. Das Geschrei im anderen Boot verstummte nicht - es war ein vor Entsetzen und Schmerz unmenschlich klingendes Heulen. Das ist Vernon, dachte Tom. Er ist ange-schossen. Der Beschuss wurde fortgeführt, doch nun schienen die Kugeln über seinen Kopf zu fegen. Das Boot schrammte einmal, zweimal über den Boden, dann mahlte die Schraube im seichten Gewässer über das Gestein.

Der Beschuss und das Geschrei erstarben im gleichen Moment. Sie hatten die Deckung des Uferdamms erreicht.

Don Alfonso rappelte sich auf und warf einen Blick nach hinten. Tom hörte ihn etwas in der Sprache der Tawahka rufen, doch niemand antwortete.

Er stand vorsichtig auf und zog Sally hoch. Auf ihrer Wange, wo Holzsplitter sie getroffen hatten, waren Blut-flecke zu sehen.

»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«

Sally nickte stumm.

Das Boot fuhr nun an dem hohen Uferdamm aus Findlingen und Gesträuch entlang, fast unter den herabhängenden Büschen. Tom setzte sich hin, wandte sich dem Einbaum hinter ihm zu und rief nach seinem Bruder: »Vernon! Vernon!

Bist du verletzt?« Er sah nur eine blutige Hand, die die Pinne des zweiten Einbaums umklammerte. »Vernon!«

Vernon erhob sich bebend in der Mitte des Bootes. Er wirkte wie gelähmt.

»Vernon! Mein Gott, fehlt dir was?«

»Pingo ist verletzt.«

»Wie schlimm?«

»Sehr schlimm.«

Flussaufwärts wurde das Spucken und Brüllen eines Bootsmotors laut, dann das eines zweiten. In der Ferne hörte man Schreie.

Don Alfonso steuerte das Boot so dicht wie möglich an den Uferdamm. Vernon hatte die Pinne seines Bootes er-

griffen und folgte ihnen.

»Wir können ihnen nicht entkommen«, sagte Tom.

Sally wandte sich an Chori. »Gib mir das Gewehr.«

Chori schaute sie verständnislos an.

Sally nahm das Gewehr einfach an sich. Sie prüfte, ob es geladen war, dann riss sie den Verschluss zurück und hockte sich ans Heck.

»Damit können Sie sie nicht aufhalten«, rief Tom. »Die haben Automatikwaffen.«

»Ich kann ihnen aber Einhalt gebieten, verdammt noch mal.«

Dann erspähte Tom zwei durch die Flussbiegung kommende Boote - und Soldaten, die ihre Gewehre in Anschlag brachten.

»Runter!«

Als eine Salve die über ihnen hängende Vegetation zerfetzte und Blätter auf sie herabregnen ließ, hörte Tom einen einzelnen Schuss aus Sallys Waffe. Er hatte die ersehnte Wirkung: Die beiden Boote bogen panisch ab, um am Flussufer Deckung zu suchen. Sally ließ sich neben Tom fallen.

Don Alfonso steuerte das Boot unter den Uferdamm. Die Schraube traf Gestein und heulte auf, als sie aus dem Wasser gerissen wurde. Weitere Kugeln pfiffen über sie hinweg, dann ertönte ein dumpfes metallisches Scheppern. Eine Kugel hatte den Motor getroffen. Die Maschine spuckte, dann folgte ein Zischen. Als sie Feuer fing, geriet das Boot mit der Breitseite in die träge Strömung. Das Feuer breitete sich mit unglaublicher Schnelligkeit aus. Die Flammen züngelten von den schmelzenden Gummibenzinleitungen hoch. Der Bug von Pingos und Vernons Boot knallte von hinten gegen den ihren. Der Einbaum verkantete sich, als das brennende Benzin sich auf dem Boden des ersten Bootes zu verbreiten begann und rings um die Benzintanks leckte.

»Raus!«, schrie Tom. »Sie werden gleich in die Luft fliegen! Schnappt euch, was ihr könnt!«

Sie sprangen über Bord in das seichte Wasser am Ufer.