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Da spürte er plötzlich einen Arm, der sich ihm um den Hals schlang, und wurde brutal in die Wirklichkeit zurück-gerissen. Jemand zerrte ihn durchs Wasser, zog ihn übers Gestein und legte ihn hin. Er ruhte auf festem Boden und schaute in ein Gesicht, das er nur zu gut kannte. Dennoch brauchte er eine Weile, um Vernon zu erkennen.

»Tom!«, schrie Vernon. »Schaut, seine Augen sind offen!

Tom, sag was! Herrgott, er atmet nicht!«

Plötzlich war Sally da. Tom spürte einen plötzlichen Druck auf seinem Brustkorb. Alles sah eigenartig aus und vollzog sich sehr langsam. Vernon beugte sich über ihn.

Tom spürte, wie er seinem Brustkorb einen heftigen Schlag versetzte. Dann wurden ihm die Arme in die Luft gerissen.

Urplötzlich schien der Druck nachzulassen. Tom hustete heftig. Vernon legte ihn auf die Seite. Tom hustete sich die Seele aus dem Leib und spürte, wie irrsinnige Kopfschmerzen ihn packten. Die Wirklichkeit kehrte rasend schnell zurück.

Tom strengte sich an, um sich hinzusetzen. Vernon schob ihm die Arme unter die Achseln und stützte ihn.

»Was ist passiert?«

»Du bist vom Stamm gefallen«, erklärte Vernon.

»Ihr dämlicher Bruder Vernito ist in den Fluss gesprungen und hat Sie unter den Baumstämmen herausgezogen. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen solchen Wahnwitz gesehen.«

»Wirklich?«

Tom drehte sich um und schaute Vernon an. Er war klitsch-nass und hatte eine Schnittwunde an der Stirn. Blut und Wasser vermischten sich in seinem Bart.

Vernon hielt ihn fest, und er stand auf. In Toms Kopf wurde es nun etwas klarer. Der stechende Kopfschmerz ließ nach. Tom schaute in die brodelnde Stromschnelle hinab, die in den wirbelnden Tümpel hineinraste. Er war voll von ausgerissenen Baumstämmen und Ästen. Dann schenkte er Vernon einen erneuten Blick.

Jetzt endlich dämmerte es ihm. »Du«, sagte er ungläubig.

Vernon zuckte die Achseln.

»Du hast mir das Leben gerettet.«

»Na und?«, erwiderte Vernon fast abwehrend. »Du hast meines ja auch gerettet. Du hast eine Schlange für mich geköpft. Ich bin nur ins Wasser gesprungen.«

»Bei der heiligen Jungfrau«, sagte Don Alfonso. »Ich kann es noch immer nicht fassen.«

Tom hustete noch einmal. »Ja, also, Vernon, danke.«

»Der Tod muss heute ganz schön enttäuscht sein«, rief Don Alfonso und deutete auf das klitschnasse und ängstliche Äffchen, das auf einem Felsen am Wasser hockte. »Ja, sogar der Mono chucuto hat dem Tod ein Schnippchen geschlagen.«

Der elend aussehende Kniich kletterte wieder in Toms Tasche, nahm seinen üblichen Platz ein und gab ein paar mür-rische Laute von sich.

»Keine Beschwerden bitte«, sagte Tom. »Du bist schließlich schuld an all dem.«

Das Äffchen antwortete mit einem frechen Zungenschnal-

zen.

Auf der anderen Seite des Flusses ging es wieder bergauf, und sie stiegen stetig höher ins Gebirge. Dunkelheit und Kälte schlichen sich in die Luft. Tom, noch immer nass, fing an zu zittern.

»Erinnern Sie sich noch an das Tier, über das ich gestern mit Ihnen gesprochen habe?«, fragte Don Alfonso beiläufig.

Tom brauchte einen Moment, um sich klar zu machen, was er meinte.

»Es ist eine Dame - und sie ist noch immer bei uns.«

»Woher wissen Sie das?«

Don Alfonso wurde leiser. »Sie hat üblen Mundgeruch.«

»Sie haben sie gerochen?«, fragte Sally.

Don Alfonso nickte.

»Wie weit wird sie uns folgen?«

»Bis sie etwas zu fressen kriegt. Sie ist schwanger und hungrig.«

»Großartig. Dann sind wir wohl die Essiggürkchen und Silberzwiebeln.«

»Wir wollen zur Mutter Gottes beten, dass sie einen langsamen Ameisenbär ihren Weg kreuzen lässt.« Don Alfonso nickte Sally zu. »Und stets wachsam bleiben.«

Der Pfad führte durch einen Wald aus knorrigen Bäumen, der, je höher sie kamen, immer dichter wurde. An einer bestimmten Stelle bemerkte Tom, dass die Umgebung heller wurde. Irgendwie roch es auch anders hier, als wehte ein schwacher Duft in ihre Richtung. Dann traten sie ziemlich plötzlich aus dem Dunst heraus und fanden sich im Sonnenschein wieder. Tom blieb verdutzt stehen. Sie schauten nun über ein Meer aus Weiß hinweg. Am bauschigen Horizont ging die Sonne gerade in orangefarbenem Feuer unter.

Der Wald wimmelte von leuchtenden Blüten.

»Wir sind über den Wolken«, rief Sally.

»Wir lagern auf dem Gipfel.« Don Alfonso schritt mit neuer Kraft aus.

Der Pfad verlief über den Bergrücken mit einer weitläufi-gen Wiese voller Wildblumen, die sich in der leichten Brise wiegten. Dann waren sie urplötzlich auf dem Gipfel und schauten über ein im Nordwesten wogendes Wolkenmeer hinweg. In einer Entfernung von ungefähr achtzig Kilometern erspähte Tom eine Reihe spitzer blauer Berggipfel. Sie brachen wie eine am Himmel schwebende Inselkette durch die Wolken.

»Die Sierra Azul«, sagte Don Alfonso mit seltsam leiser Stimme.

37

Lewis Skiba blickte ins flackernde Feuer und verlor sich in den wechselnden Farben. Er hatte den ganzen Tag über nichts getan: Er hatte das Telefon nicht abgehoben, an keiner Konferenz teilgenommen und keine Aktennotizen dik-tiert. Er konnte nur an eines denken: Hat Hauser es getan?

Hat er mich schon zum Mörder gemacht? Er stützte den Kopf in die Hände und erinnerte sich an die von Efeu bewachsenen Häuser Whartons und an das beflügelnde Gefühl unendlicher Möglichkeiten der Anfangszeit. Die ganze Welt hatte vor ihm gelegen ... Er hatte nur zuzugreifen brauchen.

Doch jetzt ... Er musste sich daran erinnern, dass er Tau-senden von Menschen Arbeitsplätze und Chancen verschafft hatte. Er hatte sein Unternehmen groß gemacht und Medikamente hergestellt, die Menschen von schrecklichen Krankheiten heilten. Er hatte drei wohlgeratene Söhne.

Doch seit einer Woche erwachte er stets mit dem gleichen Gedanken: Ich bin ein Mörder. Er hätte seine Worte gern zurückgenommen. Aber nun ging es nicht mehr. Hauser hatte nicht mehr angerufen, und für ihn selbst gab es keine Möglichkeit, Verbindung mit ihm aufzunehmen.

Warum hatte er Hauser gesagt, er solle es tun? Warum hatte er sich von diesem Kerl so überrumpeln lassen? Skiba versuchte sich einzureden, dass Hauser es auch ohne ihn getan hätte; dass er nicht schuldig am Tod eines Menschen war; dass alles vielleicht nur verbale Kraftmeierei gewesen war. Es gab nun mal Menschen, die gern mit ihrer körperlichen Stärke prahlten, mit Schießeisen protzten und so weiter. Die waren doch alle krank. Hauser gehörte bestimmt auch dazu. Vielleicht war er ja nur ein Maulheld.

Die Gegensprechanlage summte. Skiba drückte mit zittriger Hand einen Knopf.

»Mr. Fenner von Dixon Asset Management ist wegen seines 14-Uhr-Termins da.«

Skiba schluckte. Das war die Besprechung, die er nicht verpassen durfte. »Schicken Sie ihn rein.«

Fenner sah aus wie die meisten Börsenanalysten, die Skiba kannte. Er war klein, dröge und strahlte ein überhebliches Selbstvertrauen aus. Es war die Ursache seines Erfolges: Fenner war ein Typ, dem man gern glaubte. Skiba hatte ihm zahllose kleine Gefallen erwiesen; ihm ein paar heiße Tipps gegeben; ihm geholfen, seine Kinder in einer exklusiven Privatschule in Manhattan unterzubringen; und er hatte seiner Gattin ein paar Hunderttausend für Wohltätig-keitsveranstaltungen zukommen lassen. Im Gegenzug hatte Fenner die Lampe-Aktie ständig und bis zum bitteren Ende als »Schnäppchen« angepriesen, seine glücklosen Klienten zum Dunghaufen geführt und sie mit dem Kopf voraus hineingeschoben. Dabei hatte auch er Millionen gescheffelt.