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Don Alfonso legte eine Hand auf die ihre. »Sie sind der mutigste Mensch, den ich kenne, Curandera - auch als Frau.«

»Fangen Sie nicht wieder damit an, Don Alfonso.«

»Sie sind sogar mutiger als die meisten Männer, die ich gekannt habe. Unterschätzen Sie die Bergindianer nicht. Ich möchte ihnen als Soldat nicht in die Hände fallen. Weil mein letzter Blick auf Erden nämlich auf das Feuer fällt, auf dem sie meine Männlichkeit rösten.«

Mehrere Minuten lang sagte niemand ein Wort. Tom fühlte sich ausgesprochen müde. »Dass all dies geschieht, ist unsere Schuld, Don Alfonso. Beziehungsweise die Schuld unseres Vaters. Wir sind dafür verantwortlich.«

»Das ganze Gerede über >seine Schuld, unsere Schuld< führt zu gar nichts, Tomas. Wir können nichts tun. Wir sind machtlos.«

Philip nickte zustimmend. »Ich habe die Schnauze voll von dieser verrückten Reise. Wir werden die Welt nicht retten.«

»Das finde ich auch«, sagte Vernon.

Tom registrierte, dass alle ihn anschauten. Hier wurde eine Art Abstimmung abgehalten, und er musste die Entscheidung treffen. Dann sah er, dass Sally ihn mit einer gewissen Neugier musterte. Er selbst konnte sich irgendwie nicht als Menschen sehen, der einfach so aufgab. Dazu war er zu weit gelangt. »Wenn wir jetzt umkehren, könnte ich es mir später nie verzeihen. Ich halte zu Sally.« Aber es stand noch immer drei zu zwei.

Don Alfonso war noch vor Sonnenaufgang auf den Beinen und brach das Lager ab. Der normalerweise unergründliche Indianer war vor Angst außer sich.

»Gestern Nacht war ein Bergindianer ein paar hundert Meter von unserem Lager entfernt. Ich habe seine Spuren gesehen. Ich selbst habe keine Angst vor dem Tod. Aber ich war schon die Ursache für den Tod von Pingo und Chori und möchte kein weiteres Blut an den Händen haben.«

Tom schaute Don Alfonso zu, wie er ihre Habseligkeiten zusammenpackte. Er hatte ein mulmiges Gefühl. Es war aus. Hauser hatte gesiegt.

»Wo Hauser mit dem Codex auch hingeht und was er auch tut«, sagte Sally, »ich werde mich an seine Fersen hef-ten. Er wird mir nicht entwischen. Auch wenn wir vielleicht in die Zivilisation zurückkehren müssen - ich komme wieder. Die Sache ist damit auf keinen Fall erledigt.«

Philips Füße waren noch immer infiziert, sodass er nicht gehen konnte. Don Alfonso flocht eine Tragematte mit zwei kurzen Stäben, die man als Griffe über die Schultern legen konnte. Das Packen dauerte nicht lang. Als die Zeit zum Abmarsch kam, hievten Tom und Vernon Philip hoch. Sie gingen im Gänsemarsch durch die schmale Lücke in der Vegetation. Sally schwang ihre Machete und marschierte voran. Don Alfonso bildete die Nachhut.

»Tut mir Leid, dass ich so 'ne Belastung bin«, sagte Philip und zog seine Pfeife hervor.

»Du bist eine verdammte Belastung«, stimmte Vernon zu.

»Ja, erlaub mir, dass ich vor Zerknirschung Asche auf mein Haupt streue.«

Tom hörte seinen Brüdern zu. So war es immer gewesen.

Sie zogen sich ständig gegenseitig auf. Manchmal verlief die Sache im freundlichen Bereich, aber nicht immer. Es freute ihn irgendwie, dass es Philip immerhin so gut ging, dass er Vernon auf den Arm nehmen konnte.

»Jemine«, sagte Vernon, »hoffentlich rutsche ich nicht aus und lass dich in ein Schlammloch fallen.«

Don Alfonso überholte sie bei seinem letzten Kontrollgang und überprüfte ihre Rucksäcke. »Wir müssen so leise wie möglich sein«, sagte er. »Und nicht rauchen, Philip. Sie werden es riechen.«

Philip steckte die Pfeife fluchend ein. Es fing an zu regnen.

Den Kranken zu tragen erwies sich weitaus schwieriger, als Tom es sich vorgestellt hatte. Es war sehr beschwerlich, Philip die schlüpfrigen Pfade hinaufzuwuchten, und wenn sie ihn über schwankende Stämme trugen, die sie als Brükke über rauschende Flüsse gelegt hatten, war es eine Übung in Sachen Entsetzen. Don Alfonso beäugte alles mit wachsamen Blicken und zwang sie zu schweigen. Sogar der Einsatz der Macheten wurde verboten. Völlig erschöpft lagerten sie an diesem Nachmittag auf dem einzigen ebenen Fleck Boden, den sie finden konnten - nichts als klitschnas-sem Schlamm. Es goss wie aus Eimern. Das Wasser strömte in den provisorischen Unterstand, den Vernon errichtet hatte, und der Morast war überall. Tom und Sally gingen auf die Jagd und stromerten zwei Stunden durch den Wald, ohne etwas zu finden. Don Alfonso untersagte das Anzünden eines Feuers, da er befürchtete, man könne es riechen.

An diesem Abend bestand ihre Mahlzeit aus rohen, nach Pappe schmeckenden Wurzeln und einigen verfaulten Früchten, in denen sich kleine weiße Würmer tummelten.

Der Regen rauschte pausenlos vom Himmel herab und verwandelte die Bäche in reißende Ströme. Zehn Stunden mörderischer Anstrengung brachten sie gerade mal fünf Kilometer voran. Der nächste und übernächste Tag fielen fast ebenso aus. Auf die Jagd zu gehen war unmöglich, und Don Alfonso gelang es nicht, einen Fisch zu fangen. Als Nahrung blieben nur Wurzeln, Beeren und halb vergammeltes Obst, das Don Alfonso irgendwo zusammenklaubte.

Am vierten Tag hatten sie gerade mal fünfzehn Kilometer zurückgelegt. Der ohnehin vom Hunger stark geschwächte Philip verfiel rapide und wurde erneut hohlwangig. Da er nicht rauchen durfte, verbrachte er den größten Teil des Tages damit, ins Blätterdach des Dschungels hinaufzustar-ren. Wenn man ihn ansprach, reagierte er kaum. Seine Apathie hatte sich wieder breit gemacht. Die körperliche Anstrengung, ihn auf der Matte zu schleppen, führte dazu, dass sie öfter rasten mussten. Sogar Don Alfonso schien zu schrumpfen. Seine Knochen stachen grauenhaft hervor, seine Haut war lose und faltig. Tom wusste nicht mehr, wie es war, wenn man trockene Kleider trug.

Am fünften Tag rief Don Alfonso gegen Mittag zum Halten. Er bückte sich und hob etwas vom Wegesrand auf: eine Feder, an der ein kleines Stück geflochtene Schnur befestigt war.

»Bergindianer«, sagte er mit leiser, zittriger Stimme. »Die Feder liegt noch nicht lange hier.«

Niemand sagte ein Wort.

»Wir müssen uns in die Büsche schlagen.«

Der Pfad war schon schlimm genug gewesen. Nun wurde das Gehen fast unmöglich. Sie kämpften sich durch eine Wand aus Farnen und Lianen, die so dicht war, dass sie den Eindruck erweckte, sie wolle sie schier zurückstoßen. Sie krochen unter ihr her, kletterten über umgestürzte Bäume hinweg und wateten durch sumpfige Tümpel, wobei ihnen der Schlamm gelegentlich bis zur Taille reichte. Die Vegetation wimmelte von Ameisen und Stechmücken, die sich, sobald man sie störte, wütend auf einen stürzten, einem durchs Haar krabbelten, in den Kragen fielen und stachen und bissen. Philip kriegte am meisten ab, da seine Matte durch dichtes Gestrüpp gezerrt wurde. Don Alfonso bestand weiterhin darauf, den Pfad zu meiden.

Es war die reine Hölle. Regen fiel ohne Unterlass. Alle paar hundert Meter wechselten sie sich ab, um eine Gasse in das dichte Gestrüpp zu schlagen; dann trugen sie Philip zu zweit über den Pfad. Anschließend hielten sie an, und der Nächste schlug einen hundert Meter langen Pfad durch das Gestrüpp. Auf diese Weise legten sie an zwei Tagen im pausenlos prasselnden Regen hundert Meter pro Stunde zurück. Sie wateten durch kniehohen Schlamm und glitten aus. Manchmal krabbelten sie bergauf, fielen hin und rutschten zurück. Tom hatte die meisten Hemdknöpfe verloren. Seine Schuhe waren so auseinander gefallen, dass er sich mehrmals an spitzen Stöcken schnitt. Die anderen befanden sich in einem ähnlichen Zustand der Zerlumptheit.

Im Wald gab es keinerlei Wild. Die Tage verschmolzen zu einer einzigen langen Plackerei, die sie durch schlecht einsehbares Dickicht und von Regengeprassel erfüllte Sümpfe führten. Sie wurden pausenlos gestochen, sodass ihre Haut fast die Beschaffenheit von rauer Jute annahm. Nun waren vier Personen notwendig, um Philip zu heben, und manchmal mussten sie eine Stunde lang rasten, um ihn nur ein Dutzend Schritte weiterzubefördern.