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»Ich würde gern ein paar Worte sagen«, ließ Vernon verlauten.

Er stand leicht wankend da. Die Kleider hingen ihm in Fetzen am Leib; sein Bart und sein Haar standen wild ab. Er wirkte wie ein Bettelmönch.

»Don Alfonso ...« Vernons Stimme versagte. Er musste husten. »Falls Sie noch irgendwo in der Nähe sind, bevor Sie zum Himmelstor gehen, tun Sie uns den Gefallen und legen Sie ein gutes Wort für uns ein, okay? Wir sind in einem ziemlich üblen Zustand.«

»Amen«, sagte Sally.

Über ihnen bildeten sich finstere Wolken und beendeten das kurze sonnige Intervall. Donner grollte. Aus den Wipfeln über ihnen tönte das Geräusch fallender Tropfen.

Sally kam zu Tom. »Ich gehe noch mal auf die Jagd.«

Tom nickte. Er nahm die Angelschnur und beschloss, sein Glück an dem Fluss zu versuchen, den sie vor etwa einem Kilometer überquert hatten. Vernon blieb zurück und kümmerte sich um Philip.

Am frühen Nachmittag waren die beiden wieder da. Sally hatte nichts erwischt. Tom trug einen Fisch bei sich, der es gerade mal auf zweihundert Gramm brachte. Während ihrer Abwesenheit war Philips Fieber stark gestiegen. Er lag nun im Delirium. Seine Augen waren offen und glitzerten erhitzt. Pausenlos bewegte er den Kopf hin und her und murmelte zusammenhanglose Sätze. Tom war sich ziemlich sicher, dass er es nicht mehr lange machen würde. Als sie einen Versuch unternahmen, Philip den Tee einzuflößen, den Sally gekocht hatte, schrie er etwas Unverständliches und schlug ihr den Becher aus der Hand. Sie brieten den Fisch mit etwas Maniokwurzel in einem Topf und fütterten Philip damit. Nachdem er um sich geschlagen und Verwünschungen ausgestoßen hatte, akzeptierte er die Nahrung schließlich. Dann teilten sie den Rest unter sich auf.

Nach dem Essen blieben sie in ihrem Quartier unter dem Stamm, lauschten dem prasselnden Regen und warteten auf die Nacht.

Tom erwachte kurz vor Morgengrauen als Erster. In der Nacht hatte Philips Fieber sich verschlimmert. Er warf sich phantasierend umher und zupfte sinnlos an seinem Kragen.

Sein Gesicht wirkte eingefallen und ausgezehrt. Tom empfand zunehmende Verzweiflung. Sie hatten weder Arznei noch diagnostische Mittel, nicht einmal einen Erste-Hilfe-Kasten. Sallys Kräutermedizin zeigte angesichts von Philips hohem Fieber keinerlei Wirkung.

Vernon zündete ein Feuer an, und sie setzten sich in finsterem Schweigen um die Flammen. Die dunklen Farne ragten wie eine bedrohliche Menschenmenge um sie auf, wiegten sich unter dem prasselnden Regen vor und zurück und warfen grüne Düsternis über ihr Lager.

Schließlich sagte Tom: »Wir müssen hier bleiben, bis Philip sich erholt hat.«

Sally und Vernon nickten, obwohl sie wussten, dass Philip sich nicht erholen würde.

»Wir müssen jede Anstrengung unternehmen, um zu angeln, zu jagen und essbare Pflanzen zu sammeln. Wir müssen die Zeit nutzen, um selbst wieder zu Kräften zu kom-

men, damit wir fit für den langen Heimweg sind.«

Wieder waren alle einverstanden.

»Na schön«, sagte Tom und stand auf. »Machen wir uns an die Arbeit. Sally geht auf die Jagd. Ich nehme Angelschnur und Haken. Vernon, du bleibst hier und kümmerst dich um Philip.« Er schaute sich um. »Wir geben nicht auf.«

Alle kamen mit zittrigen Knien auf die Beine. Tom freute sich, als er sah, dass sich neue Energie in ihnen breit machte. Er holte die Schnur und die Angelhaken und schlug sich durch den Urwald. Er entfernte sich in gerader Linie von der Sierra Azul, hinterließ Kerben in den Farnblättern, um seinen Weg zu markieren, und hielt die Augen ständig nach essbarem Grünzeug offen. Der Regen rauschte noch immer herab. Zwei Stunden später erreichte er erschöpft eine schlammige Wasserkaskade und fing eine kleine Eidechse als Köder. Er befestigte das zappelnde Reptil an dem Haken und warf es in die brodelnde Strömung.

Fünf Stunden später, das Licht reichte gerade noch aus, um das Lager zu finden, gab er auf. Er hatte drei der sechs Angelhaken und ein ganzes Stück Schnur verloren, ohne etwas zu fangen. Vor Einbruch der Dunkelheit kam er ins Lager zurück, wo Vernon das Feuer am Brennen hielt. Sally war noch nicht da.

»Wie geht's Philip?«

»Nicht gut.«

Tom schaute sich seinen Bruder an und stellte fest, dass er sich in ruhelosem Schlaf hin und her wälzte. Er schien zu träumen und murmelte Satzfetzen vor sich hin. Die Schlaff-

heit seines Gesichts und seiner Lippen versetzte Tom in Angst. Sie erinnerte ihn an Don Alfonsos letzte Minuten.

Allem Anschein nach führte Philip im Traum ein Gespräch mit ihrem Vater, dem er eine Menge Vorwürfe zu machen hatte. Dann fielen auch die Namen Toms und Vernons und der von Philips Mutter, die er seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Offenbar befand Philip sich auf einem Kindergeburtstag. Es war sein eigener Geburtstag, vermutlich sein fünfter: Er packte seine Geschenke aus und freute sich über jedes einzelne.

Tom trollte sich niedergeschlagen und traurig davon. Er nahm neben Vernon am Feuer Platz. Vernon schlang einen Arm um ihn. »So ist er schon den ganzen Tag.« Er reichte Tom einen Becher Tee.

Tom nahm ihn an sich und trank. Seine Hand sah aus wie die eines Greises. Die Adern traten hervor, die Haut war fleckig. Sein Magen fühlte sich hohl an, aber ein Hungerge-fühl empfand er nicht.

»War Sally zwischendurch mal hier?«

»Nein, aber ich habe ein paar Schüsse gehört.«

Und wie aufs Stichwort vernahmen sie ein Rascheln im Gebüsch, und Sally tauchte auf. Sie sagte nichts, sie nahm nur das Gewehr von der Schulter und setzte sich ans Feuer.

»Kein Glück gehabt?«, fragte Tom.

»Hab ein paar Baumstümpfe umgenietet.«

Tom lächelte und ergriff ihre Hand. »Kein Baumstumpf in diesem Wald ist sicher, solange die große Jägerin Sally ihrer Beute auf der Fährte ist.«

Sally wischte sich Schlamm aus dem Gesicht. »Tut mir Leid.«

»Morgen«, sagte Tom. »Wenn ich früh aufbreche, schaffe ich es vielleicht bis zu dem Fluss, an dem wir Philip gefunden haben. Ich werde vielleicht 'ne Nacht wegbleiben müssen, aber der Fluss war groß, und da werde ich bestimmt jede Menge Fische fangen.«

»Prima Idee, Tom«, meinte Vernon. Seine Stimme klang angespannt.

»Wir geben nämlich nicht auf.«

»Nein«, sagte Sally.

Vernon schüttelte den Kopf. »Ich frage mich, was Vater wohl dächte, wenn er uns jetzt sehen könnte.«

Tom schüttelte den Kopf. Er hatte es längst aufgegeben, Gedanken an Maxwell Broadbent zu verschwenden. Wenn er gewusst hätte, was er angerichtet hatte ... dass er seine drei Söhne in den Tod geschickt hatte ... Es war unerträglich, darüber nachzudenken. Sie hatten ihn zeit seines Lebens enttäuscht, und nun enttäuschten sie ihn nach seinem Tod.

Tom stierte eine Weile ins Feuer. »Bist du wütend auf ihn?«, fragte er.

Vernon zögerte. »Ja.«

Tom machte eine hilflose Handbewegung. »Glaubst du, wir sind fähig, ihm zu verzeihen?«

»Spielt das eine Rolle?«

Tom erwachte noch vor dem Morgengrauen mit einem eigenartigen Druckgefühl am Hinterkopf. Es war dunkel und regnete. Das Prasseln des Regens schien in seinen Kopf hi-neinzukriechen. Er drehte sich zweimal auf dem klammen Boden herum, und aus dem Druck wurden Kopfschmerzen.

Er schwang die Beine über den Rand der Hängematte, setzte sich hin und bemerkte zu seiner großen Überraschung, dass er sich kaum aufrecht halten konnte. Er sank zurück.