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Vernons Fieber legte sich in dieser Nacht. Als er am nächsten Morgen aufwachte, war er zwar schwach, jedoch bei klarem Verstand. Borabay kümmerte sich um ihn, flößte ihm eine Vielzahl von Kräutern ein und zwang ihn, ein Gebräu zu trinken. Sie verbrachten den Tag damit, sich auszu-ruhen, und Borabay machte sich auf die Suche nach weiterer Nahrung. Der Indianer kehrte am Nachmittag mit einem Sack aus Palmwedeln zurück, aus dem er Wurzeln, Obst, Nüsse und frischen Fisch holte. Den Rest des Tages widmete er dem Braten, Räuchern und Einpökeln der Le-bensmittel. Schließlich verpackte er alles in trockene Gräser und Blätter.

»Gehen wir irgendwo hin?«, fragte Tom Borabay.

»Ja.«

»Und wohin?«

»Wir sprechen später«, sagte Borabay.

Philip kam mit der Bruyere-Pfeife zwischen den Zähnen aus seinem Unterstand gehinkt. Seine Füße waren noch bandagiert. »Was für ein prächtiger Nachmittag«, sagte er.

Er trat ans Feuer und nahm Platz. Als er sich einen Becher mit Borabays Tee einschenkte, meinte er: »Dieser Indianer müsste das Titelbild von National Geographic zieren.«

Vernon gesellte sich ebenfalls zu ihnen und setzte sich leicht schlotternd auf den Baumstamm.

»Vernon, essen!« Borabay füllte sofort eine Schale mit Eintopf und reichte sie ihm. Vernon nahm sie mit zittrigen Händen entgegen, ein Dankeschön murmelnd.

»Willkommen im Land der Lebenden«, sagte Philip.

Vernon wischte sich über die Stirn, erwiderte aber nichts.

Er war blass und dünn und schob sich den nächsten Löffel in den Mund.

»Tja, da sind wir nun also«, sagte Philip. »Wie in der Serie

>Meine drei Söhne<.«

Wie Tom unbehaglich feststellte, klang in Philips Stimme eine gewisse Ironie mit. Im Feuer knackte laut ein Stück Holz.

»Und in welch eine beschissene Lage haben wir uns da bloß manövriert«, meinte Philip. »Dank unseres geliebten alten Herrn.« Er hob seinen Becher in einem spöttischen Salut. »Auf dich, alter Knabe.« Er kippte seinen Tee aus.

Tom musterte Philip etwas genauer. Er hatte sich erstaunlich gut erholt. Sein Blick war nun wieder lebendig - und zwar vor Verärgerung.

Philip schaute sich um. »Was jetzt, meine lieben Brüder?«

Vernon zuckte die Achseln. Er war blass, sein Gesicht ein-gesunken, unter seinen Augen zeichneten sich dunkle Flek-ken ab. Er aß den nächsten Löffel Eintopf.

»Machen wir jetzt mit eingezogenem Schwanz die Fliege?

Und lassen zu, dass Hauser sich den Lippi, die Braques, den Monet und alles andere unter den Nagel reißt?« Philip hielt inne. »Oder marschieren wir in die Sierra Azul, bis unsere Eingeweide vielleicht irgendwo im Gestrüpp hängen?« Er steckte die erloschene Pfeife an. »Tja, wir haben die Wahl.«

Niemand antwortete. Philip schaute seine Brüder der Reihe nach an.

»Nun?«, fragte er. »Ich stelle euch eine ernsthafte Frage: Lassen wir zu, dass dieser feiste Cortez hier sein Ding durchzieht und uns das Erbe klaut?«

Vernon schaute auf. Sein Gesicht war noch von der Krankheit gezeichnet und seine Stimme schwach. »Diese Frage beantwortest du am besten selbst. Du hast Hauser doch erst ins Spiel gebracht.«

Philip maß ihn mit einem kühlen Blick. »Ich habe gedacht, die Zeit der Schuldzuweisungen läge hinter uns.«

»Was mich betrifft, hat sie gerade erst angefangen.«

»Aber nicht hier und jetzt«, sagte Tom.

Vernon wandte sich Tom zu. »Philip hat diesen Psychopa-then ins Spiel gebracht, und dafür muss er geradestehen.«

»Ich habe in gutem Glauben gehandelt. Ich konnte doch nicht ahnen, dass Hauser sich als Ungeheuer entpuppt.

Und ich habe schon dafür geradegestanden, Vernon. Schau mich doch nur an.«

Vernon schüttelte den Kopf.

»Der wahre Schuldige«, fuhr Philip fort, »ist Vater, auch wenn niemand es zugeben will. Ist denn keiner unter uns ein kleines bisschen wütend über das, was er uns angetan hat? Er hat uns fast ins Jenseits befördert.«

»Er wollte uns prüfen«, meinte Tom.

»Ich hoffe doch nicht, dass du ihn verteidigen willst.«

»Ich bemühe mich nur, ihn zu verstehen.«

»Ich verstehe ihn nur zu gut. Dieser Grabräuber-Scheiß ist nur eine weitere Herausforderung auf seiner langen Liste.

Erinnert ihr euch noch an unsere Sportlehrer, den Kunstgeschichte-Unterricht, die Reit-, Musik- und Schachstunden, die Ermahnungen, Reden und Drohungen? Wisst ihr noch, wie es war, wenn wir unsere Zeugnisse kriegten? Wir sind Nieten für ihn, Tom. Er hat uns immer für Nieten gehalten.

Und vielleicht hat er ja Recht. Schaut mich an: Ich bin sie-benunddreißig Jahre alt und noch immer Assistent am Durchschnittsheimer-College. Du verarztest Indianerpferde in Hinterwald, Utah, und Vernon verbringt die reifste Zeit seines Lebens damit, Swami Wu-Wu Liedchen zu singen.

Wir sind Verlierer.« Er brach in ein heiseres Lachen aus.

Borabay stand auf. Die Handlung an sich war einfach, aber er tat es mit solch langsamer Bedächtigkeit, dass es alle zum Schweigen brachte. »Das keine gute Rede.«

»Du warst auch nicht gemeint, Borabay«, sagte Philip.

»Keine schlechte Rede mehr.«

Philip ignorierte ihn. Er wandte sich an Tom: »Vater hätte uns wie jeder andere normale Mensch sein Geld hinterlassen können. Er hätte es auch verschenken können. Schön.

Ich hätte damit leben können. Es ist schließlich sein Geld.

Aber nein, er musste sich einen Plan ausdenken, um uns zu quälen.«

Borabay musterte ihn finster.

»Bruder halten Klappe.«

Philip wandte sich zu ihm um. »Auch wenn du uns das Leben gerettet hast - halt dich aus unseren Familienangelegen-heiten raus!« Auf seiner Stirn pochte eine Ader. Tom hatte ihn nur selten so wütend gesehen.

»Du mir zuhören, Brüderchen, oder ich dir Arsch versoh-len«, sagte Borabay trotzig. Er reckte seine ganzen ein Meter sechzig in die Höhe und ballte die Fäuste.

Eine Sekunde verstrich, dann fing Philip an zu lachen und schüttelte den Kopf. Er entspannte sich. »Gott im Himmel, ist der Bursche echt?«

»Wir sind alle ein wenig angespannt«, sagte Tom. »Aber Borabay hat Recht. Hier ist nicht der Ort, um sich zu streiten.«

»Heute Abend«, sagte Borabay, »wir reden über wichtige Dinge.«

»Und worüber?«, erkundigte sich Philip.

Borabay wandte sich wieder dem Kochtopf zu und rührte erneut in ihm herum. Sein bemaltes Gesicht war undurchdringlich. »Ihr werden sehen.«

48

Lewis Skiba lehnte sich in den Ledersessel seiner holzgetä-felten Bude zurück und blätterte im Journal die Seite mit dem Leitartikel auf. Trotz seiner Bemühungen, ihn zu lesen, beeinträchtigte doch das ferne Quaken und Blöken seines Trompete übenden Sohnes seine Konzentration. Seit Hausers letztem Anruf waren fast zwei Wochen vergangen. Der Kerl spielte eindeutig mit ihm, hielt ihn in ständiger Spannung. Oder war etwas passiert? Hatte Hauser es ... getan?

Skibas Blick fiel auf den Leitartikel. In dem Bemühen, den Ansturm an Selbstvorwürfen zu verdrängen, richtete er die Augen auf den Artikel, doch die Worte huschten durch seinen Verstand, ohne dass irgendetwas von ihrer Bedeutung hängen geblieben wäre. Mittelhonduras war eine gefährliche Gegend. Es war gut möglich, dass Hauser irgendwo auf die Schnauze gefallen war, etwas falsch eingeschätzt, sich ein Fieber zugezogen hatte ... Ihm konnte alles Mögliche zugestoßen sein. Hauptsache, er war verschwunden. Zwei Wochen waren eine lange Zeit. Vielleicht hatte er versucht, die Broadbents zu töten, doch sie hatten sich als zu klug für ihn erwiesen und ihn stattdessen selbst umgebracht?

Trotz aller Unwahrscheinlichkeit hoffte Skiba, dass genau dies passiert war. Hatte er Hauser wirklich gesagt, er solle die Broadbents töten? Was war ihm damals nur durch den Kopf gegangen? Ein unfreiwilliges Stöhnen entrang sich seiner Kehle. Hoffentlich hatte Hauser ins Gras gebissen.