Plötzlich verstummte Herr Goljadkin, brach ab und zitterte wie ein Blatt; ja, er schloß sogar für einen Augenblick die Augen. Da er jedoch hoffte, daß der Gegenstand seiner Furcht einfach eine Augentäuschung sei, so öffnete er schließlich die Augen wieder und schielte schüchtern nach rechts. Nein, es war keine Augentäuschung!... Neben ihm trippelte sein Bekannter vom Vormittag, lächelte, schaute ihm ins Gesicht und wartete, wie es schien, auf eine Gelegenheit, um ein Gespräch anzufangen. Es kam jedoch nicht dazu. Auf diese Art gingen sie beide etwa fünfzig Schritte. Herrn Goljadkins ganzes Bemühen ging dahin, sich möglichst fest in seinen Mantel einzuhüllen, sich möglichst tief in ihn zu vergraben und den Hut so weit als nur irgend möglich auf die Augen herabzuziehen. Um die Beleidigung vollständig zu machen, waren auch der Mantel und der Hut seines Freundes genau von derselben Art wie diejenigen, die Herr Goljadkin auf den Schultern und auf dem Kopfe trug.
»Mein Herr,« sagte unser Held endlich, indem er sich bemühte, fast im Flüstertone zu sprechen, und seinen Freund nicht ansah, »es scheint, daß wir verschiedene Wege haben... Ich bin sogar überzeugt davon,« sagte er, nachdem er einen Augenblick geschwiegen hatte. »Ich bin auch überzeugt, daß Sie mich vollständig verstanden haben,« fügte er zum Schluß in ziemlich strengem Tone hinzu.
»Ich möchte gern...« erwiderte endlich Herrn Goljadkins Freund, »ich möchte gern... ich hoffe, Sie werden mich großmütig entschuldigen... ich weiß nicht, an wen ich mich hier wenden soll... meine Umstände... ich hoffe, Sie werden meine Dreistigkeit verzeihen... es schien mir sogar, als ob Sie heute morgen, von Mitleid bewegt, an mir Anteil nahmen. Ich meinerseits habe mich gleich beim ersten Blick zu Ihnen hingezogen gefühlt; ich...« Hier wünschte Herr Goljadkin in Gedanken, sein neuer Kollege möchte in die Erde versinken.
»Wenn ich wagen könnte zu hoffen, daß Sie, Jakow Petrowitsch, mir gütiges Gehör schenken würden...«
»Wir... wir sind hier nicht ungestört. Wir... wollen lieber in meine Wohnung gehen,« versetzte Herr Goljadkin. »Wir wollen jetzt auf die andre Seite des Newski hinübergehen; dort werden wir beide bequemer gehen können. Und dann wollen wir eine Seitengasse einschlagen... das wird das beste sein.«
»Schön. Schlagen wir die Seitengasse ein, wenn es Ihnen so gefällig ist!« erwiderte Herrn Goljadkins demütiger Gefährte schüchtern, wie wenn er durch den Ton seiner Antwort zum Ausdruck bringen wollte, daß er nicht wählerisch sein dürfe und in seiner Lage bereit sei, sich auch mit einer Seitengasse zu begnügen. Was Herrn Goljadkin anlangt, so begriff er gar nicht, was mit ihm vorging. Er traute seinen eigenen Sinnen nicht. Er war von seinem Erstaunen noch nicht wieder zu sich gekommen.
7. Kapitel
Erst auf der Treppe und vor der Eingangstür zu seiner Wohnung gewann er einigermaßen seine Fassung wieder. »Ach, ich Schafskopf!« schimpfte er sich selbst in Gedanken; »wohin führe ich ihn nun? Ich stecke selbst den Kopf in die Schlinge. Was wird Petruschka denken, wenn er uns zusammen sieht? Was wird dieser Halunke sich jetzt zu denken erdreisten? Und er ist so argwöhnisch...« Aber zur Reue war es bereits zu spät; Herr Goljadkin klopfte, die Tür öffnete sich, und Petruschka nahm dem Gaste und dem Hausherrn die Mäntel ab. Herr Goljadkin warf aus dem Augenwinkel flüchtige Blicke nach Petruschka und bemühte sich, seine Miene zu ergründen und seine Gedanken daraus zu erraten. Aber zu seinem größten Erstaunen sah er, daß sein Diener gar nicht daran dachte, sich zu wundern, sondern im Gegenteil so etwas erwartet zu haben schien. Allerdings machte er auch jetzt ein Gesicht wie ein Wolf, schielte zur Seite hin und tat, als ob er jemand fressen wollte. »Hat sie denn heute alle jemand behext?« dachte unser Held. »Es ist, als ob ein Dämon herumgegangen wäre! Es muß unbedingt mit dem ganzen Volke heute etwas Besonderes los sein. Hol's der Teufel, was ist das für ein qualvoller Zustand!« Während Herr Goljadkin dergleichen dachte und überlegte, führte er den Gast zu sich ins Zimmer und forderte ihn höflich auf, Platz zu nehmen. Der Gast befand sich anscheinend in äußerster Verlegenheit; er war sehr schüchtern, verfolgte unterwürfig alle Bewegungen seines Wirtes, haschte nach seinen Blicken und bemühte sich, wie es schien, aus diesen zu entnehmen, was derselbe denke. Eine gewisse Gedrücktheit, Niedergeschlagenheit und Ängstlichkeit kam in allen seinen Gebärden zum Ausdruck, so daß er, wenn der Vergleich gestattet ist, in diesem Augenblicke große Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte, der aus Mangel an eigenen Kleidern fremde angezogen hat: die Ärmel rutschen hinauf; die Taille sitzt beinah im Genick, und er schiebt alle Augenblicke die kurze Weste auf seinem Leibe zurecht; bald windet und dreht er sich rechts und links, bald sucht er sich irgendwo zu verstecken, bald sieht er allen in die Augen und horcht, ob die Leute nicht von seiner Situation sprechen, sich über ihn lustig machen, sich seiner schämen, – er errötet und wird fassungslos, und sein Ehrgefühl leidet schwer... Herr Goljadkin hatte seinen Hut auf das Fensterbrett gestellt; durch eine unvorsichtige Bewegung fiel der Hut auf den Boden. Der Gast stürzte sofort hin, um ihn aufzuheben, reinigte ihn sorgsam vom Staube und stellte ihn vorsichtig auf den früheren Platz; seinen eigenen aber stellte er auf den Fußboden, neben den Stuhl, auf dessen äußerstem Rande er demütig Platz genommen hatte. Dieser geringfügige Vorgang öffnete Herrn Goljadkin einigermaßen die Augen; er sah nun ein, daß der andere ihn sehr nötig hatte, und zerbrach sich daher nicht mehr den Kopf darüber, wie er mit seinem Gaste ein Gespräch anfangen solle, sondern überließ, wie es sich gebührte, alles diesem selbst. Aber der Gast seinerseits fing nicht an zu reden; ob er zu schüchtern war oder sich ein wenig schämte oder aus Höflichkeit darauf wartete, daß der Wirt den Anfang mache, blieb dahingestellt und war schwer zu entscheiden. In diesem Augenblicke kam Petruschka herein, blieb in der Tür stehen und blickte nach derjenigen Seite hin, die der, wo sich sein Herr und der Gast befanden, ganz entgegengesetzt war.
»Befehlen Sie, daß ich zwei Portionen Mittagessen hole?« fragte er mit seiner heiseren Stimme in nachlässigem Tone.
»Ich... ich weiß nicht... Sie... ja, hole zwei Portionen, mein Lieber!«
Petruschka ging weg. Herr Goljadkin sah seinen Gast an. Der Gast errötete bis über die Ohren. Herr Goljadkin war ein gutmütiger Mensch und legte sich daher in der Güte seines Herzens sogleich eine Anschauung zurecht:
»Er ist ein armer Mensch«, dachte er, »und erst einen Tag in seiner Stelle; wahrscheinlich hat er vorher viel leiden müssen; nur gut, daß er einen anständigen Anzug besitzt; aber Geld zum Mittagessen wird er nicht haben. Ach mein Gott, wie niedergeschlagen er aussieht! Na, das schadet nichts: das hat sogar sein Gutes...« – »Verzeihen Sie, daß ich...« begann Herr Goljadkin, »gestatten Sie übrigens die Frage, wie ich Sie nennen darf!«
»Ich... ich... heiße Jakow Petrowitsch,« erwiderte der Gast fast flüsternd, als wenn er sich schämte und um Verzeihung dafür bäte, daß er ebenfalls Jakow Petrowitsch heiße.