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»Jakow Petrowitsch,« wiederholte unser Held, der nicht imstande war, seine Aufregung zu verbergen.

»Ja, ganz richtig... Ich bin Ihr Namensvetter,« antwortete Herrn Goljadkins demütiger Gast, indem er sich dazu aufraffte, zu lächeln und in scherzendem Tone zu reden. Aber er fiel sogleich in seine unterwürfige Haltung wieder zurück, als er die sehr ernste und etwas bestürzte Miene seines Wirtes wahrnahm und merkte, daß dieser jetzt zu Scherzen nicht aufgelegt sei.

»Gestatten... gestatten Sie mir die Frage, welchem Umstände ich die Ehre zu verdanken habe...«

»Da ich Ihre Großmut und Wohltätigkeit kenne,« unterbrach ihn der Gast schnell, aber in schüchternem Tone, indem er sich ein wenig von seinem Stuhle erhob, »so habe ich es gewagt, mich an Sie zu wenden und Sie um Ihre... um Ihre Bekanntschaft und Gönnerschaft zu bitten...« schloß der Gast, der es schwierig fand sich auszudrücken und nach Worten suchte, die einerseits nicht zu schmeichlerisch und unterwürfig klängen, um nicht sein eigenes Ehrgefühl zu verletzen, andrerseits aber auch nicht zu kühn wären und ungehörigerweise den Anspruch auf Gleichstellung erhöben. Im allgemeinen konnte man sagen, daß Herrn Goljadkins Gast sich wie ein Bettler aus gutem Stande in einem geflickten Frack und mit einem ordnungsmäßigen Paß in der Tasche benahm, der noch keine Übung darin gewonnen hat, wie es sich gehört, die Hand auszustrecken.

»Sie setzen mich in Verlegenheit,« erwiderte Herr Goljadkin, indem er sich selbst, seine Wände und den Gast betrachtete; »womit könnte ich denn... das heißt, ich will sagen, in welcher Beziehung kann ich Ihnen eigentlich mit irgend etwas dienen?«

»Ich habe mich gleich beim ersten Blick zu Ihnen hingezogen gefühlt, Jakow Petrowitsch, und habe (verzeihen Sie mir großmütig!) meine Hoffnung auf Sie gesetzt... habe gewagt, meine Hoffnung auf Sie zu setzen, Jakow Petrowitsch. Ich... ich fühle mich hier ganz wie verloren, Jakow Petrowitsch; ich bin arm, habe sehr viel gelitten, Jakow Petrowitsch, und bin hier noch neu. Da ich erfahren hatte, daß Sie zu den Ihnen angeborenen vortrefflichen Eigenschaften Ihrer schönen Seele auch noch mit mir denselben Namen führen...«

Herr Goljadkin runzelte die Stirn.

»... auch noch mit mir denselben Namen führen und mit mir aus demselben Orte stammen, so entschloß ich mich, mich an Sie zu wenden und Ihnen meine schwierige Lage vorzutragen.«

»Gut, gut, ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen darauf erwidern soll,« antwortete Herr Goljadkin verlegen. »Wissen Sie, wir wollen nach Tische darüber reden...«

Der Gast verbeugte sich; das Mittagessen wurde gebracht. Petruschka stellte alles in Ordnung auf den Tisch, und Gast und Wirt schickten sich an, sich zu sättigen. Das Essen dauerte nicht lange, denn sie beeilten sich: der Wirt, weil er sich unbehaglich fühlte und sich außerdem über das schlechte Mittagessen schämte (er schämte sich zum Teil deswegen, weil er den Gast gern gut bewirtet hätte, teils deswegen, weil er zu zeigen wünschte, daß er nicht wie ein Bettler lebe), und der Gast seinerseits, weil er sich in schrecklicher Verwirrung und äußerster Verlegenheit befand. Nachdem er einmal Brot genommen und seine Schnitte aufgegessen hatte, scheute er sich, die Hand nach einer zweiten Schnitte auszustrecken; er genierte sich, von den Speisen ein besseres Stückchen zu nehmen, und versicherte alle Augenblicke, er sei gar nicht hungrig, das Mittagessen sei vorzüglich, er für seine Person sei völlig zufrieden und werde bis zum Grabe daran denken. Als das Essen zu Ende war, zündete Herr Goljadkin sich seine Pfeife an und offerierte die andere, die er sich für Freundesbesuch hielt, dem Gaste; beide setzten sich einander gegenüber, und der Gast begann seine Erlebnisse zu erzählen.

Die Erzählung des jüngeren Herrn Goljadkin dauerte drei oder vier Stunden. Die Geschichte seiner Erlebnisse setzte sich übrigens aus den unbedeutendsten und, wenn man sich so ausdrücken kann, miserabelsten Einzelheiten zusammen. Es handelte sich dabei um amtliche Tätigkeit irgendwo bei einem Gerichte, bei einer Gouvernementsregierung; um Staatsanwälte und Präsidenten; um irgendwelche Bureau-Intrigen; um die Schändlichkeit eines Tischvorstehers; um einen Revisor; um einen plötzlichen Wechsel der Person des Chefs; darum, daß Herr Goljadkin der zweite ganz unschuldig hatte leiden müssen; um seine alte Tante Pelageja Semjonowna; darum, daß er infolge verschiedener Intrigen seiner Feinde seine Stelle verloren hatte und zu Fuß nach Petersburg gewandert war; darum, daß er hier in Petersburg viel Not und Elend durchgemacht, lange erfolglos eine Stelle gesucht, sich auf das kümmerlichste beholfen, beinah auf der Straße gewohnt, altes, vertrocknetes Brot gegessen und dazu seine Tränen geschluckt, auf dem nackten Fußboden geschlafen hatte, und daß endlich irgendein guter Mensch es übernommen hatte, für ihn zu sorgen, ihn empfohlen und ihm großmütig seine jetzige Stellung verschafft hatte. Herrn Goljadkins Gast weinte bei dieser Erzählung und trocknete sich die Tränen mit einem blaukarierten Taschentuche ab, das große Ähnlichkeit mit Wachstuch hatte. Er schloß damit, daß er Herrn Goljadkin seine derzeitige Lage mit völliger Offenheit darlegte und ihm gestand, daß er kein Geld habe, um davon in nächster Zeit zu leben und sich anständig einzurichten, ja nicht einmal um sich ordentlich zu equipieren. Er fügte noch hinzu, er könne nicht einmal das Geld für Stiefel auftreiben, und die Uniform habe er sich von jemand auf kurze Zeit geliehen.

Herr Goljadkin war gerührt und fühlte aufrichtiges Mitleid. Obgleich die Geschichte seines Gastes eine so öde Geschichte war, fielen alle Worte derselben auf sein Herz wie himmlisches Manna. Die Sache war die, daß Herr Goljadkin nun seine letzten Zweifel vergaß, sein Herz wieder dem Gefühl der Freiheit und der Freude überließ und sich schließlich im stillen selbst einen Dummkopf schalt. Alles war so natürlich! Was hatte er da für Anlaß sich zu grämen und zu beunruhigen? Nun ja, es war da tatsächlich ein kitzlicher Punkt vorhanden, gewiß; aber das war ja kein Unglück: das konnte einen Menschen nicht in Unehre bringen, seinen Ruf nicht beflecken, ihm seine Karriere nicht verderben, wenn doch der betreffende Mensch keine Schuld trug, sondern die Natur selbst die Hand im Spiele hatte. Außerdem bat der Gast um seine Protektion; der Gast weinte; der Gast klagte das Schicksal an; er schien so harmlos zu sein, so ohne Bosheit und Falsch, ein kläglicher, unbedeutender Mensch, und wie es schien, schämte er sich jetzt selbst, obgleich vielleicht in anderer Hinsicht, über die seltsame Ähnlichkeit seines Gesichtes mit dem seines Wirtes. Er benahm sich auf die denkbar beste Weise, bemühte sich eifrig, seinem Wirte alles zu dank zu machen, und zwar wie jemand, der von Gewissensbissen gequält wird und fühlt, daß er sich dem andern gegenüber schuldig gemacht hat. Wenn z.B. die Rede auf irgendeinen zweifelhaften Punkt kam, so stimmte der Gast sogleich Herrn Goljadkins Meinung zu. Wenn er durch ein Versehen mit seiner Meinung irgendwie in Gegensatz zu Herrn Goljadkin geriet und dann bemerkte, daß er vom richtigen Wege abgekommen war, so korrigierte er das, was er gesagt hatte, sofort, interpretierte es und gab unverzüglich zu verstehen, daß er alles genau in derselben Weise beurteile wie sein Wirt, ebenso denke wie dieser und alles mit ganz denselben Augen ansehe wie dieser. Kurz, der Gast machte alle möglichen Anstrengungen, um sich Herrn Goljadkins Wohlwollen zu erwerben, so daß dieser schließlich zu der Ansicht gelangte, sein Gast sei in jeder Hinsicht ein sehr liebenswürdiger Mensch. Inzwischen wurde Tee gebracht; es war zwischen acht und neun Uhr. Herr Goljadkin fühlte sich in vortrefflicher Stimmung; er war heiter geworden, machte Scherze, ging ein wenig aus sich heraus und ließ sich endlich in ein sehr lebhaftes, angeregtes Gespräch mit seinem Gaste ein. Herr Goljadkin liebte es, wenn er guter Laune war, manchmal etwas Unterhaltendes zu erzählen. Das tat er auch jetzt: er erzählte seinem Gaste viel von der Residenz, von ihren Vergnügungen und Schönheiten, vom Theater, von den Klubs, von dem Brülowschen Gemälde, [Gemeint ist das berühmte Bild »Der letzte Tag Pompejis«, jetzt im Russischen Museum Alexanders III. Anmerkung des Übersetzers.] daß zwei Engländer expreß aus England nach Petersburg gekommen seien, um das Gitter des Sommergartens zu besehen, und sogleich wieder zurückgefahren seien, vom Dienste, von Olsufi Iwanowitsch und von Andrei Filippowitsch, daß sich Rußland von Stunde zu Stunde mehr der Vollkommenheit nähere, und daß jetzt hier die schönen Wissenschaften in Blüte ständen, von einer Anekdote, die er kürzlich in der »Nordischen Biene« gelesen hatte, und daß es in Indien eine ganz außerordentlich starke Riesenschlange gebe, zuletzt von dem Baron Brambäus [Das Pseudonym, unter dem der Schriftsteller Senkowski mehrere Romane veröffentlichte, Anmerkung des Übersetzers.] usw. usw. Kurz, Herr Goljadkin war völlig zufrieden, erstens weil er ganz beruhigt war, zweitens weil er seine Feinde nicht nur nicht mehr fürchtete, sondern sogar bereit war, sie jetzt alle zum Entscheidungskampfe herauszufordern, drittens weil er jetzt selbst in eigener Person jemandes Protektor geworden war, und schließlich weil er ein gutes Werk tat. Er war sich übrigens innerlich bewußt, daß er in diesem Augenblicke noch nicht ganz glücklich war, daß in ihm noch ein Wurm saß, wenn auch nur ein ganz kleiner, der auch jetzt noch sein Herz quälte. Die Erinnerung an den gestrigen Abend bei Olsufi Iwanowitsch war ihm äußerst peinlich. Er hätte jetzt viel darum gegeben, wenn manches von dem, was gestern geschehen war, nicht geschehen wäre. »Indessen es hat ja nicht viel zu bedeuten!« sagte unser Held sich schließlich und nahm sich im stillen fest vor, sich künftig gut zu führen und ähnliche Fehler nicht wieder zu begehen. Da Herr Goljadkin jetzt sehr gut gelaunt war und sich auf einmal fast völlig glücklich fühlte, so kam er sogar auf den Einfall, das Leben zu genießen. Petruschka mußte Rum bringen, und es wurde ein Punsch gebraut. Gast und Wirt leerten jeder ein Glas und ein zweites. Der Gast benahm sich noch liebenswürdiger als vorher und gab viele Beweise seiner Aufrichtigkeit und seines trefflichen Charakters; er ging kräftig auf Herrn Goljadkins vergnügte Stimmung ein, schien sich nur über dessen Freude zu freuen und blickte ihn wie seinen wahren und einzigen Wohltäter an. Eine Feder und ein Blättchen Papier ergreifend, bat er Herrn Goljadkin nicht zuzusehen, was er schreiben werde, und zeigte dann, als er fertig war, selbst seinem Wirte alles, was er geschrieben hatte. Es ergab sich, daß es eine vierzeilige Strophe war, von sehr gefühlvollem Inhalt, in schönem Stil und mit guter Handschrift geschrieben und augenscheinlich von dem liebenswürdigen Gaste selbst verfaßt. Die Verse lauteten: