So hatte Herr Goljadkin, als er seine Wohnung betrat, sich schon beinah zu irgend etwas entschlossen; ohne zu zaudern griff er nach seiner Pfeife, und aus Leibeskräften daran saugend und Rauchwolken nach rechts und links ausstoßend, begann er in großer Aufregung in seinem Zimmer hin und her zu laufen. Unterdessen fing Petruschka an, den Tisch zu decken. Endlich war Herr Goljadkin mit seinem Entschlusse ins reine gekommen; er warf plötzlich die Pfeife hin, zog sich den Mantel an, sagte, er werde nicht zu Hause zu Mittag essen, und lief aus der Wohnung. Auf der Treppe holte ihn Petruschka ganz atemlos ein, der den von ihm vergessenen Hut in der Hand hielt. Herr Goljadkin nahm den Hut hin und wollte sich so obenhin mit ein paar Worten vor Petruschka entschuldigen, damit dieser nicht auf irgendwelche besonderen Gedanken käme (er wollte sagen, es sei etwas Derartiges vorgefallen, daß es einem leicht passieren könne, den Hut zu vergessen usw.); aber da Petruschka ihn nicht einmal ansehen mochte, sondern sogleich wieder wegging, so setzte auch Herr Goljadkin ohne weitere Auseinandersetzungen seinen Hut auf und lief die Treppe hinunter. Er sagte sich, vielleicht werde alles sich gut gestalten und die Sache sich irgendwie zurechtschieben, und obwohl er die erfrorenen Stellen an seinen Fersen unangenehm fühlte, trat er auf die Straße hinaus, nahm sich eine Droschke und fuhr schnell zu Andrei Filippowitsch. »Wäre es übrigens nicht besser, es bis morgen zu lassen?« dachte Herr Goljadkin, während er nach dem Klingelzuge an Andrei Filippowitschs Entreetür griff. »Was habe ich ihm denn auch eigentlich Besonderes zu sagen? Etwas Besonderes liegt hier überhaupt nicht vor. Die Sache ist ja so jämmerlich, wirklich jämmerlich, ekelhaft, d. h. beinah ekelhaft... so wie dies alles, dieser ganze Vorfall...« Plötzlich zog Herr Goljadkin an dem Klingelzuge; die Klingel ertönte; von innen wurden Schritte vernehmbar... Nun verwünschte Herr Goljadkin sich geradezu wegen seiner Übereilung und Dreistigkeit. Die Unannehmlichkeiten, die er vor kurzem gehabt, aber über den amtlichen Dingen beinahe vergessen hatte, und sein Rencontre mit Andrei Filippowitsch kamen ihm jetzt sofort wieder ins Gedächtnis. Aber zum Davonlaufen war es bereits zu spät: die Tür wurde geöffnet. Zu Herrn Goljadkins Glücke wurde ihm geantwortet, daß Andrei Filippowitsch nicht vom Dienst nach Hause gekommen sei und nicht zu Hause zu Mittag gegessen habe. »Ich weiß, wo er zu Mittag gegessen hat; er pflegt bei der Ismailowski-Brücke zu Mittag zu essen,« dachte unser Held und freute sich gewaltig. Auf die Frage des Dieners, wen er seinem Herrn als dagewesen melden solle, erwiderte er: »Schon gut; ich werde später noch einmal wiederkommen, mein Freund!« und lief sogar mit einer gewissen Munterkeit die Treppe hinab. Als er auf die Straße hinaustrat, entschied er sich dafür, den Wagen zu entlassen und den Kutscher abzulehnen. Als der Kutscher um ein Trinkgeld bat, mit der Begründung: »Ich habe lange warten müssen, mein Herr, und habe meinen Traber für Euer Gnaden nicht geschont,« da gab er ihm auch fünf Kopeken Trinkgeld, und sogar recht gern; er selbst ging zu Fuß.
»Die Sache ist allerdings von der Art,« dachte Herr Goljadkin, »daß man sie nicht so weitergehen lassen darf; indessen, wenn man es überlegt, so recht überlegt, warum soll man sich denn eigentlich deswegen Mühe machen? Na ja, ich will nur sagen, warum soll ich mir deswegen Mühe machen? Warum soll ich mich plagen, mich quälen, mich peinigen, mir das Leben verderben? Erstens ist die Sache einmal geschehen und läßt sich nicht ungeschehen machen... nein, ungeschehen läßt sie sich nicht machen! Erwägen wir sie einmal so: da erscheint ein Mensch... es erscheint ein Mensch mit ausreichender Empfehlung; es heißt darin, er sei ein brauchbarer Beamter, habe sich gut geführt; er ist nur arm und hat allerlei Unannehmlichkeiten auszustehen gehabt, so Klatschgeschichten und Zänkereien; na, Armut ist ja keine Schande. Also was geht mich die Sache an? In der Tat, was ist das für dummes Zeug? Na, da trifft es sich nun, daß dieser Mensch so gestaltet ist, von der Natur selbst so gestaltet ist, daß er einem andern Menschen so ähnlich sieht wie ein Ei dem andern, daß er die vollkommene Kopie eines andern Menschen ist; soll er nun deswegen bei der Behörde keine Aufnahme finden? Wenn das Schicksal, wenn einzig und allein das Schicksal, wenn einzig und allein der blinde Zufall daran schuld ist, soll man ihn dann mißachten wie einen alten Lappen und ihm nicht gestatten, ein Amt zu verwalten... wo bleibt da bei solchem Verfahren die Gerechtigkeit? Er ist ein armer, verstörter, verängstigter Mensch; das Herz tut einem weh bei seinem Anblick; das Mitleid gebietet, daß man sich seiner annimmt! Ja! Das muß man sagen, das wäre eine nette Obrigkeit, wenn sie darüber so dächte wie ich herzloser Mensch! Nein, was habe ich für einen Kopf! Manchmal haben zehn Dummheiten zugleich darin Platz! Nein, nein! Sie haben gut getan, und es gebührt ihnen Dank dafür, daß sie sich des armen Teufels angenommen haben... Na ja, allerdings, zum Beispiel, daß wir so ähnlich sind, daß wir eine solche zwillingshafte Ähnlichkeit haben, das ist eine tolle Geschichte! Aber, was ist dabei? Einfach gar nichts! Die Beamten können sich alle daran gewöhnen; und ein Fremder, der in unser Bureau kommt, wird gewiß in einem solchen Umstände nichts Unziemliches und Anstößiges finden. Es ist sogar gewissermaßen etwas Rührendes dabei; er wird sich sagen: ›Was liegt da für ein schöner Gedanke zugrunde? Die göttliche Vorsehung hat zwei ganz ähnliche Menschen geschaffen, und die edeldenkende Behörde hat sich, da sie sah, was die göttliche Vorsehung getan hat, der beiden Zwillinge angenommen.‹ Das ist gewiß,« fuhr Herr Goljadkin fort, indem er tief Atem holte und die Stimme ein wenig senkte, »das ist gewiß, das beste wäre es, wenn all das nicht existierte, wenn nichts Rührendes da wäre und auch keine Zwillinge... Hole der Teufel diese ganze Geschichte! Und wozu war das denn nötig? Was war denn für eine besondere, keinen Aufschub vertragende Notwendigkeit vorhanden? Herr du mein Gott! Was hat uns da der Teufel für eine Grütze gekocht! Und dabei hat dieser Mensch so einen Charakter, so ein spaßhaftes, unangenehmes Wesen, ein solcher Schuft ist er, eine solche Wetterfahne, ein Liebediener und Schmarotzer, so ein echter Goljadkin! Am Ende wird er sich gar noch schlecht führen und meinen Familiennamen beflecken, der Schurke! Da heißt es nun jetzt auf ihn aufpassen, ihn beaufsichtigen! Ach, ist das eine Heimsuchung! Übrigens wieso denn? Es ist ja doch gar nicht nötig! Na, wenn er ein Schuft ist, dann mag er in Gottes Namen ein Schuft sein; aber dafür ist der andere ein ehrenwerter Mensch. Na, wenn er nun ein Schuft sein wird, ich aber ehrenwert, dann werden sie sagen: ›Dieser Goljadkin hier ist ein Schuft; um den muß man sich nicht kümmern und darf ihn nicht mit dem andern verwechseln; der andere aber ist ehrenwert, tugendhaft, sanft, gutmütig, durchaus zuverlässig im Dienst und eines Avancements würdig. So ist das!‹ Na, gut... aber wie, hm... Aber wie werden sie, hm... und sie werden uns doch verwechseln! Es sieht ihm ganz ähnlich, daß er es darauf anlegt! Ach du mein Herrgott!... Und er gibt sich für einen andern Menschen aus, gibt sich für einen andern Menschen aus, dieser Schuft; als ob der andere ein alter Lappen wäre, gibt er sich für ihn aus und bedenkt nicht, daß ein Mensch kein alter Lappen ist. Ach du mein Herrgott! Ist das ein Unglück!...«
Unter solchen Überlegungen und Wehklagen lief Herr Goljadkin dahin, ohne auf den Weg zu achten, und beinah ohne selbst zu wissen, wohin. Erst auf dem Newski-Prospekte kam er zu sich, und zwar nur infolge des zufälligen Umstandes, daß er mit einem Passanten so geschickt und kräftig zusammenstieß, daß beiden die Funken aus den Augen sprühten. Herr Goljadkin murmelte, ohne den Kopf in die Höhe zu heben, eine Entschuldigung, und erst als der andere, der etwas nicht sehr Schmeichelhaftes zurückgemurmelt hatte, sich bereits in beträchtlicher Entfernung befand, richtete er den Kopf auf und sah sich um, wo er denn sei. Als er dabei bemerkte, daß er sich gerade vor dem Restaurant befand, in dem er sich zur Vorbereitung auf das Diner bei Olsufi Iwanowitsch erholt hatte, fühlte unser Held auf einmal ein Kneifen und Zwicken im Magen und erinnerte sich, daß er noch nicht zu Mittag gegessen hatte und nirgends zum Diner eingeladen war; ohne daher seine kostbare Zeit zu verlieren, lief er die Treppe zum Restaurant hinauf, um in aller Geschwindigkeit einen Bissen zu genießen und möglichst bald wieder fortzugehen. Und obgleich in dem Restaurant alles ein bißchen teuer war, so ließ sich Herr Goljadkin doch durch diesen unbedeutenden Umstand diesmal nicht zurückschrecken; er hatte keine Zeit, sich mit so unwichtigen Dingen aufzuhalten. In einem hellerleuchteten Zimmer stand eine ziemlich dichte Schar von Gästen um das Büfett herum, auf welchem eine Menge all solcher Speisen stand, wie sie von gutsituierten Leuten als Vorgericht genossen werden. Der Büfettkellner hatte alle Hände voll zu tun mit Einschenken, Hinreichen, Geldnehmen und -herausgeben. Herr Goljadkin wartete ein Weilchen, bis er herankonnte, und streckte dann bescheiden seine Hand nach einer kleinen Fischpastete aus. Darauf ging er in eine Ecke, wendete den Anwesenden den Rücken zu, aß mit gutem Appetite, kehrte dann wieder zu dem Büfettkellner zurück, stellte das Tellerchen auf den Tisch, zog, da er den Preis kannte, ein Zehnkopekenstück heraus und legte es auf den Schenktisch, wobei er den Blick des Kellners auffing, um ihn zu bedeuten: »Hier liegt das Geld; eine Pastete.«