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»Gehe ich auch nicht zu weit?« überlegte Herr Goljadkin. »Wird das auch nicht zu stark sein? Ist das auch nicht zu beleidigend, diese Hindeutung auf die gute Lebensart zum Beispiel?... Na, es schadet nichts! Man muß ihm Charakterfestigkeit zeigen. Übrigens kann man ihm zur Besänftigung ein bißchen schmeicheln und ihm zum Schluß etwas Honig um den Mund streichen. Nun, wir wollen sehen!«

»Aber ich würde Sie, mein Herr, mit meinem Briefe nicht belästigen, wenn ich nicht fest überzeugt wäre, daß der Edelmut Ihrer Herzensempfindungen und Ihr offener, gerader Charakter Ihnen selbst die Mittel zeigen werden, alle begangenen Versehen wieder gutzumachen und alles in den früheren Stand zurückzuversetzen.

»Ich bin der festen Hoffnung und Überzeugung, daß Sie meinem Briefe nicht eine für Sie beleidigende Deutung geben werden, und gleichzeitig, daß Sie sich nicht weigern werden, über diesen Fall eine eingehende briefliche Erklärung abzugeben. Mein Diener hat Auftrag, diese zurückzubringen.

»In dieser Erwartung, mein Herr, habe ich die Ehre, zu sein

Ihr ergebenster Diener

J. Goljadkin.«

»Na, so ist alles schön! Die Sache ist besorgt; es ist also schon zu brieflichen Auseinandersetzungen gekommen. Aber wer ist daran schuld? Er ist selbst daran schuld; er selbst versetzt einen Mitmenschen in die Notwendigkeit, briefliche Erklärungen zu verlangen. Und ich bin in meinem Rechte...«

Nachdem Herr Goljadkin den Brief zum letzten Male durchgelesen hatte, faltete er ihn zusammen, siegelte ihn zu und rief Petruschka. Petruschka erschien, nach seiner Gewohnheit mit verschlafenen Augen und sehr ärgerlicher Miene.

»Nimm diesen Brief hier, mein Lieber... verstehst du?«

Petruschka schwieg.

»Nimm ihn und trage ihn nach der Kanzlei; da suche den dejourierenden Beamten, den Gouvernementssekretär Wachramejew. Wachramejew hat heute Dejour. Verstehst du auch?«

»Ja.«

» ›Ja‹! Kannst du nicht sagen: ›Jawohl, Herr‹? Frage nach dem Sekretär Wachramejew und sage ihm: ›So und so, mein Herr läßt sich Ihnen empfehlen und bittet Sie ganz ergebenst, in dem Adressenverzeichnis unserer Behörde nachzusehen, wo der Titularrat Goljadkin wohnt.‹ «

Petruschka schwieg, und es kam Herrn Goljadkin so vor, als ob er lächelte.

»Na, also erkundige dich bei ihm nach der Adresse und bringe in Erfahrung, wo der neueingetretene Beamte Goljadkin wohnt!«

»Sehr wohl.«

»Frage nach der Adresse und bestelle dann diesen Brief an die Adresse; verstehst du?«

»Ja.«

»Wenn du da bist... nämlich da, wo du den Brief hinträgst, dann wird der Herr, dem du diesen Brief abgibst, also Herr Goljadkin... Was lachst du denn, du Tölpel?«

»Worüber sollte ich lachen? Was geht's mich an? Ich kümmere mich um nichts. Unsereiner hat nichts zu lachen...«

»Na also, wenn der Herr dich fragen sollte, wie es deinem Herrn geht, wie er sich befindet, und so weiter... na, irgend so etwas wird er dich wohl fragen, – dann schweige du und antworte: ›Meinem Herrn geht es ganz gut, und er läßt Sie um eine eigenhändige Antwort bitten.‹ Verstehst du?«

»Jawohl, Herr!«

»Na also, sage: ›Meinem Herrn geht es ganz gut, und er ist gesund, und er wird gleich einer Einladung Folge leisten; aber Sie läßt er um eine briefliche Antwort bitten.‹ Verstehst du?«

»Ja.«

»Na, dann geh!«

»Nein, was hat man mit diesem Dummkopf für Mühe! Er lacht sich was; weiter kann er nichts. Worüber lacht er denn? Was habe ich mit ihm schon für Ärger erlebt! Übrigens wird es sich vielleicht noch gut gestalten... Dieser Schurke wird sich jetzt gewiß ein paar Stunden lang herumtreiben und irgendwohin verschwinden... Man kann ihn nirgends hinschicken. Ist das ein Elend!... Dieses Elend ist doch gar zu arg geworden!«

So von dem Gefühle seines Unglücks ganz erfüllt, entschloß sich unser Held, sich in Erwartung der Rückkehr Petruschkas zwei Stunden lang passiv zu verhalten. Etwa eine Stunde lang ging er im Zimmer auf und ab und rauchte; dann warf er die Pfeife beiseite und setzte sich mit einem Buche hin; dann legte er sich auf das Sofa; dann griff er wieder zur Pfeife; dann fing er wieder an im Zimmer hin und her zu laufen. Er wollte nachdenken; aber über irgend etwas nachzudenken war er schlechterdings außerstande. Schließlich stieg die Pein dieses seines passiven Zustandes bis zum äußersten Grade, und Herr Goljadkin entschloß sich, lieber etwas Bestimmtes zu tun. »Petruschka wird erst nach einer Stunde zurückkommen,« dachte er; »ich kann den Schlüssel dem Hausknecht geben und selbst unterdessen, hm, hm... ich will die Sache untersuchen, will meinerseits die Sache untersuchen.« Ohne Zeit zu verlieren, ergriff Herr Goljadkin, der es eilig hatte, die Sache zu untersuchen, seinen Hut, verließ das Zimmer, schloß die Wohnung zu, ging zum Hausknecht heran, händigte ihm den Schlüssel nebst einem Zehnkopekenstück ein (Herr Goljadkin war außerordentlich freigebig geworden) und machte sich auf den Weg dahin, wohin er sich zu begeben vorhatte. Herr Goljadkin ging zu Fuß, zuerst nach der Ismailowski-Brücke. Dieser Weg dauerte ungefähr eine halbe Stunde. Als er zum Ziele seiner Wanderung gelangt war, ging er geradezu auf den Hof des ihm wohlbekannten Hauses und sah zu den Fenstern der Wohnung des Staatsrates Berendejew hinauf. Außer drei Fenstern, die mit roten Vorhängen verhängt waren, waren alle übrigen dunkel. »Olsufi Iwanowitsch hat heute gewiß keine Gäste,« dachte Herr Goljadkin; »sie sitzen gewiß jetzt alle allein zu Hause.« Nachdem er einige Zeit auf dem Hofe gestanden hatte, war unser Held schon im Begriffe, sich zu etwas zu entschließen. Aber es war seinem Entschlusse anscheinend nicht beschieden, zustande zu kommen. Herr Goljadkin wurde anderen Sinnes, machte eine resignierende Handbewegung und ging wieder zurück auf die Straße. »Nein, ich hätte nicht hierher gehen sollen. Was kann ich denn hier tun?... Ich will jetzt lieber... hm... und die Sache in eigener Person untersuchen.« Nachdem Herr Goljadkin diesen Entschluß gefaßt hatte, machte er sich auf den Weg nach seinem Bureau. Der Weg war nicht nah, und überdies war ein furchtbarer Schmutz, und feuchter Schnee fiel in ganz dicken Flocken. Aber für unsern Helden schien es jetzt keine Hindernisse zu geben. Er wurde allerdings ganz durchnäßt und gehörig schmutzig; aber er sagte sich: »Das geht nun alles in einem hin; dafür werde ich meinen Zweck erreicht haben.« Und wirklich näherte sich Herr Goljadkin schon seinem Ziele. Die dunkle Masse des riesigen staatlichen Gebäudes hob sich schon in der Ferne vor ihm ab. »Halt!« dachte er, »wohin gehe ich denn, und was will ich hier tun? Allerdings werde ich in Erfahrung bringen, wo er wohnt; aber unterdessen ist Petruschka gewiß schon zurückgekommen und hat mir eine Antwort gebracht. Ich verliere nur unnütz meine kostbare Zeit; ich habe so schon viel Zeit verloren. Na, es tut nichts; das läßt sich alles noch wieder gutmachen. Aber soll ich wirklich nicht zu Wachramejew herangehen? Na, ich will es nicht tun. Ich kann es ja auch später noch tun... Ach! Ich hätte überhaupt nicht auszugehen brauchen. Aber das liegt nun einmal in meinem Charakter! Das ist so ein Drang bei mir: ob es nun nötig ist oder nicht, immer strebe ich danach, schnell vorzugehen... Hm!... Was mag die Uhr sein? Es ist gewiß schon neun. Petruschka kommt vielleicht zurück und findet mich dann nicht zu Hause. Ich habe eine arge Dummheit damit begangen, daß ich ausgegangen bin... Ach wahrhaftig, das ist eine schwere Aufgabe!«

Nachdem er sich auf diese Art aufrichtig gestanden hatte, daß er eine arge Dummheit begangen habe, lief unser Held wieder zurück nach seiner Wohnung in der Schestilawotschnaja-Straße. Er langte dort müde und matt an. Schon von dem Hausknechte erfuhr er, daß von Petruschka noch nichts zu sehen gewesen sei. »Na ja! Das habe ich mir doch gedacht!« sagte sich unser Held; »und dabei ist es schon neun Uhr. Nein, was ist er für ein Taugenichts! Immer muß er sich irgendwo betrinken! Herr du mein Gott! Ist das ein Unglückstag für mich!« Unter solchen Gedanken und Wehklagen schloß Herr Goljadkin seine Wohnung auf, machte Licht, zog sich ganz aus, zündete sich eine Pfeife an, legte sich erschöpft, müde, wie zerschlagen und hungrig auf das Sofa und wartete auf Petruschka. Die Kerze brannte trübe; der Lichtschein zitterte an den Wänden... Herr Goljadkin schaute und schaute, dachte und dachte und versank endlich in einen totenähnlichen Schlaf.