Als er erwachte, war es schon spät. Die Kerze war fast ganz heruntergebrannt, qualmte und war nahe daran, zu erlöschen. Herr Goljadkin sprang auf, schüttelte sich und erinnerte sich an alles, was vorgegangen war, schlechthin an alles. Hinter der Scheidewand war Petruschkas kräftiges Schnarchen zu vernehmen. Herr Goljadkin stürzte zum Fenster: nirgend war Licht zu sehen. Er öffnete die Luftklappe: es war still; die Stadt war wie ausgestorben; sie schlief. Also mußte es etwa zwei oder drei Uhr sein; und so war es auch: die Uhr hinter der Scheidewand holte mit Anstrengung aus und schlug zwei. Herr Goljadkin lief hinter die Scheidewand.
Nach langen Bemühungen gelang es ihm durch Püffe und Stöße, Petruschka einigermaßen munter zu bekommen und ihn dahin zu bringen, daß er sich im Bette aufrichtete. In diesem Augenblicke erlosch die Kerze vollständig. Es dauerte etwa zehn Minuten, bis Herr Goljadkin eine andere Kerze gefunden und angezündet hatte. Unterdessen hatte es Petruschka fertig gebracht, von neuem einzuschlafen. »So ein Schurke, so ein Taugenichts!« rief Herr Goljadkin, während er ihm von neuem Püffe versetzte. »Wirst du wohl aufstehen? Wirst du wohl aufwachen?« Nach einer halbstündigen Anstrengung glückte es Herrn Goljadkin aber doch, seinen Diener vollständig in Bewegung zu bringen und ihn hinter seiner Scheidewand hervorzuziehen. Erst hier erkannte unser Held, daß Petruschka, was man nennt, sternhagelvoll war und sich kaum auf den Beinen hielt.
»Du Faulpelz!« schrie Herr Goljadkin; »du Nichtswürdiger! Du hast mir ja den schwersten Schaden zugefügt! Herr Gott, wo hast du nur den Brief gelassen? Ach, du mein Schöpfer, wie soll der Brief nun... Und warum habe ich ihn überhaupt geschrieben? Brauchte ich ihn denn zu schreiben? Ich habe mich von meinem übermäßigen Ehrgefühl hinreißen lassen, ich Dummkopf! Dahin hat mich meine Empfindlichkeit gebracht! Das hast du nun von deinem Ehrgefühl, du Schuft; das hast du von deinem Ehrgefühl!... Na, du da! Wo hast du den Brief gelassen, du Halunke? An wen hast du ihn abgegeben?...«
»An niemanden habe ich einen Brief abgegeben; ich habe überhaupt keinen Brief gehabt... so ist die Sache!«
Herr Goljadkin rang vor Verzweiflung die Hände.
»Hör mal, Petruschka; hör mal zu; hör mal, was ich dir sagen will...«
»Na ja, ich höre.«
»Wo bist du hingegangen? Antworte!...«
»Wo ich hingegangen bin? Zu guten Leuten bin ich hingegangen! Weiter geht mich nichts an!«
»Ach du mein Herrgott! Wo bist du zuerst hingegangen? Bist du in der Kanzlei gewesen?... Hör mal, Petruschka: du bist wohl betrunken?«
»Ich betrunken? Da will ich doch gleich auf dem Fleck krepieren, da will ich...«
»Nein, nein, das macht ja nichts, daß du betrunken bist... Ich habe nur gefragt; es ist ganz gut, daß du betrunken bist; ich schelte ja nicht, Petruschka, ich schelte ja nicht... Du hast es vielleicht für einen Augenblick vergessen und wirst dich an alles wieder erinnern. Nun also, besinne dich maclass="underline" bist du bei dem Sekretär Wachramejew gewesen? Bist du da gewesen oder nicht?«
»Ich bin nicht bei ihm gewesen; so einen Sekretär gab es gar nicht. Da will ich gleich auf dem Fleck...«
»Nein, nein, Petruschka! Nein, Petruschka, ich schelte ja nicht; du siehst ja, daß ich nicht schelte... Na, was ist denn dabei? Draußen ist es kalt und naß; da trinkt der Mensch ein Schlückchen; das schadet ja nichts. Ich bin darüber nicht böse. Ich habe heute selbst ein bißchen getrunken, lieber Freund... Nun sage mal, besinne dich mal, lieber Freund: bist du bei dem Sekretär Wachramejew gewesen?«
»Na, wenn es so steht, dann will ich wahrheitsgemäß sagen: ich bin da gewesen. Da will ich gleich auf dem Fleck...«
»Na, das ist ja schön, Petruschka, das ist ja schön, daß du da gewesen bist. Du siehst, ich bin nicht ärgerlich... Nun, nun,« fuhr unser Held fort, der seinen Diener noch weiter zu begütigen suchte, ihm auf die Schulter klopfte und ihm zulächelte, »nun, also du hast ein bißchen getrunken, du Racker... hast für zehn Kopeken ein bißchen getrunken? Ja, ja, du Spitzbube! Na, das schadet nichts; na, du siehst, daß ich nicht böse darüber bin... ich bin nicht böse darüber, lieber Freund, ich bin nicht böse darüber...«
»Nein, ich bin kein Spitzbube, da können Sie sagen, was Sie wollen... Ich bin nur zu guten Leuten herangegangen; aber ich bin kein Spitzbube und bin nie ein Spitzbube gewesen...«
»Aber nein, nein, Petruschka! So höre doch, Petruschka! Ich schimpfe dich ja nicht, wenn ich dich einen Spitzbuben nenne. Ich sage das ja, um dir eine Freude zu machen; ich sage das in gutem Sinne. Damit schmeichelt man ja manchem Menschen, Petruschka, wenn man zu ihm sagt, er sei ein solcher Schlaukopf, ein so geriebener Bursche, daß er sich von niemandem betrügen und hinters Licht führen lasse. So etwas hört mancher gern... Nun, nun, es macht nichts! Nun, sage mir jetzt nur ohne Umschweife, Petruschka, offenherzig, wie einem Freunde... na, bist du bei dem Sekretär Wachramejew gewesen, und hat er dir die Adresse gegeben?«
»Ja, er hat mir auch die Adresse gegeben, auch die Adresse hat er mir gegeben. Er ist ein netter, freundlicher Beamter! ›Dein Herr‹, sagte er, ›ist ein guter Mensch, ein sehr guter Mensch; bestelle deinem Herrn nur eine Empfehlung von mir und meinen Dank und sage ihm, daß ich ihn sehr gern habe; ich schätze deinen Herrn sehr hoch! Weil dein Herr‹, sagte er, ›ein guter Mensch ist, Petruschka; und du, Petruschka‹, sagte er, ›bist auch ein guter Mensch.‹ Und da will ich gleich...«
»Ach du mein Herrgott! Aber die Adresse, die Adresse! O du unzuverlässiges Subjekt!« Die letzten Worte sagte Herr Goljadkin fast flüsternd.
»Die Adresse... er hat mir auch die Adresse gegeben.«
»Er hat sie dir gegeben? Na, wo wohnt er denn, dieser Goljadkin, dieser Titularrat Goljadkin?«
»Er sagte: ›Goljadkin findest du in der Schestilawotschnaja-Straße. Wenn du hinkommst,‹ sagte er, ›in die Schestilawotschnaja-Straße, dann rechts, die Treppe hinauf, im vierten Stock. Da wirst du Goljadkin finden,‹ sagte er.«
»Du Schurke!« schrie unser Held, der endlich die Geduld verlor. »Du Kanaille! Das bin ich ja! Da redest du ja von mir! Aber es gibt noch einen andern Goljadkin; ich rede von dem andern, du Schurke!«
»Na, meinetwegen! Was kümmert es mich! Meinetwegen!...«
»Aber der Brief, der Brief...«
»Was für ein Brief? Es ist gar kein Brief dagewesen; ich habe keinen Brief gesehen.«
»Wo hast du ihn denn gelassen, du Schlingel?«
»Ich habe ihn abgegeben; ich habe den Brief abgegeben. ›Bestelle eine Empfehlung,‹ sagte er, ›und ich ließe danken; dein Herr ist ein guter Mensch. Bestelle deinem Herrn eine Empfehlung!‹ sagte er.«
»Aber wer hat das denn gesagt? Hat das Goljadkin gesagt?«
Petruschka schwieg ein Weilchen, sah seinem Herrn gerade in die Augen und grinste über das ganze Gesicht.
»Hör mal, du Racker,« begann Herr Goljadkin keuchend und vor Wut ganz außer sich, »was hast du mir da angetan! Nun sag mir nur, was du mir da angetan hast! Du hast mich zugrunde gerichtet, du Bösewicht! Völlig zugrunde gerichtet hast du mich, du unzuverlässiger Patron!«