»Nun, was gibt es, mein Freund,« sagte er, sich zu Pisarenko wendend. »Von wem kommst du, mein Freund?«
»Ich komme in Ihrer Angelegenheit. Bis jetzt ist noch nichts zu erfahren gewesen. Aber sobald wir etwas erfahren, werden wir es Ihnen mitteilen.«
»Und Ostafjew?«
»Der kann jetzt absolut nicht abkommen, Euer Wohlgeboren. Seine Exzellenz ist schon zweimal durch unser Bureau hindurchgegangen, und auch ich habe jetzt keine Zeit.«
»Ich danke dir, mein Lieber, ich danke dir... Sage mir nur noch...« »Wahrhaftig, ich habe keine Zeit... Alle Augenblicke werden wir gerufen... Bitte, bleiben Sie hier noch ein Weilchen stehen; wenn sich dann in betreff Ihrer Angelegenheit etwas begibt, wollen wir Sie benachrichtigen...«
»Nein, mein Freund, sage mir...«
»Verzeihen Sie, ich habe keine Zeit,« sagte Pisarenko, indem er sich von Herrn Goljadkin, der ihn am Rockschoß gefaßt hatte, loszureißen suchte; »ich habe wirklich keine Zeit. Bleiben Sie hier noch ein Weilchen stehen; dann wollen wir Sie benachrichtigen.«
»Gleich, gleich lasse ich dich weg, mein Freund! Gleich, gleich, lieber Freund! Aber jetzt... Hier ist ein Brief, mein Freund; ich werde mich dir dankbar zeigen, mein Lieber.«
»Zu Diensten.«
»Gib ihn an Herrn Goljadkin ab, mein Lieber; sei damit recht sorgsam!«
»An Herrn Goljadkin?«
»Ja, mein Freund, an Herrn Goljadkin.«
»Schön; sowie ich fertig bin, will ich ihn bestellen. Bleiben Sie hier nur solange stehen! Hier sieht Sie niemand...«
»Nein, ich... denke nur nichts Übles, mein Freund... ich stehe hier nicht, um von niemand gesehen zu werden. Aber ich werde jetzt nicht länger hierbleiben, mein Freund... ich werde hier in die Seitengasse gehen. Da ist ein Kaffeehaus; da werde ich warten; und wenn sich etwas zuträgt, so benachrichtige mich von allem, verstehst du?«
»Schön, lassen Sie mich jetzt nur weg; ich verstehe...«
»Ich werde dir dankbar sein, mein Lieber!« rief Herr Goljadkin dem Schreiber Pisarenko nach, dem es nun endlich gelungen war, sich frei zu machen. »Der Halunke wurde, wie es scheint, zuletzt gröber,« dachte unser Held, während er verstohlen hinter dem Ofen hervorkam. »Da hat die Sache noch einen Haken. Das ist klar... Zuerst war er anders... Übrigens mochte er es wirklich eilig haben; vielleicht ist bei ihnen viel zu tun. Und Seine Exzellenz ist zweimal durch das Bureau gegangen... Was mag dazu für Anlaß gewesen sein?... Ach was, das tut nichts! Das hat vielleicht nichts zu bedeuten; nun, jetzt wollen wir sehen...«
Hier war Herr Goljadkin schon im Begriff, die Haustür zu öffnen und auf die Straße hinauszugehen, als plötzlich gerade in diesem Augenblicke die Equipage Seiner Exzellenz mit donnerähnlichem Lärm vorfuhr. Herr Goljadkin war noch nicht zur Besinnung gekommen, als der Wagenschlag von innen geöffnet wurde und der darin sitzende Herr auf die Stufen vor der Haustür hinaussprang. Der Ankömmling war kein anderer als eben jener Herr Goljadkin der jüngere, der zehn Minuten vorher weggegangen war. Herr Goljadkin der ältere erinnerte sich, daß die Wohnung des Direktors nur einige Schritte entfernt lag. »Er hat einen besonderen Auftrag,« dachte unser Held bei sich. Unterdessen hatte Herr Goljadkin der jüngere aus dem Wagen das dicke grüne Portefeuille und noch einige andere Papiere herausgenommen, dem Kutscher eine Weisung gegeben und öffnete nun die Haustür; dabei versetzte er Herrn Goljadkin dem älteren mit ihr beinah einen Stoß, bemerkte ihn aber vorsätzlich nicht, so daß seine Absicht, ihn zu ärgern, deutlich war; dann lief er schnell die Treppe zur Kanzlei hinauf. »Schlimm!« dachte Herr Goljadkin; »meine Sache geht jetzt schief! Nun sehe mal einer den an, Herr du mein Gott!« Etwa eine halbe Minute lang stand unser Held noch da, ohne sich zu rühren; endlich hatte er seinen Entschluß gefaßt. Ohne sich lange zu bedenken, aber mit starkem Herzklopfen und an allen Gliedern zitternd, lief er seinem Freunde die Treppe hinauf nach. »Ach was! In Gottes Namen! Was geht es mich an? Ich kann nichts dafür,« dachte er, während er den Hut, den Mantel und die Überschuhe im Vorzimmer ablegte.
Als Herr Goljadkin in sein Bureau trat, war schon völlige Dämmerung eingetreten. Weder Andrei Filippowitsch noch Anton Antonowitsch waren im Zimmer. Sie befanden sich beide zum Zwecke der Berichterstattung im Arbeitszimmer des Direktors; der Direktor aber hatte sich, wie man hörte, seinerseits eilig zu Seiner Hohen Exzellenz begeben. Infolge dieser Umstände und auch weil es bereits Dämmerung war und die Bureauzeit zu Ende ging, trieben manche Beamten, namentlich die jüngeren, in dem Augenblicke, als unser Held eintrat, allerlei Allotria: sie gingen umher, führten Gespräche, plauderten, lachten, und einige der jüngsten, d. h. der im Range am niedrigsten stehenden, spielten sogar in einer Ecke am Fenster still und heimlich Schrift und Adler. Da Herr Goljadkin die Gebote des Anstandes kannte und gerade jetzt besonders wünschte, sie sich gegenüber beobachtet zu sehen, so trat er schnell zu einigen heran, mit denen er noch am ehesten harmonierte, um ihnen Guten Tag zu sagen usw. Aber die Kollegen erwiderten Herrn Goljadkins Gruß in ganz seltsamer Weise. Er war unangenehm überrascht durch die kalte, trockene, ja man kann sagen schroffe Art, in der sie ihn alle empfingen. Keiner reichte ihm die Hand. Manche sagten einfach: »Guten Tag« und gingen von ihm weg; andere nickten nur mit dem Kopfe; dieser und jener wandte sich einfach ab und tat, als ob er nichts bemerkt hätte; einige endlich (und das war für Herrn Goljadkin am allerverletzendsten), einige junge Leute von der untersten Rangstufe, Burschen, die, wie Herr Goljadkin sich ganz richtig im stillen über sie ausdrückte, weiter nichts verstanden als gelegentlich Schrift und Adler zu spielen und sich irgendwo umher zutreiben, diese umringten Herrn Goljadkin allmählich und umdrängten ihn so, daß sie ihm beinah den Ausweg versperrten. Alle blickten sie ihn mit einer Art von beleidigender Neugier an.
Das war ein übles Zeichen. Herr Goljadkin fühlte das und entschied sich seinerseits verständigerweise dafür, nichts zu bemerken. Plötzlich trat ein ganz unerwartetes Ereignis ein, das Herrn Goljadkin, wie man zu sagen pflegt, den Rest gab und den Garaus machte.
In dem Haufen der jungen Kollegen, die ihn umgaben, erschien plötzlich, und zwar gerade in dem für Herrn Goljadkin peinlichsten Augenblicke, Herr Goljadkin der jüngere, heiter wie immer, mit einem Lächeln auf dem Gesicht wie immer, beweglich, zungengewandt und leichtfüßig wie immer, kurz, als derselbe Schalk, Springinsfeld, Schäker und Spaßmacher wie immer, wie früher, wie z. B. gestern, wo er in einem für Herrn Goljadkin den älteren so unangenehmen Augenblicke aufgetaucht war. Schmunzelnd, sich hin und her drehend, trippelnd, mit einem Lächeln, das allen Anwesenden Guten Abend zu sagen schien, drängte er sich in den Haufen der Beamten hinein, drückte diesem die Hand, klopfte jenem auf die Schulter, umarmte flüchtig einen dritten, erklärte einem vierten, in welcher Angelegenheit Seine Exzellenz seine Dienste in Anspruch genommen habe, wohin er gefahren sei, was er getan und was er mitgebracht habe; einen fünften, wahrscheinlich seinen besten Freund, küßte er auf den Mund, – mit einem Worte: alles ging genau so vor sich wie in Herrn Goljadkins des älteren Traume. Nachdem er genugsam herumgehüpft, einen jeden auf seine Weise begrüßt, um die Gunst aller mit oder ohne Anlaß gebuhlt und sich bei allen gehörig lieb Kind gemacht hatte, streckte Herr Goljadkin der jüngere auch seinem älteren Freunde, Herrn Goljadkin dem älteren, den er bis dahin noch nicht bemerkt hatte, plötzlich und wahrscheinlich aus Versehen die Hand hin. Wahrscheinlich ebenfalls aus Versehen, obwohl er den unedlen Herrn Goljadkin den jüngeren schon längst sehr wohl bemerkt hatte, ergriff unser Held sofort eifrig die ihm so unerwartet hingestreckte Hand und drückte sie kräftig und in der freundschaftlichsten Art, ja mit einer seltsamen, ganz unerwarteten, innerlichen Bewegung, mit einer weinerlichen Empfindung. Ob unser Held sich durch die von seinem unwürdigen Feinde ergriffene Initiative täuschen ließ oder einfach der Geistesgegenwart ermangelte, oder in tiefster Seele seine Hilflosigkeit in ihrem ganzen Umfange erkannte und empfand, das ist schwer zu sagen. Tatsache ist, daß Herr Goljadkin der ältere bei vollem Verstande, aus freiem Willen und vor Zeugen feierlich die Hand desjenigen drückte, den er seinen Todfeind nannte. Aber wie groß war die Verwunderung, das Erstaunen, die Wut, der Schrecken und die Beschämung Herrn Goljadkins des älteren, als sein Todfeind, der unedle Herr Goljadkin der jüngere, sowie er das Versehen des unschuldigen, von ihm verfolgten und treulos betrogenen Menschen bemerkte, schamlos und gefühllos, erbarmungslos und gewissenlos auf einmal mit unerhörter Frechheit und Roheit seine Hand aus der Hand Herrn Goljadkins des älteren herausriß, ja seine Hand schlenkerte, als ob er sie mit etwas Unsauberem beschmutzt hätte, ja seitwärts ausspie und dies alles mit einer höchst beleidigenden Gebärde begleitete, ja sein Taschentuch herauszog und sich damit auf der Stelle in der unanständigsten Weise alle Finger abrieb, die sich einen Augenblick in der Hand des älteren Herrn Goljadkin befunden hatten. Während er dies tat, blickte Herr Goljadkin der jüngere nach seiner nichtswürdigen Gewohnheit absichtlich rings um sich, damit alle auf sein Benehmen aufmerksam würden, sah allen in die Augen und bemühte sich offenbar, allen eine recht üble Meinung von Herrn Goljadkin beizubringen. Es schien, daß das Verhalten des widerwärtigen Herrn Goljadkin des jüngeren bei den herumstehenden Beamten allgemeine Entrüstung hervorrief; sogar die leichtfertigen jungen Leute bekundeten ihr Mißvergnügen. Murren und tadelnde Worte wurden ringsum laut. Diese allgemeine Bewegung konnte den Ohren des älteren Herrn Goljadkin nicht entgehen; aber ein rechtzeitiges Scherzwort, das von den Lippen des jüngeren Herrn Goljadkin sprang, zerstörte und vernichtete die letzten Hoffnungen unseres Helden und bewirkte, daß die Wage sich wieder zugunsten seines schändlichen Todfeindes neigte.