»So reden meine Feinde,« antwortete er endlich, sich verständigerweise beherrschend, mit zitternder Stimme. Gleichzeitig sah sich unser Held unruhig nach der Tür um. Denn Herr Goljadkin der jüngere war anscheinend vorzüglicher Laune und zu allerlei Späßchen aufgelegt, die an einem öffentlichen Orte unerlaubt und überhaupt nach den Gesetzen des Umgangs, namentlich in den Kreisen der besseren Gesellschaft, nicht gestattet sind.
»Nun, dann also, wie Sie wollen,« erwiderte Herr Goljadkin der jüngere ernsthaft auf die Bemerkung des älteren Herrn Goljadkin und stellte seine geleerte Tasse, die er mit unanständiger Gier ausgetrunken hatte, auf den Tisch. »Nun, wir beide sind schon lange nicht mehr zusammen gewesen. Also wie geht es Ihnen denn jetzt, Jakow Petrowitsch?«
»Ich kann Ihnen nur eins sagen, Jakow Petrowitsch,« erwiderte unser Held kaltblütig und mit Würde, »ich bin niemals Ihr Feind gewesen.«
»Hm... Nun, und Petruschka? Wie hieß er doch? Doch wohl Petruschka? Ja, ja! Also wie geht es ihm? Gut? Wie früher?«
»Auch dem geht es wie früher, Jakow Petrowitsch,« antwortete Herr Goljadkin der ältere etwas befremdet. »Ich weiß nicht, Jakow Petrowitsch... von meiner Seite... ich als anständig denkender, aufrichtiger Mensch, Jakow Petrowitsch... Sie müssen selbst zugeben, Jakow Petrowitsch...«
»Ja. Aber Sie wissen selbst, Jakow Petrowitsch,« versetzte Herr Goljadkin der jüngere leise und in wehmütigem Tone, indem er sich dadurch lügnerischerweise als einen betrübten, von Reue und Bedauern erfüllten würdigen Menschen darstellte, »Sie wissen selbst, die Zeit, in der wir leben, ist eine schwere Zeit... Ich berufe mich auf Sie selbst, Jakow Petrowitsch; Sie sind ein verständiger Mensch und haben ein gerechtes Urteil,« schloß Herr Goljadkin der jüngere mit einer gemeinen Schmeichelei gegen Herrn Goljadkin den älteren. »Das Leben ist kein Spiel; das wissen Sie selbst, Jakow Petrowitsch,« fügte Herr Goljadkin der jüngere noch vielsagend hinzu und stellte sich auf diese Weise als einen klugen, gebildeten Menschen hin, der über hohe Gegenstände philosophieren könne.
»Ich meinerseits, Jakow Petrowitsch,« antwortete unser Held begeistert, »ich meinerseits verachte Schleichwege und spreche kühn und offen; ich bediene mich einer ungeschminkten, wohlanständigen Redeweise und nehme in jeder Sache einen hohen Standpunkt ein; und ich sage Ihnen und kann es Ihnen offen und ehrlich versichern, Jakow Petrowitsch, daß mein Gewissen völlig rein ist, und daß, wie Sie selbst wissen, Jakow Petrowitsch, nur eine beiderseitige Verirrung (es ist ja alles möglich), das Urteil der Welt, die Meinung der sklavischen Menge... Ich spreche offen, Jakow Petrowitsch; es ist ja alles möglich. Und ich möchte auch noch dies sagen, Jakow Petrowitsch: wenn man in dieser Weise urteilt, wenn man die Sache von einem edlen, hohen Gesichtspunkte aus betrachtet, dann sage ich kühn, ohne falsche Scham sage ich es, Jakow Petrowitsch, es wird mir sogar angenehm sein zu bekennen, daß ich auf Irrwege geraten bin; es wird mir sogar angenehm sein, dies einzugestehen. Sie werden das selbst wissen; Sie sind ein kluger und überdies ein edeldenkender Mensch. Ohne Scham, ohne falsche Scham bin ich bereit, dies einzugestehen... in würdiger, edler Gesinnung,« schloß unser Held.
»Das ist nun einmal so Schicksal, Verhängnis, Jakow Petrowitsch... aber lassen wir das alles beiseite,« versetzte Herr Goljadkin der jüngere mit einem Seufzer. »Lassen Sie uns die wenigen Minuten unseres Zusammenseins lieber zu einem nützlicheren und angenehmeren Gespräche gebrauchen, wie sich das unter zwei Kollegen schickt... Es ist mir sonderbarerweise diese ganze Zeit über nicht gelungen, ein paar Worte mit Ihnen zu reden... Ich bin daran nicht schuld, Jakow Petrowitsch...«
»Ich auch nicht,« unterbrach ihn unser Held mit Wärme, »ich auch nicht! Mein Herz sagt mir, Jakow Petrowitsch, daß ich an alledem nicht schuld bin. Lassen Sie uns die ganze Schuld daran dem Schicksal beimessen, Jakow Petrowitsch!« fügte Herr Goljadkin der ältere in ganz versöhnlichem Tone hinzu. Seine Stimme begann allmählich matt zu werden und zu zittern.
»Nun also, wie steht es denn überhaupt mit Ihrer Gesundheit?« fragte der auf Irrwegen befindlich Gewesene in freundlichem Tone.
»Ich huste ein wenig,« antwortete unser Held noch freundlicher.
»Nehmen Sie sich in acht! Es ist jetzt immer eine solche Witterung, daß man sich nicht wundern kann, wenn man sich eine Halsentzündung holt; ich muß Ihnen bekennen, daß auch ich schon angefangen habe, flanellne Unterkleidung zu tragen.«
»In der Tat, Jakow Petrowitsch, man kann sich nicht wundern, wenn man sich eine Halsentzündung holt... Jakow Petrowitsch!« sagte unser Held nach einem kurzen Stillschweigen. »Ich sehe, Jakow Petrowitsch, daß ich mich geirrt habe... Ich gedenke mit Vergnügen jener glücklichen Stunden, die wir unter meinem armen, aber, wie ich zu sagen wage, gastfreundlichen Dache zusammen verleben durften...«
»In Ihrem Briefe haben Sie übrigens etwas anderes geschrieben,« bemerkte einigermaßen vorwurfsvoll der völlig wahrheitsliebende (allerdings nur in diesem einen Punkte völlig wahrheitsliebende) Herr Goljadkin der jüngere.
»Jakow Petrowitsch! Ich habe mich geirrt... Ich erkenne jetzt klar, daß ich mich auch in diesem meinem unglücklichen Briefe geirrt habe. Jakow Petrowitsch, ich schäme mich, Sie anzusehen, Jakow Petrowitsch, Sie glauben es gar nicht... Geben Sie mir diesen Brief zurück, damit ich ihn vor Ihren Augen zerreiße, Jakow Petrowitsch; oder wenn das nicht mehr möglich ist, bitte ich Sie inständigst, ihn umgekehrt aufzufassen, ganz umgekehrt, d. h. absichtlich in freundschaftlicher Weise, indem Sie allen Worten meines Briefes den entgegengesetzten Sinn beilegen. Ich habe mich geirrt. Verzeihen Sie mir, Jakow Petrowitsch; ich habe mich völlig... ich habe mich traurig geirrt, Jakow Petrowitsch.«
»Was sagten Sie?« fragte ziemlich zerstreut und gleichgültig Herrn Goljadkins des älteren treuloser Freund.
»Ich sagte, daß ich mich völlig geirrt habe, Jakow Petrowitsch, und daß ich meinerseits ganz ohne falsche Scham...«
»Ach, nun schön! Das ist ja sehr schön, daß Sie sich geirrt haben,« antwortete Herr Goljadkin der jüngere in grobem Tone.
»Ich habe sogar schon gedacht, Jakow Petrowitsch,« fügte edelmütig unser offenherziger Held hinzu, der die schreckliche Treulosigkeit seines falschen Freundes gar nicht bemerkte, »ich habe schon gedacht, daß zwei ganz ähnliche Wesen erschaffen worden sind...«
»Ah, das haben Sie gedacht!...«
Hier stand der durch seine Nichtswürdigkeit bekannte Herr Goljadkin der jüngere auf und griff nach seinem Hute. Auch Herr Goljadkin der ältere, der die Tücke immer noch nicht merkte, erhob sich, lächelte seinem falschen Freunde gutherzig und edelmütig zu und bemühte sich in seiner Unschuld, freundlich gegen ihn zu sein, ihn zu ermutigen und auf diese Weise von neuem mit ihm Freundschaft zu schließen...
»Leben Sie wohl, Exzellenz!« rief auf einmal Herr Goljadkin der jüngere. Unser Held fuhr zusammen, bemerkte in dem Gesichte seines Feindes den spöttischen Zug und schob, lediglich um von ihm loszukommen, in die ihm hingestreckte Hand des Verworfenen zwei Finger der seinigen hinein; aber nun... nun überstieg die Unverschämtheit Herrn Goljadkins des jüngeren alles Maß. Nachdem er die beiden Finger des älteren Herrn Goljadkin ergriffen und zunächst gedrückt hatte, erlaubte sich der Unwürdige, unmittelbar vor den Augen des älteren Herrn Goljadkin seinen schamlosen Scherz vom Vormittag zu wiederholen. Das Maß der menschlichen Geduld war erschöpft...
Er hatte das Taschentuch, mit dem er sich die Finger abgewischt hatte, bereits wieder in die Tasche gesteckt, als Herr Goljadkin der ältere endlich zur Besinnung kam und ihm in das anstoßende Zimmer nachstürzte, wohin sein unversöhnlicher Feind nach seiner häßlichen Gewohnheit schleunigst geflüchtet war. Als ob nicht das geringste geschehen wäre, stand er am Büfett, aß Pastetchen und sagte wie der tugendhafteste Mensch der deutschen Konditorfrau Liebenswürdigkeiten. »In Gegenwart von Damen geht es nicht,« dachte unser Held und trat, außer sich vor Erregung, ebenfalls an das Büfett heran. »Aber wirklich, das Frauchen ist nicht übel! Wie denken Sie darüber?« begann Herr Goljadkin der jüngere von neuem seine unpassenden Späße; er rechnete wahrscheinlich auf Herrn Goljadkins unendliche Geduld. Die dicke Deutsche ihrerseits blickte ihre beiden Kunden mit ihren zinnernen, geistlosen Augen an; sie verstand offenbar kein Russisch und lächelte höflich. Bei den Worten des schamlosen jüngeren Herrn Goljadkin flammte unser Held auf wie Feuer, und außerstande sich länger zu beherrschen, stürzte er endlich auf ihn los in der offensichtlichen Absicht, ihn zu zerreißen und auf diese Art ein für allemal mit ihm fertig zu werden; aber Herr Goljadkin der jüngere war nach seiner unwürdigen Gewohnheit schon weit weg: er hatte Reißaus genommen und befand sich schon vor der Haustür. Als Herr Goljadkin der altere nach der ersten momentanen Erstarrung, die ihn natürlicherweise überkommen hatte, wieder zur Besinnung kam, lief er selbstverständlich spornstreichs hinter seinem Beleidiger her, der bereits in die Droschke gestiegen war, die auf ihn gewartet hatte, und deren Kutscher augenscheinlich mit ihm unter einer Decke steckte. Aber in diesem selben Augenblicke kreischte die dicke Deutsche, die ihre beiden Kunden davonrennen sah, laut auf und klingelte aus Leibeskräften mit ihrer Glocke. Fast im schärfsten Laufe wandte sich unser Held um, warf ihr das Geld für sich und für den schamlosen Menschen, der nicht bezahlt hatte, hin, ohne etwas heraus zu verlangen, und ermöglichte es trotz dieses Aufenthaltes doch, obgleich wieder nur mit größter Eile, seinen Feind zu erreichen. Indem er sich mit aller Kraft, die ihm die Natur gegeben hatte, an den Schmutzflügel der Droschke anklammerte, lief unser Held eine Weile auf der Straße mit und suchte dabei auf den Wagen heraufzuklettern, den der jüngere Herr Goljadkin aus aller Kraft wie eine Festung verteidigte. Unterdes trieb der Kutscher mit der Peitsche, den Zügeln, dem Fuße und mit Zurufen seinen steifbeinigen Klepper an, der ganz unerwartet in Galopp fiel, wobei er auf das Mundstück biß und nach seiner schlechten Gewohnheit bei jedem dritten Schritte mit den Hinterbeinen ausschlug. Endlich gelang es unserem Helden, sich auf die Droschke hinaufzuschwingen, das Gesicht seinem Feinde zugewandt, mit dem Rücken gegen den Kutscher gestemmt, Knie an Knie mit dem Schamlosen; mit der rechten Hand hielt er den schäbigen Pelzkragen an dem Mantel seines verworfenen, erbitterten Feindes fest gepackt.