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»Hier zwischen dem Dimmerskog – dem Wald nördlich von uns – und dem Drorshullvenn«, sagte er stirnrunzelnd, »ist immer Wildland gewesen, selbst als noch Isgrimnur und vor ihm sein Vater in Elvritshalla herrschten und der Winter seinen Platz kannte. Heute – wer weiß, was durch die weiße Öde oder die Trollfjälle dahinter wandert?« Er schabte im Takt.

»Trolle zum Beispiel«, bemerkte Binabik hämisch, »aber ich kann dir versichern, es besteht kaum Anlaß zur Furcht davor, daß nachts Trollvolk über uns herfällt, um zu töten und zu plündern.«

Sludig grinste säuerlich und fuhr fort, die Axt zu schärfen.

»Redet vernünftig, der Rimmersmann«, schaltete sich jetzt Haestan ein und warf Binabik einen mißbilligenden Blick zu. »Sind keine Trolle, vor denen ich mich fürchte.«

»Nähern wir uns denn schon deiner Heimat, Binabik?« erkundigte sich Simon. »Yiqanuc?«

»Wir kommen in größere Nähe zu ihr, sobald wir die Berge erreichen; aber der Ort meiner Geburt, denke ich, liegt tatsächlich im Osten des Ortes, zu dem wir wollen.«

»Du denkst das?«

»Vergiß nicht, daß wir noch nicht mit Genauigkeit wissen, wo unser Ziel liegt. ›Der Reimerbaum‹ – ein Baum voller Reime? Ich kenne den Berg, der Urmsheim heißt, wohin dieser Colmund angeblich geritten sein soll. Er steht irgendwo im Norden, zwischen Rimmersgard und Yiqanuc. Aber ein großer Berg ist er.« Der Troll zuckte die Achseln. »Steht der Baum darauf? Oder davor? Oder ganz woanders? Ich kann das zu dieser Zeit noch nicht wissen.«

Simon und die anderen blickten düster ins Feuer. Für seinen Herrscher einen gefährlichen Auftrag zu übernehmen war eine Sache, blind in einer weißen Wildnis herumzusuchen eine andere.

Die Flammen bissen zischend in das nasse Holz. Qantaqa, die sich auf dem nackten Schnee ausgestreckt hatte, erhob sich und legte den Kopf schräg. Zielstrebig lief sie zum Rand der Lichtung, die sie sich in einem Kiefernwäldchen am Hang des niedrigen Berges als Lagerplatz ausgesucht hatten. Nach einer besorgten Pause kehrte sie zurück und legte sich wieder hin. Niemand sagte ein Wort, aber ein angespannter Augenblick war vorbei und das Herz wieder etwas leichter.

Als alle gegessen hatten, wurde neues Holz auf das Feuer gelegt, das mit fröhlichem Prasseln und Dampfen dem wirbelnden Schnee trotzte. Binabik und Haestan waren in ein leises Gespräch vertieft, und Simon versuchte Ethelbearns Wetzstein an seinem eigenen Schwert. Eine dünne Melodie erklang. Simon drehte sich um und sah Grimmric, der die Lippen gespitzt und den Blick auf die tanzenden Flammen geheftet hatte und vor sich hin pfiff. Als er aufsah und Simons Blick auf sich spürte, schenkte der drahtige Erkynländer ihm ein schiefzähniges Lächeln.

»Hab mich an was erinnert«, erklärte er. »Altes Winterlied.«

»Welches denn?« fragte Ethelbearn. »Sing es uns vor, Mann. Ein kleines Lied kann nichts schaden.«

»Ja, sing«, half Simon nach.

Grimmric sah zu Haestan und dem Troll hinüber, als fürchte er Einwände aus dieser Richtung, aber die beiden waren noch völlig in ihre Diskussion verstrickt. »Also gut«, meinte er. »Wird schon nichts schaden.« Er räusperte sich und schaute zu Boden, als mache ihn die plötzliche Aufmerksamkeit der anderen verlegen. »Ist bloß ein Lied, das mein alter Vater immer gesungen hat, wenn wir im Decander nachmittags Holz schlagen gingen.« Er räusperte sich nochmals. »Ein Winterlied eben«, ergänzte er und fing an zu singen. Seine Stimme war rauh, aber nicht unmelodisch.

Eis bedeckt das Strohdach nun, Schnee Fensterbrett und Wald. Eine Hand klopft an die Tür im Winter eisigkalt.
Sing hei-a-ho, und wer kann's sein?
Feuer lodert im Kamin, fest versperrt das Haus. Schatten tanzt. Schön-Arda fragt vorsichtig hinaus:
»Sing hei-a-ho, und wer kann's sein?«
Wïnterdunkle Stimme spricht: »Öffne deine Tür. Laß mich ein, die Hände nur will ich wärmen mir.«
Sing hei-a-ho, und wer kann's sein?
Schöne Arda züchtig sagt: »Seltsam kommt's mir vor, daß ein Mensch in solcher Nacht nicht den Weg verlor.«
Sing hei-a-ho, und wer kann's sein?
»Bin ein armer Pilgersmann, hab nicht Dach noch Speise.« Und es schmilzt Schön-Ardas Herz bei den Worten leise.
Sing hei-a-ho, und wer kann's sein?
»Guter Vater, tretet ein, müde und beladen. Gottesmännern darf ich traun, werden mir nicht schaden.«
Sing hei-a-ho, und wer kann's sein?
Sie schließt auf. Wer steht davor? Ach, sie ist betrogen. Einaug selber tritt ins Haus, ist ihr wohlgewogen.
Sing hei-a-ho, und wer kann's sein?
»Lügen sprach ich, fing dich ein…« Einaug steht im Zimmer. »Frost bringt niemals Schaden mir, Lieb lohnt Listen immer…«
Sing hei-a-ho, und wer kann's sein?

»Heiliger Usires, bist du verrückt?« Sludig sprang auf. Alle erschraken. Mit vor Entsetzen geweiteten Augen malte er das Zeichen des Baumes breit vor sich in die Luft, als wollte er ein sich auf ihn stürzendes Untier abwehren. »Bist du verrückt?« wiederholte er und stierte den völlig verblüfften Grimmric an.

Der Erkynländer sah zu den anderen hinüber und zuckte hilflos die Schultern. »Was fehlt dem Rimmersmann, Troll?« fragte er.

Binabik schielte zu Sludig hinauf, der immer noch stand. »Was ist es für eine Unrichtigkeit, Sludig? Wir verstehen dich alle nicht.«

Der Nordmann musterte die ratlosen Gesichter. »Seid ihr denn alle von Sinnen? Wißt ihr denn nicht, von wem er da singt?«

»Alt-Einaug?« erwiderte Grimmric und zog fragend eine Braue hoch. »Nur so ein Lied, Nordmann. Hab's von meinem Vater gelernt.«

»Das ist Udun Einaug, von dem du singst, Udun Rimmer, der schwarze alte Gott meines Volkes. Als wir noch in heidnischer Unwissenheit lebten, verehrten wir ihn in Rimmersgard. Ruft nie nach Udun Himmelsvater, wenn ihr in seinem Land seid, sonst kommt er zu euch – und ihr werdet es bereuen.«

»Udun der Reimer…« sagte Binabik nachdenklich. »Aber wenn ihr nicht mehr an ihn glaubt«, fragte Simon, »warum fürchtest du dich dann, von ihm zu sprechen?«

Sludig, noch immer mit besorgt verzogenen Lippen, starrte auf Simon. »Ich habe nicht gesagt, daß ich nicht an ihn glaube … vergib mir, Ädon … sondern nur, daß wir Rimmersmänner ihn nicht mehr anbeten.« Nach einer kleinen Weile setzte er sich wieder hin. »Ihr werde mich bestimmt für töricht halten, aber das ist immer noch besser, als eifersüchtige alte Götter auf uns herabzurufen. Wir befinden uns jetzt in seinem Land.«

»Ist doch nur 'n Lied«, rechtfertigte sich Grimmric abermals. »Hab überhaupt nichts herabgerufen. Ist bloß 'n verdammtes Lied.«

»Binabik, sagen wir darum ›Udenstag‹?« wollte Simon fragen, unterbrach sich jedoch, als er merkte, daß der Troll ihm nicht zuhörte. Statt dessen stand im Gesicht des kleinen Mannes ein so breites, vergnügtes Grinsen, als hätte er gerade einen Schluck von etwas höchst Angenehmem zu sich genommen.

»Jawohl, das ist es!« rief er und drehte sich zu dem blassen, streng blickenden Sludig um. »Du hast es gefunden, mein Freund.«

»Wovon redest du?« erkundigte sich der blondbärtige Nordmann leicht gereizt. »Ich verstehe dich nicht.«

»Das, was wir suchen. Der Ort, zu dem Colmund ritt. Der Reimerbaum. Nur daß wir an Reime dachten, wie in Gedichten. Aber du hast es jetzt richtig gesagt: ›Udun Rimmer‹ – Udun der Reimer. ›Reim‹ ist ein altes Wort für ›Reif‹, und davon hat Reimersgard oder Rimmersgard seinen Namen. Was wir suchen, ist nicht ein Baum aus Reimen, sondern aus Reif – aus Frost.«