»Sprich weiter«, befahl Josua ruhig, »wir wollen alles hören.«
Deornoth sah von dem Hernystiri weg. »Darum war es, wie gesagt, schwer, an brauchbare Informationen heranzukommen. Aber nach Auskunft mehrerer Flußschiffer aus Abaingeat, oben an der Küste, ist Euer Herzog Leobardis von Nabban in See gestochen und befindet sich zur Zeit auf der Überfahrt. Vermutlich will er bei Crannhyr landen.«
»Mit wieviel Mann?« grollte Isgrimnur.
Deornoth zuckte die Achseln. »Jeder sagt etwas anderes. Dreihundert Berittene vielleicht und ungefähr zweitausend zu Fuß.«
»Das klingt wahrscheinlich, Prinz Josua«, sagte Devasalles und biß sich nachdenklich auf die Lippen. »Zweifellos wollten nicht alle Vasallen mitziehen, weil sie Angst haben, sich gegen den Hochkönig zu stellen, und die Perdruineser werden, wie gewöhnlich, neutral bleiben. Graf Streáwe weiß, daß er mehr davon hat, wenn er beide Seiten unterstützt und seine Schiffe schont, um Fracht damit zu befördern.«
»Also besteht noch Hoffnung auf Leobardis' starken Arm, auch wenn ich ihn mir noch mächtiger gewünscht hätte.« Josua sah sich im Kreis der Männer um.
»Aber selbst wenn die Nabbanai noch vor Elias bei uns am Tor stehen sollten«, gab Baron Ordmaer zu bedenken, dessen plumpe Züge seine Furcht kaum verbargen, »wird Elias trotzdem dreimal so stark sein wie wir.«
»Aber wir haben die Mauern, Baron«, versetzte Josua, und in seinem schmalen Gesicht stand Strenge. »Wir sitzen in einer sehr, sehr starken Festung.« Er sprach wieder zu Deornoth, und seine Miene wurde weicher. »Sag uns den Rest deiner Neuigkeiten, mein treuer Freund, und dann mußt du schlafen. Ich fürchte um deine Gesundheit, und ich brauche in den Tagen, die vor uns liegen, deine Kraft.«
Deornoth brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Jawohl, Herr. Die restlichen Nachrichten sind leider auch keine erfreulichen, fürchte ich. Die Hernystiri sind am Inniscrich geschlagen worden.« Er wollte zu Gwythinns Platz hinüberschauen, senkte jedoch die Augen. »Es heißt, König Lluth sei verwundet und sein Heer habe sich in die Berge des Grianspog zurückgezogen, um von dort aus besser Ausfälle gegen Skali und seine Männer unternehmen zu können.«
Josua sah dem Hernystiri-Prinzen ernsthaft ins Gesicht. »Aha. Wenigstens ist es nicht ganz so schlimm, wie Ihr fürchtetet, Gwythinn. Euer Vater lebt und setzt den Kampf fort.«
Der junge Mann fuhr herum. Seine Augen waren rot. »Ja! Sie kämpfen weiter, während ich hier sicher hinter steinernen Mauern sitze, Bier trinke und Brot und Käse fresse wie ein fetter Spießbürger. Vielleicht liegt mein Vater im Sterben! Wie kann ich hierbleiben?«
»Ja, glaubt Ihr denn, Ihr könntet mit Eurem halben Hundert Männern Skali schlagen, Junge?« fragte Isgrimnur nicht unfreundlich. »Oder sucht Ihr lieber einen schnellen, ruhmreichen Tod, anstatt abzuwarten, wie man mit Hoffnung auf Erfolg weiter vorgehen sollte?«
»So töricht bin ich nicht«, versetzte Gwythinn kalt. »Und bei Bagbas Herde, Isgrimnur, wer seid Ihr, daß Ihr so zu mir sprecht? Was ist mit diesem ›Meter Stahl‹, den Ihr für Skalis Eingeweide aufheben wolltet?«
»Das ist etwas anderes«, knurrte Isgrimnur verlegen. »Ich habe nie gesagt, ich wollte Elvritshalla mit meinem Dutzend Ritter stürmen.«
»Und alles, was ich vorhabe, ist, mich an Skalis Raben vorbeizuschleichen, um in den Bergen zu meinem Volk zu stoßen.«
Isgrimnur konnte Prinz Gwythinns wachsamem, forderndem Blick nicht begegnen. Er ließ die Augen wieder in die Dachecke wandern, wo die braune Spinne emsig damit beschäftigt war, etwas in klebrige Seide zu wickeln.
»Gwythinn«, erklärte Josua besänftigend, »ich bitte Euch ja nur zu warten, bis wir mehr darüber sagen können. Ein oder zwei Tage werden kaum etwas ausmachen.«
Der junge Hernystiri stand so ruckartig auf, daß sein Stuhl über die Steinfliesen scharrte. »Warten! Das ist alles, was Ihr tut – Ihr wartet, Josua! Warten, bis alle Truppen gemustert sind, Warten auf Leobardis und sein Heer, Warten auf … Warten auf Elias, bis er die Mauern übersteigt und Naglimund in Brand setzt. Ich habe das Warten satt!« Er hob unsicher die Hand, um Josuas Einwänden zuvorzukommen. »Vergeßt nicht, Josua, auch ich bin ein Prinz. Ich kam zu Euch, weil unsere Väter Freunde waren. Jetzt aber ist mein Vater verwundet, und die Teufel aus dem Norden fallen über ihn her. Wenn er stirbt, weil niemand ihm zu Hilfe kommt, und ich König werde, wollt Ihr mir dann noch Befehle erteilen? Mich immer weiter hier festhalten? Brynioch! Ich kann solch feige Zurückhaltung nicht begreifen!«
Fast schon an der Tür, drehte er sich ein letztes Mal um. »Ich werde meinen Männern sagen, sie sollen sich für morgen bei Sonnenuntergang zum Aufbruch bereithalten. Wenn Euch ein Grund einfällt, warum ich bleiben sollte, ein Grund, der mir bisher entgangen ist, so wißt Ihr, wo Ihr mich findet.«
Der Prinz schlug die Tür hinter sich zu. Josua erhob sich. »Ich glaube, es sind viele unter uns«, er hielt inne und schüttelte müde den Kopf, »die jetzt etwas zu essen und zu trinken brauchen – nicht zuletzt du, Deornoth. Trotzdem bitte ich dich, noch einen kurzen Augenblick zu bleiben und die anderen vorangehen zu lassen, damit ich dich nach einigen persönlichen Dingen fragen kann.« Er winkte Devasalles und die übrigen in den Speisesaal und sah zu, wie sie in leiser Unterhaltung hinausgingen. »Isgrimnur«, rief er, und der Herzog blieb im Türrahmen stehen und blickte sich fragend um, »bleibt Ihr bitte auch.«
Sobald der Herzog wieder auf einem Stuhl Platz genommen hatte, schaute Josua Deornoth erwartungsvoll an.
»Und hast du sonst noch Neuigkeiten für mich?« fragte der Prinz. Der Soldat zog die Stirn in Falten.
»Wenn ich etwas Gutes wüßte, Prinz, hätte ich es Euch sofort erzählt, noch bevor die anderen hier waren. Aber ich konnte weder von Eurer Nichte noch von dem Mönch, der sie begleitet, eine Spur finden, ausgenommen einen Bauern in der Nähe der Gabelung des Grünwate-Flusses, der ein Paar, auf das die Beschreibung paßt, gesehen haben will. Sie hätten dort vor einigen Tagen den Fluß überquert und seien südwärts geritten.«
»Und das wußten wir schon von der Herrin Vara. Inzwischen müssen sie längst den Inniscrich hinunter sein, und Usires der Gesegnete allein weiß, wie es weitergeht oder was ihr nächstes Ziel ist. Das einzig Gute ist, daß mein Bruder Elias sein Heer bestimmt oben am Fuß des Gebirges entlangführen wird, weil die Weldhelm-Straße in dieser nassen Jahreszeit der einzig sichere Ort für die schweren Wagen ist.«
Er starrte in das flackernde Feuer.
»Nun ja«, sagte er endlich. »Sei bedankt, Deornoth. Wären alle meine Gefolgsmänner wie du, könnte ich über die Bedrohung durch den Hochkönig lachen.«
»Die Männer sind gut, Herr«, erklärte der junge Ritter kameradschaftlich.
»Geh jetzt!« Der Prinz streckte die Hand aus und gab Deornoth einen leichten Schlag aufs Knie. »Besorg dir etwas zu essen, und dann schlaf. Du brauchst vor morgen nicht zum Dienst zu erscheinen.«
»Jawohl, Herr.« Der junge Erkynländer warf die Decke ab und nahm Haltung an. Mit bolzengeradem Rücken marschierte er aus dem Raum. Als er hinausgegangen war, saßen Josua und Isgrimnur schweigend da.
»Miriamel Gott-weiß-wohin verschwunden, und ein Wettrennen zwischen Leobardis und Elias mit unseren Toren als Ziel.« Der Prinz schüttelte den Kopf und rieb sich mit der Hand die Schläfen. »Lluth verwundet, die Hernystiri auf dem Rückzug, und Elias' Werkzeug Skali Herrscher vom Vestivegg – bis zum Grianspog-Gebirge. Und zu allem Überfluß noch Dämonen aus dem Reich der Sage, die über die sterbliche Erde wandeln.« Er zeigte dem Herzog ein grimmiges Lächeln. »Das Netz zieht sich zusammen, Onkel.«
Isgrimnur wühlte mit den Fingern in seinem Bart. »Das Netz schwankt im Wind, Josua. In einem starken Wind.« Er erläuterte diese Bemerkung nicht weiter, und von neuem senkte sich Schweigen über die hohe Halle.