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Wenn Simon sich später daran zu erinnern versuchte, kam es ihm vor, als seien sie durch die Wolken in ein strahlendes, schimmerndes Land eingedrungen – irgendeinen nahen Nachbarn der Sonne. Nach dem öden Schnee und den einförmigen Tunneln war es ein Unterschied wie zwischen dem wilden Taumel des Neunter-Tag-Festes und den acht grauen Tagen, die ihm vorangingen.

Das Licht und seine Magd, die Farbe, leuchteten überall. Der Raum war eine Felsenkammer von weniger als doppelter Mannshöhe, aber gewaltiger Ausdehnung. Baumwurzeln wanden sich mit festem Griff die Wände hinunter. In einer dreißig Fuß entfernten Ecke sprang ein glitzernder Wasserstrahl über eine Steinrinne, um dann, in hohem Bogen aufsprühend, in einen Teich zu fallen, der in ein natürliches Steinbecken gefaßt war. Das zarte Murmeln des Wasserfalles mischte sich mit der fremdartig kunstvollen Musik, die in der Luft schwebte.

Lampen, wie sie den steinernen Gang gesäumt hatten, standen überall und warfen je nach Machart gelbe, elfenbeinweiße, kalkig-blaßblaue oder rosenrote Strahlen in die Steingrotte, die sie, miteinander verschmelzend, in hundert verschiedenen Farbtönen malten. In der Mitte brannte auf dem Boden, unweit vom Rand des gekräuselten Teiches, ein lebhaftes Feuer, dessen Rauch durch einen Spalt in der Decke abzog.

»Elysia, heilige Ädonsmutter«, sagte Sludig ehrfürchtig.

»Hab nie gewußt, daß hier unten auch nur eine Karnickelhöhle war.« Grimmric schüttelte den Kopf. »Und was haben sie – einen Palast.«

Etwa ein Dutzend Sithi – soweit Simon auf Anhieb erkennen konnte, alles Männer – hielten sich in der Höhle auf. Mehrere hatten sich schweigend vor einem Paar niedergelassen, das auf einem hohen Felsblock saß. Der eine hielt ein langes, flötenähnliches Instrument, während der andere sang. Die Musik klang so seltsam in Simons Ohren, daß er ein Weilchen brauchte, um Stimme und Flöte voneinander zu unterscheiden und beide gegen die fortdauernde Melodie des Wasserfalles abzugrenzen. Aber das zarte, trillernde Lied, das sie spielten, griff ihm so schmerzlich ans Herz, daß seine kurzen Nackenhaare sich sträubten. So fremdartig es sich auch anhörte, es lag etwas darin, das ihn wünschen ließ, hier niederzusinken und sich nicht mehr zu rühren, solange die sanfte Musik weiterspielte.

Die nicht um die Musizierenden Versammelten unterhielten sich leise oder lagen einfach auf dem Rücken und blickten nach oben, als könnten sie durch das massive Gestein des Berges in den Nachthimmel darüber sehen. Die meisten drehten sich einen Augenblick um und warfen einen prüfenden Blick auf die Gefangenen am Höhleneingang, gerade so, wie ein Mann, der eben einer guten Geschichte lauscht, vielleicht den Kopf hebt und einer vorbeilaufenden Katze nachschaut.

Simon und seine Gefährten, von niemandem auf einen solchen Anblick vorbereitet, waren mit großen Augen stehengeblieben. Der Anführer ihrer Bewacher durchquerte den Raum. An der entgegengesetzten Wand saßen an einem Tisch, der aus einem glänzendweißen, oben abgeflachten, hohen Steinknollen bestand, zwei weitere Sithi einander gegenüber. Beide starrten angestrengt auf die ebenfalls von einer der seltsamen Lampen erhellte Tischplatte. Der Waldhüter blieb stehen und verharrte wortlos in einiger Entfernung, als warte er darauf, bemerkt zu werden.

Der Sitha, der den Gefährten den Rücken zukehrte, trug eine wundervolle laubgrüne Jacke mit hohem Kragen, dazu Hosen und hohe Stiefel in derselben Farbe. Sein langes, geflochtenes Haar war von noch feurigerem Rot als Simons, und seine Hände, mit denen er etwas über die Tischplatte bewegte, glitzerten von Ringen. Ihm gegenüber saß ein anderer, der gespannt die Bewegungen seiner Hand beobachtete. Dieser zweite war in ein loses, weißes Gewand gehüllt, das er von den mit Armbändern geschmückten Unterarmen zurückgestreift hatte. Sein Haar zeigte die blasse Tönung bläulichen Heidekrautes. Vor beiden Ohren hing eine einzelne, glänzendschwarze Krähenfeder. Noch während Simon zu ihm hinübersah, blitzten die Zähne des Weißgekleideten; er sagte etwas zu dem Mann auf der anderen Tischseite, griff dann nach unten und schob irgend etwas nach vorn. Simons Blick wurde noch schärfer; er blinzelte: Ja, es war der Sitha, den er aus der Falle des Kätners befreit hatte. Er war sich ganz sicher.

»Das ist er!« flüsterte er Binabik erregt zu. »Der, dem der Pfeil gehört.«

Noch während er das sagte, näherte sich der Waldhüter dem Tisch, und der von Simon Wiedererkannte schaute auf. Der Hüter sprach ein paar schnelle Worte, aber der Weißgekleidete warf den Gefangenen nur einen kurzen Blick zu, machte eine entlassende Handbewegung und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem, was Simon jetzt entweder für eine Landkarte oder für ein Spielbrett hielt. Sein rothaariges Gegenüber drehte sich nicht einmal um, und gleich darauf kam ihr Ergreifer wieder zu ihnen.

»Ihr müßt warten, bis der edle Jiriki fertig ist.« Er richtete den ausdruckslosen Blick auf Simon. »Weil dir der Pfeil gehört, darfst du dich ohne Fesseln bewegen. Die anderen müssen gebunden bleiben.«

Simon, nur einen Steinwurf von dem Mann entfernt, der sich zu seinem Schuldner erklärt hatte, ohne daß dieser ihn überhaupt beachtete, war in Versuchung, sich durchzudrängen und dem weißgekleideten Sitha unmittelbar gegenüberzutreten – Jiriki oder wie er hieß. Binabik, der seine Anspannung spürte, stieß ihn warnend an.

»Wenn die anderen gefesselt bleiben müssen, will ich es auch«, antwortete Simon endlich. Zum erstenmal sah er etwas Unerwartetes über das Gesicht seines Ergreifers huschen: Unbehagen.

»Aber es ist ein Weißer Pfeil«, beharrte der Anführer der Wächter. »Du solltest kein Gefangener sein, solange nicht bewiesen ist, daß du ihn unredlich erworben hast; aber ich kann deine Gefährten nicht freilassen.«

»Dann bleibe auch ich gebunden«, erwiderte Simon fest.

Der andere warf ihm einen kurzen Blick zu und schloß mit langsamem Reptilblinzeln die Augen, um sie sofort mit unglücklichem Lächeln wieder zu öffnen.

»Dann muß es so sein«, erklärte er. »Ich binde nur ungern den, der den Staj'a Ame trägt, aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Über mein Herz möge es kommen, ob Recht oder Unrecht.« Dann neigte er, seltsamerweise fast respektvoll, den Kopf und richtete die leuchtenden Augen auf Simon. »Meine Mutter nannte mich An'nai«, verkündete er.

Simon, völlig verdutzt, ließ einen langen Augenblick verstreichen, bis er Binabiks Stiefel knirschend auf seinem Zeh spürte. »Oh!« erwiderte er. »Ich heiße … meine Mutter nannte mich Simon … oder eigentlich Seoman.« Als er sah, daß der Sithi zufrieden nickte, beeilte er sich hinzuzufügen: »Und das hier sind meine Gefährten – ihre Mütter nannten sie Binabik von Yiqanuc, Haestan und Grimmric von Erkynland sowie Sludig von Rimmersgard.«

Vielleicht, dachte Simon, würde diese von ihm erzwungene Vorstellung helfen, seine Gefährten zu schützen, nachdem der Sitha auf das gegenseitige Mitteilen der Namen offensichtlich so großen Wert gelegt hatte.

An'nai nickte wieder und glitt davon, um sich erneut vor dem Steintisch aufzustellen. Seine Mitwächter halfen den Gefesselten überraschend sanft, sich hinzusetzen, und zerstreuten sich dann in der Höhle.

Simon und die anderen unterhielten sich in leisem Ton, mehr durch die seltsam verschlungene Musik gedämpft als durch den Ernst ihrer Lage.

»Immerhin«, bemerkte Sludig endlich, nachdem er sich bitterlich über die ihnen zuteilgewordene Behandlung beschwert hatte, »sind wir wenigstens noch am Leben. Wenige Menschen begegnen Dämonen und haben soviel Glück dabei.«

»Du bist schon großartig, Simon, Bursche!« lachte Haestan. »Wirklich großartig! Läßt das Schöne Volk Verbeugungen und Kratzfüße machen! Wir dürfen nur nicht vergessen, uns einen Sack Gold zu wünschen, bevor wir uns wieder verabschieden.«

»Verbeugungen und Kratzfüße?« Simon lächelte in unglücklicher Selbstironie. »Und bin ich etwa frei? Trage ich keine Fesseln? Esse ich zu abend?«