Varellan errötete. »Ich habe gar nichts gesagt, Herr – es tut mir leid. Er ist mit seinem Freund, Graf Aspitis Preves, in die Stadt hinaufgeritten.«
Leobardis achtete nicht auf die Verlegenheit seines Sohnes. »Beim Baum, ich hätte es nicht für zuviel verlangt gehalten, wenn mein Sohn und Erbe mich hier erwartet hätte. Also gut, gehen wir nachsehen, wie es mit den anderen Führern steht.« Er schnalzte mit den Fingern, und der Knappe brachte das Roß des Herzogs. Am Geschirr klingelten die Glöckchen.
Sie fanden Mylin-sá-Ingadaris unter dem weißroten Albatrosbanner seines Hauses. Der alte Mann, seit vielen Jahren Leobardis' aufrichtiger Feind, rief den Herzog heran. Leobardis und Varellan saßen da und schauten zu, wie Mylin den Abschluß der Entladearbeiten an seinen beiden Karacken beaufsichtigte, und leerten dann in seinem gestreiften Zelt einen Humpen süßen ingadarinischen Weines mit dem alten Grafen.
Nachdem sie sich über Marschkarrees und Schlachtreihen ausgesprochen und Varellans wenig erfolgreiche Versuche, dabei ein Wort mitzureden, ertragen hatten, dankte Leobardis Graf Mylin für seine Gastfreundschaft und ging, seinen Jüngsten im Kielwasser. Sie nahmen von ihren Knappen wieder die Zügel entgegen und ritten weiter durch das geschäftige Feldlager, um den Lagerplätzen verschiedener anderer Edelleute kurze Höflichkeitsbesuche abzustatten.
Die beiden hatten gerade kehrtgemacht, um am Strand zurückzureiten, als dem Herzog eine vertraute Gestalt auf einem mächtigen, breitbrüstigen Rotschimmel ins Auge fiel, die, einen zweiten Ritter zur Seite, gemächlich die Straße von der Stadt heruntergeritten kam.
Benigaris' silberne Rüstung, sein kostbarster Besitz, war so mit Gravuren und kostspieligen Mustern aus Ilenit-Einlegearbeit übersät, daß es das Licht ablehnte, sich ordnungsgemäß darin zu spiegeln, und sie dadurch fast grau wirkte. Eingezwängt in seine Brünne, die etwas die übermäßige Fülle seines Körpers korrigierte, sah Benigaris in der Tat von Kopf bis Fuß nach einem Ritter ohne Furcht und Tadel aus. Der junge Aspitis daneben trug ebenfalls eine wundervoll gearbeitete Rüstung; das Fischadlerwappen seiner Familie war in Perlmutt in seine Brünne eingelegt. Auf einen Überrock, der die Rüstung verdeckte, hatte er verzichtet und ritt genau wie Benigaris ganz im Harnisch, rundum gepanzert wie ein glänzender Krebs.
Benigaris sagte etwas zu seinem Begleiter. Aspitis Preves lachte und ritt davon. Benigaris verließ die Straße und knirschte über den Kiesstrand auf seinen Vater und jüngeren Bruder zu.
»Das war Graf Aspitis, nicht wahr?« empfing ihn Leobardis und versuchte den bitteren Geschmack, der ihm tief im Hals saß, nicht in seine Stimme dringen zu lassen. »Ist das prevanische Haus seit neuestem unser Feind, daß der Graf nicht herkommen und seinem Herzog den Gruß entbieten kann?«
Benigaris lehnte sich im Sattel nach vorn und klopfte seinem Pferd den Hals. Leobardis konnte nicht sehen, ob er ihn unter den dichten schwarzen Brauen anblickte. »Ich habe Aspitis gesagt, daß wir ein persönliches Gespräch miteinander zu führen hätten. Er wollte kommen, aber ich habe ihn fortgeschickt. Er ging aus Respekt für Euch.« Er wandte sich Varellan zu, der in seiner glänzenden Rüstung ganz verloren aussah, und begrüßte den Bruder mit knappem Kopfnicken.
Leicht außer Fassung gebracht, wechselte der Herzog das Thema. »Was hat dich in die Stadt geführt, mein Sohn?«
»Neuigkeiten, Herr. Ich dachte, Aspitis, der schon früher hier gewesen ist, könnte mir helfen, nützliche Dinge in Erfahrung zu bringen.«
»Du warst lange fort, Benigaris.« Leobardis konnte nicht die Kraft aufbringen, wütend zu sein. »Was hast du herausgefunden – wenn überhaupt?«
»Nichts, das wir nicht schon von den Bootsleuten aus Abaingeat gehört hätten. Lluth ist verwundet und hat sich ins Gebirge zurückgezogen. Skali kontrolliert Hernystir, hat jedoch zu wenig Männer, um sich weiter auszudehnen, bevor nicht die Hernystiri im Grianspog endgültig unterworfen sind. Darum ist die Küste noch frei, ebenso alles Land diesseits von Agh Samrath – Nad Mullagh, Cuimhne, das ganze Flußgebiet bis hinauf zum Inniscrich.«
Leobardis rieb sich den Kopf und schielte auf den grellen Streifen, den die Sonne auf den Meeresspiegel malte. »Vielleicht könnten wir Prinz Josua am besten dadurch dienen, daß wir zuerst die Belagerung in Hernystir durchbrechen. Wenn wir Skali Scharfnase mit unseren zweitausend Mann in den Rücken fielen, hätten Lluths Truppen – oder das, was von ihnen übrig ist – wieder Spielraum, und Elias' eigener Rücken wäre ungeschützt, wenn er Naglimund belagert.«
Er erwog seinen Plan und fand ihn gut. Er schien ihm so zu sein, wie sein Bruder Camaris es geliebt hätte: schnell, energisch, ein Hieb wie ein Peitschenknall. Camaris, der wie eine klare Waffe gewesen war, hatte Feldzüge immer auf diese Art geführt – geradeheraus und ohne Zögern wie ein blitzender Hammer.
Benigaris schüttelte den Kopf; in seinem Gesicht zeigte sich etwas wie wirkliche Unruhe. »Nur das nicht, Herr! Wenn wir so vorgingen, brauchte Skali nur im Circoille zu verschwinden oder ebenfalls in die Grianspogberge zu klettern. Dann wären wir es, die festgenagelt wären wie eine aufgespannte Haut und warten müßten, bis die Rimmersmänner aus ihren Löchern kämen. Inzwischen könnte Elias Naglimund vernichten und dann über uns herfallen. Zwischen dem Hochkönig und dem Raben Skali würden wir zertreten werden wie eine Haselnuß.« Er schüttelte heftig den Kopf, als bereite der Gedanke ihm Angst.
Leobardis wandte sich von der blendenden Sonne ab. »Wahrscheinlich hast du recht, Benigaris, obwohl ich mich zu erinnern glaube, daß du noch vor kurzem ganz anders geredet hast.«
»Das war, bevor Ihr Euch entschloßt, das Heer in Marsch zu setzen, Herr.« Benigaris nahm den Helm ab und spielte einen Augenblick damit, bevor er ihn an seinen Sattelknopf hängte. »Jetzt, nachdem wir uns festgelegt haben, bin ich wie ein Löwe von Nascadu.«
Leobardis holte tief Atem. Die Luft roch nach Krieg, und der Geruch erfüllte ihn mit Unbehagen und Bedauern. Immerhin schien der Zerfall von Osten Ard nach den langen Jahren von Johans Frieden – dem Hochkönigsfrieden – wenigstens seinen starrköpfigen Sohn wieder zu ihm zurückgeführt zu haben. Das war etwas, wofür man dankbar sein mußte, so unbedeutend es auch in der Masse der größeren Ereignisse scheinen mochte. Der Herzog von Nabban richtete ein stilles Dankgebet an seinen verwirrenden, letzten Endes aber doch wohlwollenden Gott.
»Gelobt sei Usires Ädon, der dich uns zurückgegeben hat!« sagte Isgrimnur und merkte, daß ihm von neuem die Tränen in die Augen traten. Er beugte sich über das Bett und versetzte Isorns Schulter einen rauhen, begeisterten Stoß, der ihm einen scharfen Blick von Gutrun einbrachte. Sie war, seitdem er in der vorigen Nacht zu ihnen gekommen war, nicht von der Seite ihres erwachsenen Sohnes gewichen.
Isorn, dem die Strenge seiner Mutter nichts Neues war, grinste matt zu Isgrimnur hinauf. Er hatte die blauen Augen und das breite Gesicht seines Vaters, aber seitdem der Herzog ihn zum letzten Mal gesehen hatte, schien der Ausdruck blühender Jugend größtenteils daraus verschwunden zu sein; er sah abgehärmt und finster aus. So stämmig und breitschultrig er auch war, irgendeine Schwäche schien an ihm zu nagen.
Es sind nur seine schlimmen Erlebnisse und die Sorgen, die ihn so verändert haben, entschied der Herzog. Er ist doch ein kräftiger Kerl. Man sieht ja, wie er mit dem Getue seiner Mutter fertig wird. Er wird ein guter Mann werden – nein, er ist schon längst ein guter Mann geworden. Wenn er nach mir Herzog wird … wenn wir erst Skali brüllend zur Hölle hinabgeschickt haben…
»Isorn!« Eine neue Stimme verscheuchte den schweifenden Gedanken. »Es ist ein Wunder, dich wieder bei uns zu haben.« Prinz Josua bückte sich und ergriff Isorns Hand mit seiner Linken. Gutrun nickte zustimmend. Sie stand nicht auf, um vor dem Prinzen zu knicksen; anscheinend war ihr die Aufgabe als Mutter im Augenblick wichtiger als gute Manieren. Zudem schien es Prinz Josua nichts auszumachen.