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»Ihr kanntet meinen Meister? Er ist tot.« Binabik hockte sich hin, zog die Handschuhe aus und bewegte die Finger. Simon setzte sich neben ihn.

»Er kannte uns«, erklärte Jiriki. »Hast du nicht unsere Sprache von ihm gelernt? An'nai, du hast doch gesagt, der Troll habe zu dir gesprochen?«

»Das hat er, Prinz. Und fast ganz richtig.«

Binabik errötete erfreut und verlegen zugleich. »Ookequk hat mir etwas davon beigebracht, mir aber nie verraten, wo er selbst es gelernt hatte. Ich besaß den Gedanken, daß es ihn vielleicht sein Meister gelehrt hätte.«

»Setzt euch doch, setzt euch«, forderte Jiriki Haestan, Grimmric und Sludig auf, Simons und Binabiks Beispiel zu folgen. Sie näherten sich wie Hunde, die Angst vor Schlägen haben, und suchten sich Plätze am Feuer. Nun trugen mehrere Sithi Tabletts aus kunstvoll geschnitztem und poliertem Holz herbei, die mit allen möglichen guten Dingen schwer beladen waren: Butter und dunkles Brot, ein Rad würziger, salziger Käse, kleine rotgelbe Früchte, die Simon noch nie gesehen hatte. Es gab mehrere Schüsseln mit leicht zu erkennenden Beeren und sogar einen Stapel langsam vor sich hin tropfender Honigwaben. Als Simon die Hand ausstreckte und sich zwei der klebrigen Waben nahm, lachte Jiriki wieder, ein leises Zischen wie von einem Häher auf einem Baum in der Ferne.

»Überall ist Winter«, meinte er, »aber in den geschützten Festungen von Jao é-Tinukai'i wissen die Bienen das nicht. Nimm, soviel du magst.«

Ihre Ergreifer, die nun ihre Gastgeber geworden waren, schenkten den Gefährten einen unbekannten, aber starken Wein ein. Aus steinernen Kannen füllten sie ihnen die hölzernen Pokale. Noch während Simon überlegte, ob vorher nicht vielleicht ein Gebet gesprochen würde, hatten die Sithi schon zu essen begonnen. Haestan, Sludig und Grimmric blickten einander traurig an. Sie hätten auch gern gegessen, waren aber immer noch voller Furcht und Mißtrauen. Aufmerksam beobachteten sie, wie Binabik das Brot brach und einen Bissen von der dick mit Butter bestrichenen Kruste abbiß. Ein Weilchen später, als er nicht nur noch am Leben war, sondern sogar munter weiteraß, hielten die Männer es für ungefährlich, sich über die Sithispeisen herzumachen, was sie dann auch mit dem Heißhunger begnadigter Gefangener taten. Simon tupfte sich den Honig vom Kinn und hielt inne, um den Sithi zuzusehen. Das Schöne Volk aß langsam. Manchmal betrachteten sie lange Augenblicke eine Beere in ihren Fingern, bevor sie sie zum Munde führten. Es wurde wenig gesprochen, aber wenn einer von ihnen in seiner fließenden Sprache eine Bemerkung machte, lauschten alle. Meistens folgte keine Antwort; hatte jedoch einmal ein anderer etwas zu erwidern, hörten auch ihm alle zu. Es gab viel leises Lachen, aber weder Rufen noch Streiten, und Simon stellte kein einziges Mal fest, daß jemand einem Sprecher ins Wort fiel.

An'nai war nähergerückt und hatte sich zu Simon und Binabik gesetzt. Einer der Sithi gab eine feierliche Erklärung von sich, die die anderen zum Lachen brachte. Simon bat An'nai, ihm den Scherz zu erklären.

Der Sitha mit der weißen Jacke machte ein etwas verlegenes Gesicht. »Ki'ushapo hat gesagt, deine Freunde äßen, als hätten sie Angst, die Speisen liefen ihnen davon.« Er deutete auf Haestan, der sich mit beiden Händen das Essen in den Mund stopfte.

Simon verstand nicht ganz, was An'nai meinte – bestimmt hatten sie doch schon Hungrige gesehen? –, lächelte jedoch trotzdem.

Als das Mahl seinen Fortgang nahm und ein anscheinend unerschöpflicher Strom von Wein immer wieder ihre hölzernen Pokale füllte, begannen der Rimmersmann und die beiden Krieger der Erkynländer Wache sich langsam wohlzufühlen. Irgendwann stand Sludig auf, ließ den Becher in seiner Hand hin- und herschwappen und brachte einen herzhaften Trinkspruch auf die neuen Sithifreunde aus. Jiriki lächelte und nickte, aber Khendraja'aro erstarrte. Als Sludig dann ein altes nordisches Trinklied anstimmte, zog sich der Onkel des Prinzen unauffällig in eine Ecke der großen Höhle zurück, um in den vom Schein der Lampen erhellten, sanft gewellten Teich zu starren.

Die anderen Sithi an der Tafel lachten, als Sludig mit seiner grölenden Stimme die Kehrreime sang, und schwankten im trunkenen Rhythmus mit, wobei sie manchmal untereinander tuschelten. Sludig, Haestan und Grimmric machten jetzt einen recht zufriedenen Eindruck, und selbst Binabik grinste vor sich hin und lutschte an einer Birnenschale. Nur Simon, der an die zauberhafte Musik der beiden Sithi dachte, fühlte einen Anflug von Scham für seinen Gefährten, als wäre der Rimmersmann ein Festbär, der auf der Mittelgasse für ein paar Krümel tanzte.

Nachdem er eine Weile zugeschaut hatte, stand Simon auf und wischte sich vorn am Hemd die Hände ab. Auch Binabik erhob sich und erbat Jirikis Erlaubnis, den verdeckten Gang hinunterzusteigen, um nach Qantaqa zu sehen. Die drei Soldaten lachten brüllend untereinander und erzählten sich – Simon zweifelte nicht daran – Witze über betrunkene Kameraden. Er trat an eine der Wandnischen, um sich die seltsamen Lampen genauer anzusehen. Jäh fiel ihm der leuchtende Kristall ein, den Morgenes ihm gegeben hatte – war er vielleicht auch ein Werk der Sithi gewesen? Ihm wurde kalt und einsam ums Herz. Er hob eine der Lampen auf und sah durch sie hindurch den schwachen Schatten seiner Handknochen, als bestehe das Fleisch nur aus trübem Wasser. So scharf er aber auch hinschaute, er konnte nicht herausfinden, wie die Flamme in den durchscheinenden Kristall hineingekommen war.

Er fühlte einen Blick im Nacken und drehte sich um. Es war Jiriki, der ihn anstarrte. Von der anderen Seite des Feuers glühten seine Katzenaugen zu ihm hinüber. Simon zuckte überrascht zusammen; der Prinz nickte.

Haestan, dem der Wein in den zottigen Schädel gestiegen war, hatte einen der Sithi – den An'nai Ki'ushapo genannt hatte – zum Armdrücken herausgefordert. Ki'ushapo, mit gelben Zöpfen und schwarzgrauer Kleidung, erhielt von dem beschwipsten Grimmric gute Ratschläge. Es war auch klar, weshalb der dürre Wachsoldat seine Unterstützung für angebracht hielt: Der Sitha war einen Kopf kleiner als Haestan und sah aus, als hätte er kaum mehr als die Hälfte von dessen Gewicht. Als der Sitha sich mit etwas verwirrter Miene über den glatten Stein beugte, um Haestans breite Hand zu ergreifen, stand Jiriki auf und glitt an ihnen vorbei, um geschmeidig den Raum zu durchqueren, bis er neben Simon stand.

Es fiel dem Jungen immer noch schwer, diese selbstsichere, kluge Persönlichkeit mit dem halbwahnsinnigen Geschöpf zusammenzubringen, das er in der Falle des Kätners gefunden hatte. Nur wenn Jiriki eine bestimmte Kopfbewegung machte oder die langgliedrigen Finger bog, konnte Simon die Wildheit entdecken, die ihn damals gleichermaßen erschreckt und fasziniert hatte; und wenn sich der Feuerschein in den goldgefleckten Bernsteinaugen des Prinzen brach, leuchteten sie uralt wie Edelsteine im schwarzen Boden des Waldes.

»Komm, Seoman«, sprach der Sitha ihn an, »ich möchte dir etwas zeigen.« Er schob die Hand unter den Ellenbogen des Jungen und führte ihn zu dem Teich, an dem Khendraja'aro saß und die Finger durchs Wasser gleiten ließ. Als sie am Feuer vorbeikamen, sah Simon, daß der Wettkampf im Armdrücken in vollem Gange war. Die beiden Gegner hatten sich fest ineinander verkrallt, ohne daß einer von beiden im Vorteil zu sein schien. Aber Haestans bärtiges Gesicht war zu einem verbissenen Grinsen der Anstrengung verzogen, während dem schlanken Sitha die unentschiedene Situation wenig auszumachen schien, nur daß sein graugekleideter Arm unter der Anspannung des Kampfes ein wenig zitterte. Simon dachte, daß dies für Haestan nichts Gutes besage. Sludig, der merkte, wie der Kleine den Großen zu besiegen begann, saß mit offenem Mund daneben.