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Auf dem kurzen Rückweg fanden sie Qantaqa, Mund und Nase voller Blutflecken von irgendeinem unseligen Tier. Sie sprang mehrmals um sie herum und witterte mit gesträubten Nackenhaaren. Dann senkte sie den Kopf und schnüffelte wieder, um schließlich mit großen Sätzen vor ihnen her zu springen. Bei Kendraja'aro standen inzwischen auch Jiriki und An nai. Der Prinz hatte sein weißes Gewand mit einer lohfarben-blauen Jacke vertauscht. Er hielt einen hohen, entspannten Bogen in der Hand und trug einen Köcher mit braungefiederten Pfeilen. Qantaqa umrundete die Sithi grollend und witternd, aber zugleich mit heftigem Schwanzwedeln, als begrüße sie alte Bekannte. Sie stürmte auf das ungerührt zusehende Schöne Volk zu, sprang wieder zurück, knurrte tief in der Kehle und schüttelte den Kopf, als wollte sie einem Kaninchen das Genick brechen. Als Binabik und Simon in den Kreis traten, kam sie so nahe, daß sie mit der schwarzen Nase Binabiks Hand berühren konnte, hüpfte dann wieder fort und nahm ihr unruhiges Kreisen von neuem auf.

»Habt ihr eure Besitztümer alle wohlbehalten vorgefunden?« erkundigte sich Jiriki.

Binabik nickte. »Ja, mit Sicherheit. Habt Dank, daß Ihr unsere Pferde versorgt habt.«

Jiriki winkte nachlässig mit der schmalen Hand. »Und was soll nun geschehen?« fragte er.

»Ich denke, wir sollten uns bald auf den Weg machen«, erwiderte der Troll und legte die Hand über die Augen, um in den graublauen Himmel zu blicken.

»Aber doch nicht heute«, meinte Jiriki. »Ruht euch diesen Nachmittag noch aus und eßt noch einmal mit uns. Es gibt noch vieles zu besprechen, und ihr könnt morgen mit dem ersten Tageslicht aufbrechen.«

»Ihr … und Euer Onkel … erweist uns viel Freundlichkeit. Und Ehre.« Binabik verneigte sich.

»Wir sind kein freundliches Volk, Binbiniqegabenik, nicht, wie wir es einmal waren. Aber höflich sind wir immer noch. Kommt.«

Nach einem hervorragenden Mittagessen aus Brot, süßer Milch und einer wundervollen, fremdartig schmeckenden, würzigen Suppe aus Nüssen und Schneeblumen verbrachten Sithi, Troll und Menschen den langen Nachmittag gemeinsam mit leisen Gesprächen, Liedern und langen Schlafpausen.

Simon schlief nicht tief und träumte von Miriamel. Sie stand mitten auf dem Meer wie auf einem Fußboden aus unregelmäßigem grünem Marmor und winkte ihm, zu ihr zu kommen. Im Traum sah er wütende schwarze Wolken am Horizont und rief ihr etwas zu, um sie zu warnen. Aber im stärker wehenden Wind verstand ihn die Prinzessin nicht, sondern lächelte und winkte nur. Er wußte, daß er nicht auf den Wellen stehen konnte und sprang hinein, um zu ihr zu schwimmen, aber er fühlte, wie die kalten Wasser ihn hinabzogen, ihn untertauchten…

Als es ihm endlich gelang, sich aus dem Traum loszureißen, neigte sich der Nachmittag seinem Ende zu. Die Lichtsäulen waren blasser geworden und standen schräg wie Betrunkene. Einige Sithi waren dabei, die Kristall-Lampen in ihre Wandnischen zu setzen, aber obwohl er ihnen genau zusah, konnte Simon nicht besser als vorher verstehen, was die Lampen zum Leuchten brachte. Wenn man sie hinstellte, fingen sie einfach langsam an, ein mildes, durchdringendes Licht auszustrahlen.

Simon setzte sich zu seinen Gefährten in den Steinkreis am Feuer. Sie waren unter sich; die Sithi, obwohl gastlich und sogar freundlich, schienen doch ihre eigene Gesellschaft vorzuziehen und saßen in kleinen Grüppchen zusammen, über die ganze Höhle verstreut.

»Junge«, sagte Haestan und langte nach oben, um ihm auf die Schulter zu klopfen, »wir hatten schon Angst, du würdest den ganzen Tag schlafen.«

»Ich würde auch schlafen, wenn ich soviel Brot gegessen hätte wie er«, meinte Sludig und machte sich mit einem Holzstückchen die Nägel sauber.

»Wir waren uns alle einig, daß wir morgen ganz früh aufbrechen wollen«, erklärte jetzt Binabik, und Grimmric und Haestan nickten. »Es gibt keine Gewißheit, daß die Milde des Wetters lange anhalten wird, und weit müssen wir noch reiten.«

»Mildes Wetter?« fragte Simon und runzelte beim Hinsetzen die Stirn über seine steifen Beine. »Es schneit wie verrückt.«

Binabik lachte tief in der Kehle. »Ho, Freund Simon, frag einen Schneebewohner, wenn du wissen willst, was kaltes Wetter heißt. Dies hier ist wie unser Qanuc-Frühling, wenn wir am Mintahoq nackt im Schnee spielen. Wenn wir erst in die Berge kommen, dann, ich sage es ungern, wirst du wirkliche Kälte erleben.«

Er sieht nicht aus, als ob ihm das besonders leid tut, dachte Simon. »Also, wann reiten wir?«

»Erstes Morgenrot«, antwortete Sludig. »Je eher«, fügte er bedeutungsvoll hinzu und schaute sich in der Höhle nach ihren seltsamen Gastgebern um, »desto besser.«

Binabik musterte ihn und wandte sich dann wieder an Simon. »Darum müssen wir heute abend noch alles Nötige regeln.«

Wie aus dem luftleeren Raum stand Jiriki neben ihnen und nahm am Feuer Platz. »Aha«, sagte er, »genau darüber möchte ich mit euch sprechen.«

»Gewiß gibt es keine Schwierigkeiten mit unserem Abschied?« erkundigte sich Binabik, dessen heitere Miene eine gewisse Besorgnis nicht völlig verbarg. Haestan und Grimmric sahen bestürzt aus, Sludig wirkte leicht gekränkt.

»Ich glaube nicht«, erwiderte der Sitha. »Aber es gibt etwas, das ich euch mitgeben möchte.« Mit einer fließenden Bewegung griff er mit der langfingrigen Hand in sein Gewand und zog Simons Weißen Pfeil heraus.

»Das gehört dir, Seoman«, erklärte er.

»Was? Aber er … er ist Euer Eigentum, Prinz Jiriki.«

Der Sithi hob einen Augenblick den Kopf, als lausche er einem fernen Ruf, und schlug dann die Augen wieder nieder. »Nein, Seoman, er gehört erst dann wieder mir, wenn ich ihn mir zurückverdiene – ein Leben für ein Leben.« Er hielt ihn zwischen den Händen wie ein Stück Schnur, so daß das schräge Licht von oben die winzigen und komplizierten Muster aufleuchten ließ, die den ganzen Schaft bedeckten.

»Ich weiß, daß du nicht lesen kannst, was da geschrieben steht«, sagte Jiriki langsam, »aber ich will dir sagen, daß es sich um Worte der Schöpfung handelt, die Vindaomeyo der Pfeilmacher selbst auf diesen Pfeil geschrieben hat – in längstvergangener Zeit, bevor wir vom Ersten Volk in die Drei Stämme gespalten wurden. Er ist so sehr ein Teil meiner Familie, als wäre er aus meinen eigenen Knochen und Sehnen gemacht – und genauso ist er ein Teil von mir. Ich habe ihn nicht unüberlegt aus der Hand gegeben – nur wenige Sterbliche haben jemals einen Staj'a Ame besessen –, und ich kann ihn auf keinen Fall zurücknehmen, bevor ich nicht die Schuld bezahlt habe, deren Zeichen er ist.« Mit diesen Worten gab er den Pfeil Simon, dessen Finger bebten, als er den glatten Schaft berührte.

»Ich … ich habe das nicht gewußt…«, stotterte er, als sei er es plötzlich, der dem anderen etwas schuldete. Er zuckte die Achseln und brachte kein Wort mehr heraus.

»Nun denn«, fuhr Jiriki, zu Binabik und den anderen gewandt, fort. »Mein Schicksal, wie ihr Sterblichen es wohl nennen würdet, scheint auf seltsame Weise mit diesem Menschenkind verknüpft. Es wird euch darum sicher nicht allzusehr überraschen, wenn ihr hört, was ich euch noch auf eure ungewöhnliche und wahrscheinlich zwecklose Reise mitgeben möchte.«

Nach einer kleinen Weile fragte Binabik: »Und was wäre das, Prinz?«

Jiriki lächelte ein katzenhaft selbstzufriedenes Lächeln. »Mich selbst«, antwortete er. »Ich werde euch begleiten.«

Lange Augenblicke stand der junge Spießkämpfer da und wußte nicht, ob er die Gedanken des Prinzen unterbrechen sollte. Josua starrte in die nicht allzu weite Ferne hinaus und umklammerte mit weißen Knöcheln die Brüstung der Westmauer von Naglimund.

Endlich schien der Prinz die Anwesenheit eines Fremden zu bemerken. Er drehte sich um und zeigte ein Gesicht von so unnatürlicher Blässe, daß der Soldat einen halben Schritt zurückwich.