»Ah!« sagte Strupp angewidert und schlug sich auf den dürren Schenkel. »Bei Sankt Muirfath und dem Erzengel, das ist das allerschlimmste. Ich könnte genauso gut in einem … Buch darüber lesen. Verdammt, Mann – sag doch etwas!«
Vor Deornoth entfaltete sich alles wie ein Traum – der verschwommene Glanz der Rüstungen, das Geschrei und der gedämpfte Aufprall von Klingen auf Schilden. Als die Schar des Prinzen auf die Kämpfenden zujagte, sah er nach und nach die Gesichter der Nabbanai-Ritter und ebenso die der Erkynländer deutlicher werden und merkte, wie eine Woge von Überraschung über die Schlacht ging. Einen Augenblick lang, der außerhalb aller Zeit lag, kam er sich wie eine schimmernde Schaumflocke vor, gefangen auf dem Kamm einer überhängenden Welle. Gleich darauf, mit furchtbarem Aufbrüllen und Waffengeklirr, waren sie mitten in der Schlacht. Josuas Ritter prallten mit voller Wucht auf die Flanke von Guthwulfs Männern.
Jäh kam einer auf ihn zu, ein blankes Helmgesicht über dem rollenden Auge und rotem Maul des Schlachtrosses. Deornoths Schulter traf ein Schlag, der ihn im Sattel wanken ließ; die Lanze des anderen Ritters fand seinen Schild und glitt daran ab. Sekundenlang sah er den dunklen Überrock des anderen unmittelbar vor sich und schwang mit beiden Händen sein Schwert. Er spürte den bebenden Aufprall, als es am Schild des Gegners vorbeisauste und seine Brust durchbohrte. Der andere stürzte vom Roß in Schlamm und blutiges Gras.
Einen Moment stand er frei. Er sah sich um und suchte Josuas Banner, ein schwaches Ziehen in der Schulter. Der Prinz und Isorn Isgrimnur-Sohn kämpften Rücken an Rücken inmitten einer strudelnden Brandung von Guthwulfs Rittern. Josuas rasche Hand schoß vor, und Naidel durchstieß das Visier eines der Reiter mit den schwarzen Helmbüschen. Die Hände des Mannes flogen an sein metallbedecktes Gesicht und färbten sich sogleich rot. Dann wurde er vom Pferd gerissen und war nicht mehr zu sehen, als das nunmehr zügellose Tier sich aufbäumte.
Deornoth erkannte Leobardis, den Herzog von Nabban, der am äußersten Südostrand der Schlacht unter seiner wogenden Eisvogelfahne hielt. Zwei Ritter bändigten neben ihm ihre scheuenden Pferde; Deornoth hielt den großen in der getriebenen Rüstung für den Herzogssohn Benigaris. Verdammter Kerl! Leobardis war alt, aber was tat Benigaris so fern vom Geschehen? Es war schließlich Krieg!
Eine Gestalt türmte sich vor ihm auf, und Deornoth trieb sein Pferd nach links, um einem niedersausenden Schlachtbeil auszuweichen. Der Reiter jagte vorbei, ohne sich noch einmal umzudrehen, aber ein anderer folgte ihm. Eine Weile kannte Deornoths Kopf nur noch den Tanz der Streiche, als er mit Guthwulfs Ritter Schläge tauschte; der Lärm des Feldes schien zu einem eintönigen Rauschen herabzusinken, das an stürzendes Wasser erinnerte. Endlich fand er eine Lücke in der Verteidigung des anderen und landete einen krachenden Schwerthieb auf dessen Helm, der am Scharnier des Visiers zerbrach. Der Ritter kippte zur Seite und nach unten. Sein Fuß verfing sich im Steigbügel, so daß er herunterhing wie ein geschlachtetes Schwein in einer Vorratskammer. Sein vor Angst wahnsinniges Pferd schleifte ihn fort.
Graf Guthwulfs schwarzer Mantel und Helm waren jetzt nur noch einen Steinwurf weit entfernt. Mit seinem großen Breitschwert teilte der Graf Hiebe nach rechts und links aus und hielt zwei Nabbanai-Reiter in blauen Mänteln in Schach, als wären sie nur Knaben. Deornoth beugte sich im Sattel nach unten, um sein Pferd auf ihn zuzutreiben – welch ein Ruhm, sich mit dem Ungeheuer von Utanyeat zuschlagen! –, als ein stürzender Gaul neben ihm sein Pferd plötzlich in die Gegenrichtung abdrängte.
Noch immer verwirrt, als träume er, merkte er, daß es ihn bergab an den Rand des Schlachtfeldes verschlagen hatte. Vor ihm wehte Leobardis' blaugoldenes Banner; der Herzog, dessen weißes Haar unter dem Helm hervorströmte, stand hoch in den Bügeln und feuerte seine Männer an, ja er zog sich gerade das Visier über die blitzenden Augen, um sich selber ins Getümmel zu stürzen.
Deornoth hatte den Blick noch nicht von ihm abgewendet, als sein Traum jäh zum Alptraum wurde. Der Mann, den er für Benigaris hielt, zog eine lange Klinge hervor. Er bewegte sich dabei so langsam, daß Deornoth fast das Gefühl hatte, er könne die Hand ausstrecken und den anderen festhalten. Zielsicher und bedächtig stieß der Nabbanai dem Herzog unterhalb des Helms seinen Dolch in den Nacken. In der wimmelnden Menge und dem Lärm der Schlacht schien es, als sehe nur Deornoth die furchtbare Tat. Als die Klinge, purpurn befleckt, wieder herausgezogen wurde, krümmte sich Leobardis und griff sich mit bebenden, behandschuhten Händen an den Hals, den er einen Augenblick umklammerte, als wollte er in seinem alles überwältigenden Gram noch etwas sagen. Gleich darauf sackte der Herzog im Sattel vornüber und fiel auf den weißen Nacken seines Pferdes. Sein Blut schoß hervor und färbte die Mähne, bevor er vom Sattel schwer zu Boden stürzte.
Benigaris warf ihm einen kurzen Blick zu, als betrachte er einen aus dem Nest gefallenen Vogel, dann hob er das Horn zum Munde. Inmittendes brüllenden Chaos auf allen Seiten war es Deornoth sekundenlang, als gewahre er in Benigaris' schwarzem Helmschlitz ein Glänzen, so als habe der Herzogssohn über die Köpfe der vielen kämpfenden Männer, die sie voneinander trennten, seinen Blick aufgefangen. Lange und rauh ertönte das Horn, und viele wandten die Köpfe danach.
»Tambana Leobardis eis!« brüllte Benigaris mit grausiger Stimme, heiser und gramvoll. »Der Herzog ist gefallen! Mein Vater erschlagen! Zieht euch zurück!«
Wieder stieß er ins Horn, und noch während Deornoth ihn in ungläubigem Entsetzen anstarrte, erklang vom Berghang über ihnen ein anderer Hornruf. Eine Schar bewaffneter Reiter sprengte aus dem Schattenversteck der Bäume hervor.
»Lichter des Nordens!« stöhnte Jarnauga und versetzte Strupp in erneute Zuckungen ohnmächtiger Wut.
»Sag es uns! Wie läuft die Schlacht?«
»Ich fürchte, sie ist verloren«, erwiderte der Rimmersmann mit hohler Stimme. »Jemand ist gefallen.«
»Nein!« keuchte Vara mit Tränen in den Augen. »Josua! Es ist doch nicht Josua?«
»Ich kann es nicht sagen. Ich glaube eher, daß es Leobardis ist. Aber jetzt kommt vom Berg herunter ein neuer Trupp, unter den Bäumen hervor. Rotmäntel … auf dem Banner ist ein … Adler?«
»Fengbald«, ächzte Strupp, riß sich die Schellenkappe vom Kopf und knallte sie klirrend auf die Steine. »Mutter Gottes, es ist Graf Fengbald! Oh, Usires Ädon, rette unseren Prinzen! Diese Hurensöhne! Bastarde!«
»Sie gehen auf Josua nieder wie ein Hammer«, fuhr Jarnauga fort. »Und die Nabbanai scheinen verwirrt. Sie … sie…«
»Zieht euch zurück!« schrie Benigaris, und Aspitis Preves neben ihm zog das Banner aus den kraftlosen Armen von Leobardis' Knappen und ritt den jungen Mann nieder.
»Es sind zu viele!« rief Aspitis. »Zieht euch zurück! Der Herzog ist tot!«
Deornoth riß sein Pferd herum und stürzte sich von neuem ins Gefecht, um sich zu Josua durchzuschlagen.
»Eine Falle!« brüllte er. Fengbalds Ritter donnerten mit blinkenden Lanzen den Berg hinunter. »Josua! Es ist eine Falle!«
Er hackte sich einen Weg durch zwei von Guthwulfs Ebern, die sich ihm entgegenstellen wollten, kassierte einige harte Hiebe auf Schild und Helm, rannte dem zweiten Mann das Schwert mitten durch die Kehle und hätte es fast verloren, als es im Rückgrat steckenblieb. Er sah ein blutiges Rinnsal über sein Visier laufen und wußte nicht, ob es sein Blut oder das eines anderen war.
Der Prinz rief seine Ritter zurück. Durch Geschrei und Waffengeklirr gellte Isorns Horn.
»Benigaris hat den Herzog ermordet!« schrie Deornoth. Josua sah erstaunt auf die blutbespritzte Gestalt, die da auf ihn zugaloppierte. »Benigaris hat ihn hinterrücks erstochen! Wir sitzen in der Falle.«
Einen kurzen Moment zögerte der Prinz und hob die Hand, als wolle er das Visier lüften und sich umsehen. Fengbald und seine Adler hatten die Flanke der Nabbanai angegriffen, um ihnen den Rückzug abzuschneiden.