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Gleich darauf hob der Prinz den zügelumwickelten Schildarm. »Dein Horn, Isorn!« rief er. »Wir müssen uns den Weg freikämpfen! Zurück! Zurück nach Naglimund! Wir sind verraten!«

Mit einem gellenden Hornstoß und einen gewaltigen Aufschrei der Wut drangen nun die Ritter des Prinzen auf Fengbalds weit auseinandergezogene, purpurrote Schlachtreihe ein. Deornoth spornte sein Pferd, um die vorderste Linie zu erreichen, und sah, wie Josuas wirbelnde Klinge die Abwehr des ersten Adlers durchbrach und gleich einer Schlange zustieß, tief unter den Arm des Mannes, hinein und hinaus. Gleich darauf sah sich Deornoth einer ganzen Heerschar von Rotmänteln gegenüber. Fluchend schwang er sein Schwert. Ohne daß er es wußte, waren seine Wangen unter dem Helm naß von Tränen.

Fengbalds Männer, von der Wildheit der Angreifer erschreckt, schwenkten langsam herum, und die Naglimunder nutzten diesen Augenblick zum Durchbruch. Hinter ihnen befanden sich die Legionen von Nabban bereits in vollem Rückzug und flohen in ungeordneten Haufen dem Inniscrich zu. Guthwulf verfolgte sie nicht, sondern vereinigte seine Truppen mit denen Fengbalds, um Josuas ebenfalls fliehenden Rittern nachzusetzen.

Deornoth umklammerte den Hals seines Schlachtrosses. Er konnte den rasselnden Atem des Tieres hören, als sie in vollem Galopp über Wiesen und brachliegendes Ackerland brausten. Langsam verstummte hinter ihnen der Lärm der Verfolger, und die Mauern von Naglimund ragten vor ihnen auf.

Das Tor hob sich, ein schwarzer, offener Mund. Deornoth starrte es an, und sein Kopf dröhnte wie eine geschlagene Trommel. Plötzlich wünschte er sich nur noch, verschluckt zu werden – in tiefes, lichtloses Vergessen zu sinken und nie wieder aufzutauchen.

XL

Das grüne Zelt

»Nein, Prinz Josua. Eine solche Torheit können wir Euch nicht gestatten.« Isorn, der sein Bein schonte, setzte sich schwerfällig hin.

»Gestatten?« Der Prinz hob den Blick vom Boden und sah dem Rimmersmann ins Gesicht. »Seid Ihr meine Bewacher? Bin ich ein unmündiges Kind auf dem Thron oder ein Schwachsinniger, daß man mir sagen muß, was ich zu tun habe?«

»Mein Prinz«, begann Deornoth und legte Isorn die Hand aufs Knie, damit er schwieg, »natürlich seid Ihr es, der hier gebietet. Folgen wir nicht Eurem Befehl? Haben wir Euch nicht alle Bündnistreue geschworen?« Die Köpfe im Raum nickten düster. »Aber Ihr verlangt zuviel von uns, das müßt Ihr verstehen. Glaubt Ihr denn wirklich noch, Ihr könntet dem König trauen, nachdem man uns solchen Verrat angetan hat?«

»Ich kenne ihn wie kein anderer von Euch.« Josua, als verbrenne ihn ein inneres Feuer, sprang vom Stuhl auf und trat zu seinem Tisch. »Er wünscht meinen Tod, das steht fest, aber nicht auf diese Weise. Nicht so ehrlos. Wenn er mir freies Geleit schwört – und wir offensichtliche Dummheiten vermeiden –, dann werde ich unverletzt zurückkehren. Er möchte immer noch wie ein Hochkönig auftreten, und ein Hochkönig erschlägt nicht seinen unbewaffneten Bruder, der unter der Parlamentärflagge zu ihm kommt.«

»Und warum hat er Euch dann in eine Zelle geworfen, wie Ihr es uns erzählt habt?« erkundigte sich Ethelferth von Tinsett mit finsterer Miene. »Haltet Ihr das für ein Zeichen seiner Ehrenhaftigkeit?«

»Nein«, entgegnete Josua, »aber ich glaube nicht, daß dieser Einfall von Elias stammt. Ich sehe keine andere Hand als die von Pryrates darin, jedenfalls nicht vor Ausführung der Tat. Elias ist zum Ungeheuer geworden – Gott helfe mir, denn er war einst mein Bruder, nicht nur dem Blute nach –, aber ich meine, daß er noch immer ein gewisses, verqueres Ehrgefühl besitzt.«

Deornoth stieß zischend die Luft aus. »So, wie er es Leobardis gegenüber bewies?«

»Die Ehre des Wolfes, der die Schwachen tötet und vor den Starken ausreißt«, spottete Isorn.

»Ich glaube nicht.« Josuas geduldige Grimasse wurde noch mühsamer. »Benigaris' Vatermord schmeckt mir nach altem Groll seinerseits. Ich habe den Verdacht, daß Elias…«

»Prinz Josua, mit Verlaub«, unterbrach ihn Jarnauga. Im Zimmer hoben sich verschiedene Augenbrauen. »Meint Ihr nicht, daß Ihr Euch allzusehr bemüht, Entschuldigungen für Euren Bruder zu finden? Die Sorgen Eurer Lehensleute sind nicht unberechtigt. Nur weil Elias eine Unterredung mit Euch wünscht, braucht Ihr noch lange nicht zu ihm zu gehen. Niemand wird an Eurer Ehre zweifeln, wenn Ihr es nicht tut.«

»Ädon steh mir bei, Mann, ich pfeife auf das, was andere von meiner Ehre denken!« fuhr der Prinz ihn an. »Ich kenne meinen Bruder, und ich kenne ihn auf eine Art, die Ihr alle nicht verstehen könnt – und sag mir nicht, er hätte sich verändert, Alter«, kam er finster blickend Jarnaugas Worten zuvor, »denn auch das weiß niemand besser als ich. Aber dennoch will ich zu ihm gehen, und ich schulde Euch keine weiteren Erklärungen dafür. Bitte laßt mich nun allein.«

Er kehrte dem Tisch den Rücken und winkte die Männer aus dem Zimmer.

»Ist er verrückt geworden, Deornoth?« fragte Isorn, das breite Gesicht voller Unruhe. »Wie kann er dem König so in die blutigen Hände laufen?«

»Starrköpfigkeit, Isorn – aber wer bin ich, daß ich das sagen darf? Vielleicht weiß er wirklich, wovon er redet.« Deornoth schüttelte den Kopf. »Steht das verdammte Ding noch da?«

»Das Zelt? Ja. Gerade außer Bogenschußweite vor den Mauern und genauso weit von Elias' Feldlager entfernt.«

Deornoth ging langsam und ließ den jungen Rimmersmann den Schritt vorgeben, den sein verwundetes Bein verlangte. »Gott sei uns gnädig, Isorn, aber ich habe ihn noch nie so erlebt, und ich diene ihm, seit ich alt genug bin, ein Schwert zu ziehen. Es ist, als wolle er unbedingt beweisen, daß Gwythinn recht hatte, als er ihm Unwilligkeit vorwarf.« Deornoth seufzte. »Nun gut – wenn wir ihn nicht zurückhalten können, müssen wir wenigstens unser bestes tun, ihn zu schützen. Sprach der Herold des Königs wirklich von nur zwei Leibwächtern?«

»Und dasselbe für Elias.«

Deornoth nickte und dachte nach. »Wenn ich meinen Arm«, er deutete auf die Schlinge aus weißem Leinen, »übermorgen wieder bewegen kann, wird mich keine Macht der Welt davon abhalten, einer dieser beiden Wächter zu sein.«

»Und ich bin der andere«, erklärte Isorn.

»Ich würde es besser finden, wenn du mit ungefähr zwanzig Reitern hinter der Mauer bereitstehen würdest. Wir wollen lieber mit Herrn Eadgram sprechen, dem Obersten der Wachen. Wenn es einen Hinterhalt gibt – und sei es nur ein Sperling, der aus dem königlichen Feldlager nach dem Zelt fliegt –, kannst du in wenigen Herzschlägen bei uns sein.«

Isorn nickte. »Das ist anzunehmen. Vielleicht können wir auch noch einmal mit dem weisen Jarnauga sprechen und ihn um einen Schutzzauber für Josua bitten.«

»Was er braucht – und ich sage es wirklich nur ungern –, ist ein Zauber, der ihn vor seiner eigenen Voreiligkeit schützt.« Deornoth machte einen Schritt über eine große Pfütze. »Außerdem hilft kein Zauber gegen einen Dolch im Rücken.«

Lluths Lippen bewegten sich pausenlos und stumm, als gebe er eine endlose Folge von Erklärungen ab. Seit dem Vortag war sein Murmeln lautlos geworden; Maegwin verfluchte sich, weil sie sich seine letzten Worte nicht gemerkt hatte. Aber sie war überzeugt gewesen, daß er, wie schon viele Male vorher seit seiner Verwundung, die Stimme wiedererlangen würde. Dieses Mal jedoch, das konnte sie fühlen, würde es anders sein.

Die Augen des Königs waren geschlossen, aber der Ausdruck seines wachsbleichen Gesichtes wechselte unaufhörlich zwischen Angst und Sorge. Maegwin berührte die brennende Stirn, spürte die sich im unvollständigen Sprechrhythmus schwach bewegenden Muskeln und hatte wieder das Gefühl, sie müsse weinen, als überschwemmten sie die unvergossenen Tränen, bis sie sich am Ende gewaltsam einen Weg durch die Haut ins Freie bahnten. Aber sie hatte seit der Nacht, in der ihr Vater sein Heer zum Inniscrich geführt hatte, nicht mehr geweint – nicht einmal, als sie ihn auf einer Bahre zurückbrachten, fast von Sinnen vor Schmerz, die meterlangen Stoffbinden um seinen Leib triefend von Blut. Wenn sie damals nicht geweint hatte, brauchte sie es nie mehr zu tun. Tränen waren für Kinder und Schwachköpfe.