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Eine Hand berührte ihre Schulter. »Maegwin. Prinzessin.« Es war Eolair, das kluge Gesicht so ordentlich in Kummerfalten gelegt wie ein Sommerkleid, das man für den Winter zusammenfaltet. »Ich muß mit Euch sprechen – draußen.«

»Geht, Graf«, antwortete sie und sah auf das einfache Bett aus Holzbalken und Stroh. »Mein Vater liegt im Sterben.«

»Ich teile Euren Kummer, Herrin.« Seine Berührung wurde schwerer, wie ein Tier, das blind im Dunkeln tastet. »Glaubt mir, es ist so. Aber die Lebenden müssen leben, das wissen die Götter, und Euer Volk braucht Euch jetzt.« Als empfände er seine Worte als zu kalt und zu stolz, drückte er noch einmal kurz ihren Arm und ließ sie dann los. »Bitte. Lluth ubh-Llythinn würde es nicht anders wollen.«

Maegwin schluckte eine bittere Bemerkung hinunter. Natürlich hatte er recht. Sie stand mit vom steinernen Höhlenboden schmerzenden Knien auf und folgte ihm, vorbei an ihrer jungen Stiefmutter Inahwen, die still am Fuße des Lagers saß und auf die flackernden Wandfackeln starrte.

Schaut uns doch an, dachte Maegwin verwundert. Tausend, tausend Jahre haben die Hernystiri gebraucht, um aus ihren Höhlen hinaus ans Sonnenlicht zu kriechen. Sie duckte sich, um unter der tiefen Stelle der Höhlendecke durchzugehen, und kniff vor dem rußigen Fackelrauch die Augen zusammen. Und nun hat es nicht einmal einen Monat gebraucht, um uns wieder hineinzutreiben. Wir sind dabei, zu Tieren zu werden. Die Götter haben uns den Rücken gekehrt.

Als sie hinter Eolair in das Licht des Tages hinaustrat, hob sie ihren Kopf wieder. Um sie herum war die Unordnung des Lagertages, sorgsam bewachte Kinder, die auf der lehmigen Erde spielten, Frauen des Hofes, vielfach in ihren zerfetzten Staatskleidern, die kniend Eichhörnchen und Hasen für den Kochkessel zubereiteten und auf flachen Steinen Korn mahlten. Die Bäume auf dem mit Felsen übersäten Berghang umgaben sie dicht von allen Seiten und neigten sich unwillig vor dem Wind.

Fast alle Männer waren fort. Wer nicht am Inniscrich sein Leben gelassen hatte oder im Wabengewirr der Höhlen seine Wunden versorgt bekam, befand sich auf der Jagd oder bewachte die unteren Hänge vor Angriffen von Skalis Truppen, deren Aufgabe es war, Hernystirs wankenden Widerstand endgültig zu zerschlagen.

Alles, was uns bleibt, sind Erinnerungen, dachte sie und betrachtete ihren schmutzigen und zerlumpten Rock, und unsere Verstecke im Grianspog. Man hat uns in die Enge getrieben wie Füchse. Wenn der Herr Elias kommt, um seinem Hund Skali die Beute aus dem Maul zu nehmen, sind wir erledigt.

»Was wollt Ihr von mir, Graf?« fragte sie.

»Nicht ich bin es, der etwas will, Maegwin«, antwortete Eolair kopfschüttelnd, »es ist Skali. Ein paar von den Posten sind zurückgekommen und sagen, er stehe schon den ganzen Morgen unten am Moir Brach und schreie nach Eurem Vater.«

»Laßt doch das Schwein schreien«, entgegnete Maegwin mit finsterer Miene. »Warum jagt ihm nicht einer von den Männern einen Pfeil durch das schmutzige Fell?«

»Er ist außer Bogenschußweite, Prinzessin. Zudem hat er ein halbes Hundert Männer bei sich. Nein, ich meine, wir sollten nach unten gehen und ihn anhören – aus der Deckung natürlich, ohne daß er uns sieht.«

»Natürlich«, erwiderte sie verächtlich. »Aber warum sollte uns kümmern, was Scharfnase schwatzt? Bestimmt verlangt er nur wieder, daß wir uns unterwerfen.«

»Möglich.« Graf Eolair senkte grübelnd den Blick, und Maegwin fühlte, wie eine Welle von Mitleid für ihn in ihr aufstieg, weil er ihre schlechte Laune ertragen mußte. »Aber ich glaube, daß es mehr ist, Herrin. Er steht schon über eine Stunde dort, sagen die Männer.«

»Also gut.« Sie sehnte sich danach, von Lluths dunklem Bett fortzukommen, und haßte sich zugleich für diesen Wunsch. »Ich will nur meine Schuhe anziehen, dann begleite ich Euch.«

Sie brauchten fast eine Stunde, um durch den Bergwald nach unten zu steigen. Der Boden war feucht und die Luft kalt; Maegwins Atem kam in kleinen Wolken, als sie sich hinter Eolair ihren Weg durch die Klüfte suchte. Die graue Kälte hatte die Vögel aus dem Circoille vertrieben oder sie verstummen lassen. Kein Laut begleitete ihren Gang außer dem bebenden Murmeln windgepeitschter Äste.

Während sie den Grafen von Nad Mullagh beobachtete, der mit schlankem Rücken und glänzendem Haarschweif behende wie ein Kind durch das Unterholz glitt, war Maegwin wieder einmal von dumpfer, hoffnungsloser Liebe zu ihm erfüllt. Es kam ihr so albern vor, dieses Gefühl – bei ihr, dem langen, tolpatschigen Kind eines sterbenden Mannes –, daß es in eine Art Zorn umschlug. Als Eolair sich umdrehte, um ihr über einen vorspringenden Stein zu helfen, runzelte sie so finster die Stirn, als hätte er ihr statt seiner Hand eine Beleidigung geboten.

Die im Gehölz oberhalb des langgestreckten Bergrückens, der Moir Brach hieß, zusammengekauerten Männer blickten erschreckt auf, als Eolair und Maegwin auf sie zukamen. Sie senkten jedoch sofort wieder die Bogen und winkten die beiden nach vorn. Maegwin spähte durch das Farnkraut den steinernen Finger hinunter, von dem der Kamm seinen Namen hatte, und sah unten eine wimmelnde Schar ameisengroßer Gestalten, etwa drei Achtelmeilen von ihnen entfernt.

»Er hat gerade aufgehört zu sprechen«, flüsterte einer der Posten – ein Knabe noch, die Augen groß vor Unruhe. »Ihr werdet sehen, Prinzessin, er fängt gleich wieder an.«

Wie abgesprochen, trat aus der Schar der Männer in Helmen und Umhängen, die einen Wagen mit Pferdegespann umringten, eine einzelne Gestalt hervor. Sie hob die Hände zum Mund und sah auf eine Stelle, die etwas nördlich vom Versteck der Beobachter lag.

»Zum letzten Mal…«, klang die durch die Entfernung gedämpfte Stimme nach oben, »ich biete euch … Geiseln … Ausgleich für…«

Maegwin strengte sich an, die Worte zu verstehen. Auskünfte?

»… über den Zauberlehrling und … Prinzessin…«

Eolair warf einen schnellen Blick auf Maegwin, die erstarrt dasaß. Was wollten sie von ihr?

»Wenn ihr uns nicht sagt, wo … Prinzessin … werden wir diese … Geiseln…«

Der Sprecher, von dem Maegwin sicher war, daß es sich um Skali selber handelte, nur danach, wie er so breitbeinig dastand und nach dem mürrischen, höhnischen Unterton in seiner Stimme, den selbst die Entfernung nicht völlig verwischen konnte, schwenkte den Arm. Eine widerstrebende Frau in hellblauen Fetzen wurde vom Wagen gezerrt und zu ihm gebracht. Maegwin starrte hinunter und fühlte einen häßlichen Druck auf ihrem Herzen. Sie war sicher, daß das hellblaue Kleid Cifgha gehörte … der kleinen Cifgha, hübsch und dumm.

»Wenn ihr es uns aber nicht sagt … ihr wißt … Prinzessin Miriamel … ergeht es diesen hier schlecht…«. Skali machte eine Handbewegung, und das strampelnde, dünn vor sich hin weinende Mädchen – das vielleicht doch nicht Cifgha war, wie Maegwin sich einzureden versuchte – wurde wieder auf den Wagen geworfen, zwischen andere bleiche Gefangene, die auf dem Wagenboden in einer Reihe lagen wie Finger.

Also war es die Prinzessin Miriamel, nach der sie suchten, wunderte sich Maegwin. Die Tochter des Hochkönigs! War sie fortgelaufen? Hatte man sie geraubt?

»Können wir denn gar nichts tun?« flüsterte sie Eolair zu. »Und wer ist dieser ›Zauberlehrling‹?«

Der Graf schüttelte barsch den Kopf, ohnmächtigen Grimm in jeder Linie seines Gesichtes. »Was sollten wir tun, Prinzessin? Skali wäre überglücklich, wenn wir zu ihm herunterkämen. Er hat zehnmal soviel Männer wie wir!«

Lange, schweigende Minuten vergingen. Maegwin beobachtete. An ihren Gefühlen zerrte Wut wie ein aufdringliches Kind. Sie dachte über das nach, was sie Eolair und den anderen gern gesagt hätte – daß sie, wenn keiner der Männer gewillt war, sie zu begleiten, selber zum Taig gehen und Skalis Gefangene befreien oder, was wahrscheinlicher war, bei dem Versuch heldenhaft untergehen würde. Da trat die untersetzte Gestalt, die jetzt den Helm abgesetzt hatte, so daß die kleinen gelben Flecke von Haar und Bart sichtbar wurden, noch einmal ganz nahe an den Fuß des Moir Brach heran.