»Also gut!« brüllte er. »… und Löken soll … Halsstarrigkeit verfluchen! Wir nehmen diese … mit!« Er deutete auf den Wagen. »Aber … hinterlassen euch … Geschenk!« Etwas wurde von einem der Pferde geschnallt, ein dunkles Bündel, und Skali Scharfnase vor die Füße geworfen. »Nur für den Fall … Hilfe erwartet! … nicht mehr viel nützen … gegen Kaldskryke!«
Gleich darauf hatte er sein Pferd bestiegen, und mit einem rauhen Hornruf donnerte er samt seinen Rimmersmännern das Tal nach Hernysadharc hinab, der Wagen polternd hinterdrein.
Sie warteten eine Stunde, bevor sie vorsichtig die Böschung hinunterkletterten, wachsam wie eine Ricke beim Überqueren einer Lichtung. Als sie am Fuß des Moir Brach angekommen waren, huschten sie zu dem schwarzen Bündel, das Skali zurückgelassen hatte.
Als sie es geöffnet hatten, schrien die Männer entsetzt auf – und weinten, ein wildes, qualvolles Schluchzen hilflosen Grams. Nur Maegwin vergoß keine Träne, nicht einmal, als sie sah, was Skali und seine Schlächter ihrem Bruder Gwythinn vor seinem Tode angetan hatten. Als Eolair den Arm um sie legte, um sie von der blutdurchtränkten Decke wegzuführen, stieß sie ihn zornig zurück, drehte sich um und schlug ihn hart auf die Wange. Er machte keinen Versuch, sich zu schützen, sondern starrte sie nur an. Die Tränen in seinen Augen, das wußte sie, hatten mit ihrem Schlag nichts zu tun, und das machte ihren Haß auf ihn in diesem Augenblick nur noch stärker. Aber ihre Augen blieben trocken.
Die Luft war voller Schneeflocken – sie verwirrten den Blick, machten die Kleider schwer, ließen Finger und Ohren steif werden und schmerzhaft prickeln. Aber Jiriki und seinen drei Sithigefährten schien das wenig auszumachen. Während Simon und die anderen auf ihren Pferden mühselig vorwärtsstapften, liefen die Sithi munter vor ihnen her, wobei sie oft noch stehenblieben, damit die Reiter sie einholen konnten, geduldig wie wohlgenährte Katzen, undurchschaubare Gelassenheit in den leuchtenden Augen. Als sie den ganzen Tag vom Sonnenaufgang bis zur Abenddämmerung marschiert waren, machten Jiriki und seine Kameraden am Abend noch denselben leichtfüßigen Eindruck wie im Morgengrauen.
Während die anderen dürres Holz für das abendliche Feuer zusammentrugen, trat Simon zögernd zu An'nai.
»Darf ich dich ein paar Dinge fragen?« erkundigte er sich.
Der Sithi hob den gleichmütigen Blick. »Frage.«
»Warum war Prinz Jirikis Onkel so zornig, als er sagte, er wolle mit uns kommen? Und warum hat er euch drei mitgenommen?«
An'nai führte die spinnenfingrige Hand zum Mund, als wollte er ein Lächeln verbergen, das nicht da war. Sofort ließ er sie wieder sinken und zeigte die gleiche ausdruckslose Miene wie zuvor.
»Was zwischen dem Prinzen und S'hue Khendraja'aro vorgeht, ist nicht meine Angelegenheit, so daß ich es dir auch nicht mitteilen kann.« Er nickte ernsthaft. »Was das andere betrifft, kann er es selber vielleicht am besten beantworten … nicht, Jiriki?«
Simon blickte erschreckt auf und sah den Prinzen hinter sich stehen, die dünnen Lippen zu einem Lächeln gestrafft.
»Warum ich die anderen mitgenommen habe?« fragte Jiriki und machte eine umfassende Handbewegung zu An'nai und den anderen beiden Sithi, die gerade von einem Erkundungsgang durch den dichten Wald rings um den Lagerplatz zurückkamen. »Ki'ushapo und Sijandi nahm ich mit, weil sich jemand um die Pferde kümmern muß.«
»Um die Pferde kümmern?«
Jiriki hob die Brauen und schnalzte mit den Fingern. »Troll!« rief er über die Schulter, »wenn dieses Menschenkind dein Schüler ist, bist du wirklich ein schlechter Lehrer! Ja, Seoman, die Pferde – oder dachtest du, sie würden mit dir die Berge hinaufklettern?«
Simon war verdutzt. »Aber … klettern? Die Pferde? Ich habe nicht daran gedacht … ich meine, könnten wir sie nicht einfach laufen lassen? Freilassen?« Er fand es ungerecht; auf der ganzen Reise war er sich immer nur als Anhängsel vorgekommen – bis auf den Weißen Pfeil natürlich –, und jetzt machte der Sitha ihn auch noch für die Pferde verantwortlich!
»Sie freilassen?« Jirikis Stimme klang barsch, fast zornig, aber sein Gesicht blieb ausdruckslos. »Sie ihrem Schicksal überliefern, meinst du? Nachdem man sie so weit geritten hat, wie sie freiwillig nie gehen würden, sollen wir sie freilassen, damit sie sich durch die Schneewüsten durchschlagen oder sterben?«
Simon wollte schon protestieren und einwenden, daß nicht er dafür verantwortlich wäre, fand es dann aber besser, einen Streit zu vermeiden.
»Nein«, antwortete er statt dessen. »Nein, wir dürfen sie nicht allein lassen, damit sie nicht sterben.«
»Außerdem«, fügte Haestan hinzu, der gerade mit einem Armvoll Holz an ihnen vorüberging, »wie sollten wir selbst dann durch die Wüsten zurückkommen?«
»So ist es«, erwiderte Jiriki, dessen Grinsen breiter wurde; er war zufrieden. »Darum habe ich Ki'ushapo und Sijandi mitgebracht. Sie werden die Pferde versorgen und alles für meine … unsere Rückkehr vorbereiten.« Er legte die Spitzen seiner beiden Zeigefinger aneinander, als wollte er eine Art Abschluß andeuten. »Mit An'nai dagegen«, fuhr er fort, »ist es etwas schwieriger. Sein Grund, hier zu sein, ist meinem ähnlicher.« Er sah den anderen Sitha an.
»Ehre«, erklärte An'nai und starrte auf seine verschlungenen Finger. »Ich habe den Hikka Staj'a gefesselt – den Pfeilträger. Ich habe einem … heiligen Gast … nicht genügend Achtung erwiesen. Das werde ich wieder gut machen.«
»Eine kleine Schuld«, meinte Jiriki sanft, »verglichen mit meiner großen; aber An'nai tut, was er muß.«
Simon hätte gern gewußt, ob An'nai diesen Entschluß selber gefaßt oder Jiriki ihn auf irgendeine Weise gezwungen hatte, sich ihnen anzuschließen. Es war schwer, etwas über diese Sithi herauszufinden, darüber, wie sie dachten und was sie wollten. Sie waren so ungeheuer anders, so innehaltend und tief!
»Kommt jetzt her«, verkündete Binabik. Vor ihm wehte ein hauchdünner Flammenfaden, den er mit den Händen fächelte. »Wir machen ein Feuer, und ich bin sicher, daß ihr alle etwas für ein paar Speisen und einen Schluck Wein zum Erwärmen der inneren Hohlräume übrig haben werdet!«
Im Lauf der nächsten Tagesritte ließen sie den nördlichen Aldheorte hinter sich und stiegen vom letzten Ausläufer der Weldhelmberge in die flache, schneeverwehte Öde hinunter.
Es war jetzt ständig kalt, jede lange Nacht, jeden trüben weißen Tag, bitter-beißend kalt. Ununterbrochen wehte Simon der Schnee ins Gesicht, stach in den Augen, brannte auf den Lippen, ließ sie aufspringen. Sein Gesicht war schmerzhaft gerötet, als hätte er es zu lange der Sonne ausgesetzt, und er bibberte so, daß er kaum die Zügel seines Pferdes halten konnte. Es war, als hätte das Schicksal ihn ein für alle Mal zur Tür hinausgeworfen, eine Strafe, die schon viel zu lange dauerte. Aber er sah keine Möglichkeit, seine Lage zu ändern; er konnte nur jeden Morgen still zu Usires beten, er möge ihn durchhalten lassen, bis sie abends ihr Lager aufschlugen.
Wenigstens, sann er betrübt, und seine Ohren brannten sogar noch unter der Mantelkapuze, fühlt Binabik sich jetzt wohl.
Der Troll war in der Tat in seinem Element. Er ritt als erster, feuerte seine Gefährten an und lachte von Zeit zu Zeit vor lauter Vergnügen, wenn er mit Qantaqa über die immer höher werdenden Schneewehen sprang. An den langen Abenden am Feuer, wenn die anderen Sterblichen der Gruppe zitternd ihre schneenassen Handschuhe und Stiefel ölten, hielt Binabik Vorträge über die verschiedenen Schneesorten, die unterschiedlichen Anzeichen, die auf Lawinen hindeuteten, alles, um die anderen auf die Berge vorzubereiten, die vor ihnen am Horizont unversöhnlich aufragten, streng und richterlich wie Götter unter ihren Kronen aus weißem Schnee.