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Niemand konnte ihm antworten, aber in dem Schweigen, das Jirikis Worten folgte, stieg ein klagender, leiser Klang empor. Voll unbekannter Worte schwebte er im Dunkel, eine Melodie von geisterhafter Schönheit.

Als er seinen Gesang beendet hatte, sah An'nai seinen stillen Prinzen und seine Sithikameraden an und blickte dann auf die anderen, die jenseits der tanzenden Flammen saßen.

»Es ist eines von unseren Liedern, das einst auch die Sterblichen sangen«, murmelte er. »Die Menschen des Westens liebten es vor langer Zeit und gaben ihm Worte in ihrer Sprache. Ich will … ich will versuchen, es in eure zu übersetzen.«

Er sah zum Himmel auf und dachte nach. Der Wind hatte sich gelegt, und als das Schneegestöber aufhörte, wurden die Sterne sichtbar und leuchteten kalt und fern.

Endlich begann An'nai zu singen, und die Schnalzlaute und fließenden Vokale der Sithisprache schwangen gedämpft in seinen Worten mit.

Moos wächst auf den Steinen von Sení Ojhisá. Noch warten die Schatten, als lauschten sie still. In Da'ai Chikiza zerfallen die Mauern. Die Schatten, sie wispern, lang, lang ist es her.
So hoch weht das Gras über Enki-e-Sha'osaye. Es wandern die Schatten weit über das Grün. Auf Nenais'us Grab fallen Blumen in Schauern. Der dunkle Bach schweigt. Niemand trauert dort mehr.
Wohin sind sie alle? Die Wälder, sie schweigen. Wohin sind sie alle? Das Lied, es verklang. Nie tanzen sie wieder den Dämmerungsreigen, künden Lampen die Sterne, wenn Taglicht versank…

Als An'nais Stimme sich hob und die klagenden Worte liebkoste, erfaßte Simon eine nie gekannte Sehnsucht – Heimweh nach einer Heimat, die er niemals gekannt, ein Gefühl des Verlustes für etwas, das ihm nie gehört hatte. Niemand sprach, während An'nai sang. Niemand hätte ein Wort herausgebracht.

Das Meer rauscht dahin über Jhiná-T'seneí. Die Schatten, sie schlafen, in Grotten versteckt. Blaues Eis bedeckt Tumet'ai; Schatten, sie lauern, das Muster der Zeit ist befleckt und gähnt leer.
Wohin sind sie alle? Die Wälder, sie schweigen. Wohin sind sie alle? Das Lied, es verklang. Nie tanzen sie wieder den Dämmerungsreigen, künden Lampen die Sterne, wenn Taglicht versank…

An'nai verstummte. Das Feuer war ein einsamer heller Fleck in einer Wüste von Schatten.

Das grüne Zelt stand ganz allein in der feuchten Leere der Ebene vor den Mauern von Naglimund. Seine Wände hoben und senkten sich und wogten im Wind, als ob es als einziges von allen Dingen, die sich vielleicht ungesehen auf dieser riesigen offenen Fläche bewegten, lebte und atmete.

Deornoth biß die Zähne zusammen, um einen abergläubischen Schauder zu unterdrücken, obwohl der feuchte, messerscharfe Wind genügte, sie klappern zu lassen. Er sah auf Josua, der ein kleines Stück vor ihm herritt.

Schaut ihn an, dachte er. Als ob er seinen Bruder schon vor sich sähe – als könnten seine Augen mitten durch die grüne Seide und das schwarze Drachenwappen darauf sehen, tief in Elias' Herz.

Als er sich nach dem dritten und letzten Mitglied ihrer Abordnung umsah, fühlte Deornoth sein ohnehin schweres Herz noch tiefer sinken. Der junge Soldat, auf dessen Anwesenheit Josua bestanden hatte – ein gewisser Ostrael –, wirkte, als würde er vor lauter Angst gleich ohnmächtig werden. Seine derben, kantigen Züge, deren Röte durch die sonnenlosen Frühjahrswochen inzwischen verblaßt war, zeigten einen Ausdruck krampfhaften, nur mühsam unterdrückten Entsetzens.

Ädon steh uns bei, wenn wir uns auf den verlassen müssen. Warum in aller Welt hat ihn Josua nur ausgesucht?

Während sie sich langsam dem Zelt näherten, teilte sich die Zeltklappe. Deornoth straffte sich, den Bogen griffbereit. Nur ein Augenblick blieb ihm, sich selber zu verfluchen, weil er zugelassen hatte, daß sein Prinz eine so ungeheure Dummheit machte. Aber der heraustretende Soldat blickte sie nur gleichgültig an und trat dann neben den Eingang, um ihnen den Weg freizuhalten.

Deornoth gab Josua ein respektvolles Zeichen zu warten und spornte sein Pferd rasch einmal um das grüne Zelt herum. Es war groß, ein Dutzend Schritte oder mehr nach allen Seiten, und die Haltetaue, an denen der Wind zerrte, summten unter seinem Gewicht; aber das zertretene Gras ringsum war frei von jedem Hinterhalt.

»So, Ostrael«, sagte er, als er wiederkam. »Du bleibst hier stehen, neben diesem Mann«, er deutete auf den anderen Soldaten, »und zwar so, daß man ständig wenigstens eine deiner Schultern in der Tür sieht, verstanden?«

Deornoth nahm das matte Lächeln des jungen Spießkämpfers als Bestätigung und wandte sich dem Wachsoldaten des Königs zu. Das bärtige Gesicht des Mannes kam ihm bekannt vor; bestimmt hatte er ihn schon auf dem Hochhorst gesehen. »Wenn auch du dich so neben die Tür stellen würdest, wäre es für alle Beteiligten besser.«

Der Wächter verzog den Mund, trat jedoch einen Schritt näher an den Eingang heran. Josua war bereits abgestiegen und näherte sich der Tür. Deornoth beeilte sich, ihm zuvorzukommen und trat ein, die eine Hand locker am Schwertgriff.

»Soviel Vorsicht ist kaum vonnöten, Deornoth«, bemerkte eine leise, aber durchdringende Stimme, »so heißt Ihr doch, oder? Schließlich sind wir hier alle Ehrenmänner.«

Deornoth blinzelte. Josua war ihm gefolgt. Innen war es schneidend kalt und finster. Die Wände gaben ein schwaches Licht von sich, ließen jedoch nur einen Bruchteil der Helligkeit von außen herein, als schwömmen die Insassen des Zeltes in einem gewaltigen, wenn auch unvollkommen geschliffenen Smaragd.

Vor ihm schwebte ein bleiches Gesicht, die schwarzen Augen wie Nadelstichlöcher ins Nichts. Im grünen Dämmerlicht erschien Pryrates' Scharlachgewand rostrot, von der Farbe getrockneten Blutes. »Und Josua!« sagte er im Tonfall schrecklicher Leichtfertigkeit. »So sehen wir uns wieder. Wer hätte gedacht, daß sich seit unserem letzten Gespräch so vieles ereignen würde?«

»Haltet den Mund, Priester – oder was immer Ihr seid«, fuhr der Prinz ihn an. In seinen Worten lag soviel kalte Stärke, daß selbst Pryrates vor Erstaunen blinzelte wie eine aufgeschreckte Eidechse. »Wo ist mein Bruder?«

»Ich bin hier, Josua«, sagte eine Stimme, ein tiefes, zerbrochenes Flüstern, das wie ein Echo des Windes klang.