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Jetzt waren auch die Fußtruppen des Königs so weit herangekommen, daß die dortigen Bogenschützen das Feuer erwidern konnten. Wie gereizte Bienen sausten die Pfeile zwischen den Mauern und der Erde darunter hin und her. Klappernd und knarrend näherten sich die Maschinen der Vormauer. Für einen kurzen Augenblick brach die Sonne durch; schon waren die Brüstungen hier und da rotgesprenkelt wie von einem sanften Regen.

»Deornoth!« Das weiße, schmutzstreifige Gesicht des Soldaten leuchtete unter dem Helm hervor wie ein Vollmond. »Grimsted bittet Euch, sofort zu ihm zu kommen! Sie haben unter dem Dendinis-Turm Leitern an die Mauer gestellt!«

»Gottes Baum!« Deornoth biß in ohnmächtiger Wut die Zähne zusammen und drehte sich zu Isorn um. Der Rimmersmann hatte einem verwundeten Wächter den Bogen abgenommen und half, die letzten paar Ellen Grund zwischen dem ersten Belagerungsturm und der Mauer freizuhalten, indem er jeden Soldaten aufspießte, der töricht genug war, die schützende Verkleidung des zum Stehen gebrachten Turmes zu verlassen, um eines der losen Zugtaue zu ergreifen, die im Wind flatterten.

»Isorn!« schrie Deornoth. »Während wir hier die Türme abwehren, bringen sie Leitern an die Südwestmauer!«

»Dann geh dorthin!« Isgrimnurs Sohn sah nicht von seiner Pfeilspitze auf. »Ich komme nach, sobald ich kann.«

»Aber wo steckt Einskaldir?« Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Bote voller Angst und Ungeduld von einem Fuß auf den anderen trat.

»Gott weiß es!«

Wieder stieß Deornoth einen unterdrückten Fluch aus, duckte sich und rannte ungeschickt hinter Grimsteds Boten her. Unterwegs sammelte er ein halbes Dutzend Wachen um sich, müde Männer, die sich für einen Augenblick im Schutz der Zinnen niedergelassen hatten, um zu verschnaufen. Als er sie rief, schüttelten sie bedauernd den Kopf, setzten jedoch die Helme wieder auf und folgten ihm. Deornoth genoß großes Ansehen; viele nannten ihn die rechte Hand des Prinzen oder, poetischer, die prinzliche Rechte.

Aber Josua hatte wenig Glück mit seiner ersten Rechten, dachte Deornoth unfroh, während er mit eingezogenem Kopf über den Wehrgang eilte. Trotz der kalten grauen Luft schwitzte er. Ich hoffe, diese hier bleibt ihm länger erhalten. Wo steckt der Prinz überhaupt? Gerade jetzt sollte er sich sehen lassen …

Als er um die gewaltige Masse des Dendinis-Turmes bog, bemerkte er zu seinem Entsetzen, daß Grimsteds Männer zurückfielen und ein Schwarm Krieger in Rot und Blau über die Zinnen der Vormauer strömte – Baron Godwigs Cellodshirer.

»Für Josua!« schrie er und stürmte auf sie zu. Die Männer hinter ihm nahmen den Ruf auf. Mit einem blechernen Klirren von Schwert auf Schwert drangen sie auf die Belagerer ein und schafften es, die Cellodshirer für kurze Zeit zurückzuwerfen. Ein Mann kippte aufkreischend von der Mauer, wobei er mit den Armen fuchtelte wie eine Windmühle, als könne der eisige Wind ihn wieder nach oben tragen. Grimsteds Männer faßten neuen Mut und machten einen Ausfall. Während der Feind damit beschäftigt war, zog Deornoth einen Spieß aus dem erstarrten Griff eines am Boden ausgestreckten Leichnams, fing von einem verirrten Speerende einen heftigen Schlag auf den Körper ein, und stieß die erste der langen Leitern von der Mauer fort. Gleich darauf waren zwei seiner Wachen bei ihm, und gemeinsam hebelten sie die Leiter aus; sie stürzte bebend ins Leere, während die Belagerer sich fluchend festklammerten und ihre aufgerissenen Münder wie leere, schwarze Löcher gähnten. Sekundenlang stand die Leiter frei zwischen Himmel und Erde, senkrecht zu beiden; dann kippte sie rückwärts um und warf die Soldaten ab wie ein Ast, den man schüttelt, seine Früchte.

Bald lagen bis auf zwei alle Rotblauen auf dem Wehrgang in ihrem Blut. Die Verteidiger stießen auch die übrigen drei Leitern um, und Grimsted ließ seine Männer einen der großen Steinblöcke herbeirollen, die zu holen die Zeit nicht mehr gereicht hatte, als der Angriff begann. Sie kippten ihn über die niedrige Stelle der Brüstung, so daß er krachend auf den umgestürzten Leitern landete und sie zersplitterte wie Anmachholz. Dabei verlor ein Mann der Leiterbesatzung sein Leben, der dort, wo er hingestürzt war, sitzengeblieben war und mit leerem Blick vor sich hinstarrte, als der gewaltige Stein auf ihn hinunterrollte.

Von den Wächtern, die die Mauer verteidigt hatten, war einer gefallen, ein bärtiger junger Bursche, der einmal mit Deornoth gewürfelt hatte. Eine Schildkante hatte ihm das Genick gebrochen. Auch von Grimsteds Männern waren vier tot, zusammengekrümmt wie vom Wind heruntergerissene Vogelscheuchen, um sie herum sieben Krieger aus Cellodshire, die wie sie den fehlgeschlagenen Angriff nicht überlebt hatten.

Deornoth spürte den Schlag gegen den Magen, den er sich zugezogen hatte. Keuchend stand er da, als der zahnlückige Grimsted zu ihm herüberhinkte, in der gestiefelten Wade ein zerfetztes, blutiges Loch.

»Sieben hier, und ein halbes Dutzend weitere, die von der Leiter gefallen sind«, stellte der Ritter fest und musterte die sich windenden Leiber und die Zerstörung unter ihnen befriedigt. »Auf der ganzen Mauer dasselbe. Hat viel größere Verluste als wir, König Elias, viel größere.«

Deornoth war übel. Die verletzte Schulter stach, als hätte man einen Nagel hindurchgetrieben.

»Aber der König hat auch viel mehr als wir«, entgegnete er. »Er kann … sie wegwerfen … wie Apfelschalen.« In diesem Moment merkte er, daß er sich übergeben mußte und trat an den Rand der Mauer.

»Apfelschalen…«, sagte er noch einmal und lehnte sich über die Brüstung. Es tat so weh, daß er sich nicht schämte.

»Bitte lies es noch einmal«, sagte Jarnauga ruhig und starrte auf seine gefalteten Hände.

Vater Strangyeard sah auf, und sein erschöpfter Mund wollte sich zu einer Frage öffnen. Statt dessen erfüllte ein markerschütterndes Krachen draußen das Gesicht des einäugigen Priesters mit Panik, und er schlug hastig einen Baum über der Brust seiner schwarzen Kutte.

»Steine!« rief er mit schriller Stimme. »Sie werfen … sie werfen Steine über die Mauer! Sollten wir nicht … gibt es denn keine ….?«

»Die Männer, die auf den Mauern kämpfen, sind auch in Gefahr«, erwiderte der alte Rimmersmann mit strenger Miene. »Wir sind hier, weil wir hier am nützlichsten sein können. Unsere Kameraden suchen unter Lebensgefahr im weißen Norden das eine Schwert. Das zweite ist bereits in der Hand des Feindes, der unsere Mauern belagert. Die geringe Hoffnung, die noch besteht, herauszufinden, was aus Fingils Klinge Minneyar wurde, ruht auf uns.« Sein Blick wurde weicher, als er den besorgten Strangyeard ansah. »Die wenigen Steine, die die innere Burg erreichen, müßten erst die hohe Mauer hinter diesem Raum überwinden. Das Risiko ist unbedeutend. Jetzt lies mir bitte noch einmal diese Stelle vor! Sie enthält irgend etwas, auf das ich meine Hand nicht legen kann, aber es scheint mir wichtig.«

Der lange Priester starrte ein paar Sekunden auf das Blatt. Im Raum war es still, bis eine Welle von Geschrei und anfeuernden Rufen, von der Entfernung gedämpft, zum Fenster hereindrang wie ein Nebel.