»Was war das?« fragte Sludig gereizt.
Binabiks Grinsen machte einen etwas gezwungenen Eindruck. »Ich habe ihnen gesagt, daß wir unterwegs zum Urmsheim sind«, erklärte er. »Der eine hat das Zeichen gemacht, mit dem man sich vor Bösem schützt, der andere benutzte einen Zauber gegen Wahnsinnige.«
Die Gesellschaft schlug den Weg in die Berge ein und lagerte in einer felsigen Mulde, die sich in den Mantelsaum des Urmsheim schmiegte.
»Hier sollten wir die Pferde und alles sonst Entbehrliche zurücklassen«, meinte Binabik, nachdem er sich das geschützte Gelände angesehen hatte.
Jiriki schritt nach dem Eingang des Tales, lehnte sich zurück und starrte zum zerklüfteten, schneebedeckten Haupt des Urmsheim hinauf, dessen Westwand die sinkende Sonne rosig färbte. Der Wind blähte den Mantel des Prinzen und blies ihm die Haare ins Gesicht wie lavendelblaue Wolkenfetzen.
»Es ist lange her, daß ich diesen Ort erblickt habe«, bemerkte er.
»Habt Ihr den Berg schon einmal bestiegen?« fragte Simon, der sich mit der Gurtschnalle seines Pferdes abplagte.
»Ich habe niemals die andere Seite des Gipfels gesehen«, antwortete der Sitha. »Das wird etwas Neues für mich sein – das östlichste Reich der Hikeda'ya zu betrachten.«
»Der Nornen?«
»Damals zur Zeit der Trennung wurde ihnen alles Land nördlich der Berge abgetreten.« Jiriki stieg die Schneerinne wieder hinauf. »Ki'ushapo, du mußt mit Sijandi einen Unterstand für die Pferde bauen. Sieh dort drüben – unter den überhängenden Felsen wachsen ein paar kleine Büsche; das kann gut sein, wenn das Heu knapp wird.« Er fiel in die Sithisprache, und An'nai und die beiden anderen machten sich daran, ein dauerhafteres Lager zu errichten, als die Männer es seit dem Verlassen der ›Jagdhütte‹ bisher genossen hatten.
»Simon, schau, was ich mitgebracht habe!« rief Binabik. Der Junge ging an den drei Soldaten vorbei, die kleinere Bäume gefällt hatten und sie nun zu Brennholz spalteten. Der Troll hockte auf der Erde und zog in Ölhaut verpackte Bündel aus seiner Satteltasche.
»Der Schmied in Naglimund hielt mich für ebenso verrückt, wie ich klein bin«, lächelte Binabik, als Simon näherkam, »aber er hat mir angefertigt, was ich haben wollte.«
Aus den aufgeschnürten Bündeln kamen allerlei merkwürdige Gegenstände zum Vorschein: mit Stacheln besetzte Metallplatten mit Riemen und Schnallen, wunderliche Hämmer mit spitzen Köpfen und Geschirre, die aussahen, als wären sie für sehr kleine Pferde bestimmt.
»Was ist das alles?«
»Um den Bergen den Hof zu machen und sie für uns zu gewinnen«, feixte Binabik. »Sogar wir Qanuc, so leichtfüßig wir auch sind, klettern nicht ungerüstet auf die höchsten Gipfel. Sieh, das hier schnallt man an die Stiefel« – er zeigte auf die Stachelplatten – »und dies hier sind Eispickel – sehr nützlich sind sie. Sludig wird sie sicher kennen.«
»Und die Geschirre?«
»Damit können wir uns aneinanderseilen. Wenn dann Graupelschauer kommen oder wir auf Drachenschnee oder zu dünnem Eis gehen und einer von uns stürzt, können die anderen sein Gewicht halten. Hätte die Zeit gereicht, hätte ich auch ein Geschirr für Qantaqa vorbereiten lassen. Sie wird sich aufregen, wenn sie zurückbleiben muß, und es wird einen traurigen Abschied geben.« Der Troll ölte und polierte und summte dabei ein leises Lied vor sich hin.
Simon starrte Binabiks Gerätschaften stumm an. Irgendwie hatte er sich vorgestellt, eine Bergbesteigung wäre ungefähr so wie das Erklettern der Stufen im Grünengel-Turm: steil aufwärts, aber im wesentlichen nicht schwieriger als eine anstrengende Wanderung. Aber dieses Gerede von Abstürzenden und dünnem Eis …
»Ho, Simon, Bursche!« Das war Grimmric. »Komm her und mach dich nützlich. Sammel ein paar von den Spänen auf. Wir wollen noch einmal ein richtig schönes Feuer machen, bevor wir uns da oben in den Bergen umbringen.«
Wieder ragte nachts in seinen Träumen der weiße Turm auf. Verzweifelt klammerte sich Simon an seine schlüpfrigen Wände, während unter ihm die Wölfe heulten und über ihm eine schwarze Gestalt mit roten Augen die boshaften Glocken läutete.
Der Schankwirt sah auf, den Mund schon zum Sprechen geöffnet, schwieg dann aber. Er blinzelte und schluckte wie ein Frosch.
Der Fremde war ein Mönch in schwarzer Kutte und Kapuze, das Gewand vielfach mit dem Schmutz der Straße bespritzt. Was an ihm auffiel, war seine Größe: Er war ziemlich lang, dabei rund wie ein Bierfaß und so breit, daß der Schankraum, ohnehin nicht besonders hell, sich merklich verdunkelt hatte, als er sich zur Tür hineindrängte.
»Ich … ich bedaure sehr, Vater.« Der Wirt lächelte einschmeichelnd. Hier war ein ädonitischer Gottesmann, der aussah, als könne er einem die Sünde aus allen Poren quetschen, wenn ihm danach zumute war. »Wonach fragtet Ihr?«
»Ich habe gesagt, daß ich im ganzen Dockviertel in allen Gassen in sämtlichen Kneipen war und kein Glück gehabt habe. Mir tut das Kreuz weh. Gib mir einen Krug von deinem besten.« Er stampfte an einen Tisch und ließ sein Gewicht auf eine ächzende Bank sinken. »Dieses verdammte Abaingeat hat mehr Gasthäuser als Straßen.«
Seine Aussprache, stellte der Wirt fest, war die eines Rimmersmannes. Das erklärte das nackte, rosige Aussehen seines Gesichtes; der Wirt hatte gehört, den Männern aus Rimmersgard wüchsen so dichte Bärte, daß sie sich dreimal am Tag rasieren müßten – die wenigen jedenfalls, die ihren Bart nicht einfach stehen ließen.
»Wir sind eine Hafenstadt, Vater«, meinte er und setzte einen ordentlichen Humpen vor den finsterblickenden Mönch hin. »Und so, wie heutzutage die Dinge liegen«, er verzog achselzuckend das Gesicht, »gibt es eben viele Fremde auf der Suche nach einer Unterkunft.«
Der Mönch wischte sich den Schaum von der Oberlippe und runzelte die Stirn. »Ich weiß. Eine verdammte Schande. Der arme Lluth…«
Der Wirt sah sich unruhig um, aber die erkynländischen Wachsoldaten in der Ecke achteten nicht auf sie. »Ihr sagtet, Ihr hättet kein Glück gehabt, Vater«, bemühte er sich, das Thema zu wechseln. »Darf ich fragen, wonach Ihr sucht?«
»Nach einem Mönch«, knurrte der große Mann, »das heißt natürlich, nach einem Mönchsbruder von mir – und nach einem Jungen. Ich habe alle Docks von oben bis unten nach ihnen abgekämmt.«
Der Inhaber der Schenke lächelte und polierte mit seiner Schürze einen Metallkrug. »Und hierhin hat es Euch zuletzt verschlagen? Vergebt mir, Vater, aber ich fürchte, Euer Gott wollte Euch prüfen.«
Der Lange brummte etwas und sah dann von seinem Bier auf. »Was meinst du damit?«
»Sie waren hier, alle beide – wenn sie es sind.«
Das befriedigte Lächeln gefror auf seinem Gesicht, als der Mönch von seiner Bank aufsprang. Sein gerötetes Gesicht war plötzlich nur wenige Zoll von dem des Wirtes entfernt.
»Wann?«
»V-vor zwei, drei T-tagen – ich weiß es nicht mehr genau…«
»Weißt du es wirklich nicht mehr genau«, erkundigte der Mönch sich drohend, »oder willst du nur Geld?« Er klopfte auf seine Kutte. Der Schankwirt wußte nicht, ob es eine Geldbörse oder ein Messer war, auf die der seltsame Gottesmann da klopfte; er hatte den Usires-Anhängern nie recht getraut, und das Leben in der weltoffensten Stadt von Hernystir hatte seine Meinung von ihnen nicht verbessert.
»O nein, Vater, wirklich nicht! Sie … sie waren vor ein paar Tagen hier. Fragten nach einem Schiff, das die Küste hinuntersegelt – nach Perdruin. Der Mönch war ein kleiner Kerl … kahlköpfig? Der Junge mit schmalem Gesicht und schwarzem Haar? Sie waren hier.«
»Wo hast du sie hingeschickt?«
»Zum alten Gealsgiath, unten beim Eirgid Ramh – das ist die Schenke mit dem gemalten Ruder an der Tür, am Ende der Landzunge!«
Er brach bestürzt ab, als die gewaltigen Hände des Mönchs sich um seine Schultern legten. Der Wirt, ein durchaus kräftig gebauter Mann, fühlte sich so sicher gehalten wie ein Kind. Gleich darauf schwankte er unter einer rippenzerquetschenden Umarmung und konnte nur noch dastehen und nach Luft ringen, als ihm der Mönch einen goldenen Imperator in die Hand drückte.