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»Möge der gnädige Usires deine Schenke segnen, Hernystiri!« röhrte der große Mann, daß sich weit draußen auf der Straße Köpfe umdrehten. »Das ist der erste glückliche Moment in meinem Leben, seit ich diese gottverfluchte Suche angefangen habe!« Er donnerte zur Tür hinaus wie jemand, der aus einem brennenden Haus stürzt.

Der Wirt holte unter Schmerzen Atem und hielt die Münze fest, die von der mächtigen Pranke des Mönches noch warm war.

»Verrückt wie die Mondkälber, diese Ädoniter«, sagte er. »Irrsinnig.«

Sie stand an der Reling und sah Abaingeat davongleiten, bis es der Nebel verschlang. Der Wind zerzauste ihr kurzgeschnittenes schwarzes Haar.

»Bruder Cadrach!« rief sie. »Kommt her! Gibt es etwas Herrlicheres?« Sie deutete auf den stetig wachsenden Streifen grünes Meer, der sie von der nebligen Küstenlinie trennte. Über dem schäumenden Kielwasser des Schiffes kreisten und kreischten die Möwen.

Der Mönch, hinter einen Stapel festgezurrter Fässer geduckt, machte eine schlaffe Handbewegung. »Wenn es Euch nur gefällt … Malachias. Ich bin noch nie ein großer Seefahrer gewesen. Weiß Gott, ich glaube auch nicht, daß diese Reise das ändern wird.« Er wischte sich Gischt – oder Schweiß – von der Stirn. Seit sie an Bord gegangen waren, hatte Cadrach noch keinen Tropfen Wein angerührt.

Miriamel sah auf und bemerkte zwei Hernystiri-Matrosen, die sie vom Vorderdeck aus neugierig betrachteten. Sie senkte den Kopf, ging zu dem Mönch hinüber und setzte sich neben ihn.

»Warum seid Ihr mit mir gekommen?« fragte sie nach einer Weile. »Das ist etwas, das ich immer noch nicht verstehe.«

Der Mönch blickte nicht auf. »Ich kam, weil die Herrin Vara mich dafür bezahlte.«

Miriamel zog ihre Kapuze herunter. »Nichts ist besser geeignet als das Meer, einen an wirklich wichtige Dinge zu erinnern«, bemerkte sie ruhig und lächelte. Cadrach lächelte matt zurück.

»Ach ja, beim Guten Gott, das stimmt«, stöhnte er. »Mich erinnert es daran, daß das Leben süß und die See trügerisch ist, und daß ich ein Narr bin.«

Miriamel schaute zu den sich blähenden Segeln auf und nickte. »Das sind Dinge, die man nicht vergessen sollte«, erklärte sie feierlich.

XLII

Unter dem Udunbaum

»Es geht eben nicht schneller, Elias«, grollte Guthwulf. »Es geht nicht. Naglimund ist eine harte Nuß … sehr hart … aber das wußtet Ihr…« Er hörte selber, wie verwaschen seine Sprache klang; er hatte sich Mut antrinken müssen, um seinem alten Gefährten überhaupt unter die Augen zu treten. Der Graf von Utanyeat fühlte sich in der Gesellschaft des Königs nicht mehr wohl, schon gar nicht, wenn er ihm schlechte Nachrichten zu überbringen hatte.

»Du hattest vierzehn Tage Zeit. Ich habe dir alles gegeben – Truppen, Belagerungsmaschinen – alles!« Der König zupfte an seiner Gesichtshaut herum und zog die Stirn in Falten. Er wirkte erschöpft und kränklich und hatte Guthwulf nicht einmal in die Augen gesehen. »Ich kann nicht länger warten. Morgen ist Mittsommerabend.«

»Und wieso ist das wichtig?« Guthwulf, dem es eiskalt und flau im Magen war, drehte sich um und spie das fade gewordene Stück Citrilwurzel aus, auf dem er herumgekaut hatte. Das königliche Zelt war so feucht und modrig wie der Boden eines Brunnens. »Noch nie hat jemand in nur vierzehn Tagen eine der großen Festungen eingenommen, selbst wenn sie schlecht verteidigt wurden – es sei denn durch Verrat; und diese Naglimunder kämpfen wie in die Enge getriebene Ratten. Habt Geduld, Hoheit, wir brauchen nur Geduld. In ein paar Monaten könnten wir sie aushungern.«

»Monate!« Elias stieß ein hohles Gelächter aus. »Monate, sagt er, Pryrates!«

Der rote Priester zeigte ein skelettartiges Lächeln. Jäh verstummte das Lachen des Königs, und er senkte das Kinn bis fast auf den Knauf des langen, grauen Schwertes, das zwischen seinen Knien stand. Dieses Schwert besaß etwas, das Guthwulf unheimlich war, obwohl er wußte, daß es töricht war, sich von einem bloßen Gegenstand derart beeinflussen zu lassen. Aber wohin Elias auch ging, seit einiger Zeit hatte er ständig das Schwert bei sich, als sei es ein verzärtelter Schoßhund.

»Heute ist deine letzte Chance, Utanyeat.« Die Stimme des Königs kam dick und schwer. »Entweder ihr öffnet das Tor, oder ich muß … andere Maßnahmen ergreifen.«

Guthwulf stand schwankend auf. »Seid Ihr von Sinnen, Elias? Seid Ihr nicht bei Euch? Wie können wir denn … die Mineure sind noch nicht halbwegs unter der Mauer durch…« Schwindlig verstummte er und überlegte, ob er zu weit gegangen war. »Warum sollte es darauf ankommen, daß morgen Mittsommerabend ist?« Wieder beugte er das Knie und sagte flehend: »Sprecht mit mir, Elias.«

Der Graf hatte einen Ausbruch seines erzürnten Königs befürchtet, zugleich aber die schwache Hoffnung gehabt, daß sich die alte Kameradschaft doch wieder einstellen könnte. Beide Erwartungen wurden enttäuscht.

»Du kannst das nicht verstehen, Utanyeat«, erwiderte Elias, und seine starren, rotgeränderten Augen hefteten sich auf die Zeltwand oder die leere Luft. »Ich habe … andere Verpflichtungen. Ab morgen wird alles anders.«

Simon hatte geglaubt, er wisse inzwischen, was Winter sei. Nach dem Ritt durch die trostlose Öde der Wüste, den endlosen weißen Tagen voller Wind und Schnee und brennender Augen war er sicher gewesen, es gebe keine weiteren Lektionen mehr, die der Winter ihn lehren könne. Nach den ersten paar Tagen auf dem Urmsheim wunderte er sich selbst über soviel Unschuld.

Einer hinter dem anderen angeseilt, wanderten sie über die schmalen Eispfade und gruben sorgfältig Zehen und Ferse in den Boden, ehe sie den Schritt wirklich taten. Manchmal trieb sie aufkommender Wind vor sich her wie Laub, und sie mußten sich an die eisige Flanke des Urmsheim pressen und dort kleben bleiben, bis das Wehen nachließ. Auch der eigene Halt war etwas Trügerisches; Simon, der sich als Herrscher über die Gipfel des Hochhorstes immer für einen beachtlichen Kletterer gehalten hatte, sah sich über schmale Wegspuren rutschen, mühsam festgekrallt, bei denen keine zwei Ellen zwischen Wand und Abgrund lagen und nur eine wirbelnde Wolke von Pulverschnee den Pfad von der fernen Erde trennte. Der Blick vom Grünengel-Turm, der ihm einst als Höhepunkt der Welt erschienen war, kam ihm jetzt so kindisch und harmlos vor wie die Aussicht von einem Schemel in der Burgküche.

Vom Bergpfad aus konnte er bald auch andere Bergspitzen und die Wolkenwirbel sehen, die sie umgaben. Unter ihm ausgebreitet lag der Nordosten von Osten Ard, aber in so großer Ferne, daß er lieber nicht hinsah. Aus solcher Höhe hinabzuschauen tat nicht gut. Es führte dazu, daß sein Herz raste und ihm der Atem in der Kehle stecken blieb. Simon wünschte sich aus tiefster Seele, unten geblieben zu sein; jetzt aber lag seine ganze Hoffnung, je wieder herunterzukommen, im Weiterklettern.

Er stellte fest, daß er jetzt oft betete, und hoffte, daß die Erhabenheit der Umgebung seine Worte noch schneller zum Himmel aufsteigen lassen würde.

Die schwindelnden Höhen und sein schnell abnehmendes Selbstvertrauen waren erschreckend genug, aber Simon war durch das Seil um seine Mitte auch mit allen seinen Gefährten verknüpft, mit Ausnahme der nicht angeseilten Sithi. Das bedeutete, daß er sich nicht nur eigener Fehler wegen Sorgen machen mußte; der Fehltritt eines anderen konnte sie wie Gewichte an einer Angelschnur alle hinabziehen und kopfüber in die grenzenlosen, wirbelnden Tiefen stürzen lassen. Sie kamen qualvoll langsam voran, aber keiner, Simon am wenigsten, hätte es anders gewollt.

Aber nicht alle Lehren, die der Berg ihm erteilte, waren unangenehm. Obwohl die Luft so dünn und ätzend kalt war, daß er manchmal das Gefühl hatte, der nächste Atemzug könne ihn zum Eisblock erstarren lassen, erzeugte gerade diese Eiseskälte der Atmosphäre in ihm eine sonderbare Begeisterung, ein Gefühl von Offenheit und Körperlosigkeit, so als wehe ein aufrüttelnder Wind mitten durch ihn hindurch.