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»Trotzdem«, zischte der Prinz, »wir müssen es versuchen. Wir haben keine Wahl.«

Als sie ihren kleinen Trupp formiert hatten, rannten sie in stolpernder Hast los. Die beiden Hunen, von denen sich der eine mit den riesigen Zähnen in die Kehle des anderen verbissen hatte, wälzten sich am Boden, in tobendem Kampf ineinander verkrallt wie Götter aus urweltlicher Vorzeit. Ohne die vorüberhuschenden Menschen zu bemerken, streckte einer von ihnen in einem Anfall krampfartigen Schmerzes jäh ein gewaltiges Bein aus und traf den Harfner Sangfugol, der der Länge nach hinschlug. Sofort machten Isorn und der alte Strupp kehrt und halfen ihm auf. Von der anderen Seite des Hofes ertönte ein schriller, erregter Schrei. Ein Dutzend Nornen, davon zwei auf hohen weißen Rossen, fuhr auf den Ruf ihres Kameraden herum. Als sie die Schar des Prinzen bemerkten, erhoben sie ein lautes Geschrei. Die beiden Berittenen spornten die Pferde zum Galopp, vorbei an den mittlerweile bewußtlosen Riesen.

Josua erreichte die Tür und zog. Sie sprang auf, aber noch während die entsetzten Flüchtlinge ins Innere drängten, war der erste Reiter bei ihnen, auf dem Kopf einen hohen Helm, den langen Speer in der Hand.

Mit einem Knurren wie ein in die Enge getriebener Hund stürzte sich der schwarzbärtige Einskaldir auf ihn. Er duckte sich unter dem schlangenartigen Vorstoß der Lanze, sprang in die Höhe und warf sich gegen die Seite des Angreifers. Mit der Hand packte er dessen wehenden Mantel, zog, stürzte herunter und nahm seinen Feind mit sich. Das reiterlose Pferd rutschte auf dem nassen Steinpflaster. Einskaldir kniete über dem Gefallenen und ließ hart die Axt hinabsausen, einmal, zweimal. Blind für seine gesamte Umgebung, wäre er sicher vom Speer des zweiten Nornenreiters durchbohrt worden, hätte nicht Deornoth den Deckel eines zerbrochenen Fasses hochgewuchtet und geschleudert. Er traf und warf den Reiter vom Pferd.

Die heulenden Fußtruppen hatten sie fast erreicht, als Deornoth den schäumenden Einskaldir von dem zerhackten Leichnam des Nornen wegriß. Knapp vor den Angreifern hasteten sie durch die Tür, die Isorn und zwei andere Flüchtlinge hinter ihnen krachend zufallen ließen. Speere donnerten gegen das dicke Holz; gleich darauf rief einer der Nornen mit hoher, schnalzender Stimme.

»Äxte!« sagte Jarnauga. »Soviel verstehe ich von der Sprache der Hikeda'ya. Sie holen Äxte.«

»Strangyeard!« schrie Josua. »Wo ist der verdammte Gang?«

»Er ist … es ist so dunkel«, antwortete der Priester mit zitternder Stimme. In der Tat erleuchtete nur der unstete Schein der orangefarbenen Flammen, die sich durch die Dachbalken zu fressen begannen, den Raum. Unter der niedrigen Decke sammelte sich Rauch. »Ich … ich glaube, der Gang ist auf der Südseite«, fuhr Strangyeard fort. Einskaldir und ein paar andere sprangen zur Mauer, um die schweren Wandteppiche abzureißen.

»Die Tür!« bellte Einskaldir, und gleich darauf: »Verschlossen.«

Das Schlüsselloch in der schweren Holztür war leer. Josua starrte sie an. Durch die Tür zum Hof drang krachend die Spitze einer Axtklinge. »Brecht sie auf!« befahl der Prinz. »Und ihr anderen stapelt alles, was ihr findet, vor die Außentür.«

Es dauerte nur Sekunden, bis Einskaldir und Isorn den Riegel aus dem Türpfosten herausgehackt hatten. Deornoth hielt eine unbenutzte Fackel an die glühende Decke, damit sie sich entzündete. Kaum war die Tür aus den Angeln geschlagen, waren sie schon hindurch und flohen den schrägen Gang hinauf. Wieder splitterte ein Stück aus der Tür zum Hof.

Sie rannten mehrere Achtelmeilen weit; die Stärkeren halfen den Schwächeren. Schließlich sank einer der Höflinge weinend zu Boden und konnte nicht weiter. Isorn wollte ihn aufheben, aber seine Mutter Gutrun, selbst zum Umfallen müde, hielt ihn zurück.

»Laß ihn liegen«, erklärte sie. »Er schafft es.«

Isorn sah sie scharf an und zuckte dann die Achseln. Als sie den ansteigenden Gang weiter hinaufliefen, hörten sie den Mann mühsam aufstehen, sie verwünschen und hinterherkommen.

Gerade als die Türen vor ihnen sichtbar wurden, schwarz und schwer im Schein ihrer einzigen Fackel, vom Boden des Ganges bis zur Decke aufragend, hörten sie hinter sich ihre Verfolger. Josua, der das Schlimmste befürchtete, streckte die Hand nach einem der Eisenringe aus und zog. Mit leisem Knarren schwang die Tür in ihren Angeln nach innen. »Usires sei gelobt«, sagte Vater Strangyeard.

»Bringt die Frauen und die anderen hinaus«, befahl Josua, und eine Minute später hatten zwei Soldaten alle durch den Gang und zu den mächtigen Toren hinausgeleitet.

»Jetzt ist es soweit«, erklärte Josua. »Entweder finden wir einen Weg, diese Tür zu versiegeln, oder wir müssen soviele Männer hierlassen, daß die Verfolger aufgehalten werden.«

»Ich bleibe«, brummte Einskaldir. »Ich habe heute nacht Elbenblut gekostet. Es schmeckte nach mehr.« Er klopfte auf seinen Schwertgriff.

»Nein. Es ist meine Aufgabe, und meine allein.« Jarnauga hustete und lehnte sich schwer auf Strangyeards Arm. Dann richtete er sich auf. Der lange Priester schaute den alten Mann an und begriff.

»Ich sterbe«, fuhr dieser fort. »Es war nie mein Schicksal, Naglimund wieder zu verlassen. Das wußte ich von Anfang an. Ihr braucht mir nur ein Schwert dazulassen.«

»Du bist nicht stark genug!« wandte Einskaldir fast ein wenig enttäuscht ein.

»Ich bin stark genug, um diese Tür zu schließen«, erwiderte der alte Mann sanft. »Siehst du?« Er deutete auf die riesigen Angeln. »Sie sind sehr fein gearbeitet. Sobald die Tür geschlossen ist, wird eine abgebrochene Klinge in der Angel-Spalte jedem Verfolger den Weg versperren. Geht nun.«

Der Prinz drehte sich um, als wollte er Einwendungen machen; ein klickender Schrei hallte den Gang hinauf. »Also gut«, sagte er leise. »Gott segne dich, alter Mann.«

»Unnötig«, entgegnete Jarnauga. Er zog etwas Glänzendes hervor, das er um den Hals getragen hatte, und drückte es Strangyeard in die Hand. »Seltsam, noch in letzter Stunde einen Freund zu finden.«

Die Augen des Priesters füllten sich mit Tränen, und er küßte den Rimmersmann auf die Wange.

»Mein Freund«, flüsterte er und schritt durch die offene Tür.

Das letzte, was sie von Jarnauga sahen, war sein heller Blick im Schein der Fackel, als er sich gegen die Tür stemmte. Sie schwang zu und dämpfte die Geräusche der Verfolger. Die Riegel an der Innenseite schoben sich fest an ihren Platz.

Sie stiegen eine lange Treppe hinauf und traten endlich in den windigen, regengepeitschten Abend. Der Sturm hatte nachgelassen, und als sie auf dem kahlen Hang unterhalb der bewaldeten Steige standen, konnten sie unten in den Ruinen von Naglimund Feuer flackern und schwarze, unmenschliche Gestalten um die hüpfenden Flammen tanzen sehen.

Lange stand Josua da und starrte hinunter, Regenstreifen im rußigen Gesicht. Seine kleine Schar duckte sich zitternd hinter ihn und wartete darauf, den Weg fortzusetzen.

Der Prinz hob die linke Faust.

»Elias!« schrie er, und der Wind hetzte ihm das Echo von den Lippen. »Du hast Tod und Schlimmeres über das Reich unseres Vaters gebracht! Du hast uraltes Böses geweckt und den Königsfrieden zerstört! Du hast mich heimatlos gemacht und vernichtet, was ich liebte!« Er hielt inne und kämpfte mit den Tränen. »Du bist kein König mehr! Ich werde dir die Krone entreißen. Ich werde sie mir holen, das schwöre ich dir!«

Deornoth nahm ihn beim Ellenbogen und führte ihn vom Wegrand fort. Josuas Untertanen erwarteten ihn, frierend und verängstigt, heimatlos im wilden Weldhelm. Er senkte einen Augenblick, vor Müdigkeit oder weil er betete, den Kopf, dann führte er sie hinein ins Dunkle.

XLIV

Blut und die wirbelnde Welt

Das schwarze Drachenblut hatte sich über Simon ergossen und gebrannt wie Feuer. Im Augenblick der Berührung hatte er gefühlt, wie sein eigenes Leben in den Hintergrund gedrängt wurde. Die furchtbare Essenz durchdrang ihn, versengte seinen Geist und ließ nur Drachenleben übrig. Es war, als sei er selber – in jenem schwindenden Augenblick, bevor sich das Dunkel über ihn senkte – zum geheimen Herzen des Lindwurmes geworden.