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Jedenfalls empfinde ich nichts dergleichen für diesen verdammten Holzfäller, dachte er. Wahrscheinlich hätte er mich genauso schnell umgebracht, wie er den Sitha töten wollte.

Aber hätte er das wirklich? Wäre er mit der Axt auf Simon losgegangen? Vielleicht nicht. Den Sitha hatte er für einen Dämon gehalten, Simon dagegen den Rücken zugekehrt. Das hätte er gewiß nicht getan, wenn er Angst vor ihm gehabt hätte.

Ob er wohl eine Frau hatte? fiel Simon auf einmal ein. Und Kinder? Aber er war doch ein böser Mensch! Trotzdem, schlechte Menschen können auch Kinder haben – König Elias hat eine Tochter. Wäre sie traurig, wenn ihr Vater stürbe? Ich wäre es bestimmt nicht. Und ich bin auch nicht traurig, daß der Holzhauer tot ist – aber ich fände es traurig, wenn seine Familie ihn so tot im Wald fände. Hoffentlich hatte er keine Familie, war allein, lebte ganz allein im Wald … allein im Wald…

Erschreckt und angstvoll fuhr Simon in die Höhe. Fast wäre er eingeschlafen, ganz allein und hilflos … aber nein. Da war ja Binabik, der an der Uferböschung hockte und vor sich hinsummte. Simon empfand es plötzlich als großes Glück, daß der kleine Mann bei ihm war.

»Vielen Dank … für das Abendessen, Binabik.«

Der Troll drehte sich um und sah ihn an. Ein nachlässiges Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Es ist freudig gegeben. Und nachdem du nun gesehen hast, was die südlichen Blasdorne ausrichten können, möchtest du vielleicht auch lernen, wie man mit ihnen umgeht?«

»Ganz bestimmt!«

»Vorzüglich. Dann werde ich es dir morgen zeigen – und vielleicht kannst du dann unser Abendessen jagen, hmmm?«

»Wie lange…« Simon fand einen Zweig und rührte damit in der Glut herum, »… wie lange werden wir zusammen reisen?«

Der Troll schloß die Augen und lehnte sich zurück. Durch das dichte, schwarze Haar kratzte er sich am Kopf. »Oh, zumindest noch eine Weile, denke ich. Du willst nach Naglimund, nicht wahr? Nun, ich bin voller Sicherheit, daß auch ich wenigstens den größeren Teil des Weges dorthin zurücklegen werde. Ist dir das recht?«

»Ja! Äh … ja.« Simon ging es schon viel besser. Er lehnte sich ebenfalls zurück und bewegte seine unbeschuhten Füße vor der Kohlenglut.

»Jedoch«, sagte Binabik neben ihm, »ich verstehe noch immer nicht, warum du dorthin zu gehen wünschst. Ich hörte Berichte, daß man die Festung Naglimund für einen Krieg bemannt. Ich hörte Gerüchte, daß Josua der Prinz – dessen Verschwinden sich selbst an den entlegenen Orten, die ich bereiste, herumgesprochen hat – sich vielleicht dort versteckt, um gegen seinen Bruder, den König, Krieg zu führen. Weißt du nichts von diesen Reden? Warum, wenn ich mir die Frage erlauben darf, möchtest du dorthin?«

Simons unbekümmerte Stimmung verflog. Er ist nur klein, schalt er sich selbst, aber keineswegs dumm! Er zwang sich, mehrere Male tief Luft zu holen, bevor er antwortete: »Ich weiß nicht viel von diesen Dingen, Binabik. Meine Eltern sind tot, und ich habe einen Freund in Naglimund … einen Harfner.« Alles mehr oder weniger wahr – aber auch überzeugend?

»Hmmmm.« Binabik hatte die Augen nicht geöffnet. »Vielleicht gibt es bessere Reiseziele als eine Festung, die sich für eine Belagerung rüstet. Immerhin zeigst du viel Tapferkeit, daß du dich so allein auf den Weg machst, auch wenn, wie wir sagen, ›Tapfer und Töricht oft in derselben Höhle wohnen‹. Wenn dir dein Ziel nicht gefällt, könntest du vielleicht mit mir kommen und bei uns Qanuc leben. So ein großer, überragender Troll würdest du werden!« Binabik lachte, ein hohes, albernes Kichern wie ein schimpfendes Eichhörnchen. Und obwohl Simons Nerven noch immer einigermaßen wund waren, konnte er nicht anders, er mußte mitlachen.

Das Feuer war zu einem matten Glühen heruntergebrannt und der Wald ringsum ein unbestimmter, formloser Block aus Schwärze. Simon hatte sich eng in seinen Mantel gewickelt. Binabik strich gedankenverloren mit den Fingern über die Löcher der Flöte und starrte hinauf in den samtigen Fleck Himmel, der durch eine Lücke in den Bäumen sichtbar war.

»Schau!« sagte er und streckte sein Instrument aus, um in die Nacht hinaufzudeuten. »Siehst du?«

Simon hielt den Kopf schief und kam näher. Oben war außer einer dünnen Sternenschleppe nichts zu erkennen. »Nein, ich sehe nichts.«

»Siehst du nicht das Netz?«

»Welches Netz?«

Binabik warf ihm einen sonderbaren Blick zu. »Lehren sie dich denn nichts in deiner verschachtelten Burg? Mezumiirus Netz!«

»Wer ist das?«

»Aha.« Binabik ließ den Kopf wieder sinken. »Die Sterne. Der Sternhaufen, den du dort über dir siehst, das ist Mezumiirus Netz. Es heißt, daß sie es auswirft, um ihren Gatten Isiki einzufangen, der ihr fortgelaufen ist. Wir Qanuc nennen sie Sedda, die Dunkle Mutter.« Simon starrte zu den trüben Punkten hinauf; es sah aus, als wäre das dichte, schwarze Tuch, das Osten Ard von irgendeiner Welt des Lichtes trennte, an dieser Stelle fadenscheinig geworden. Wenn er die Augen zukniff, konnte er eine gewisse Fächerform der Ansammlung erkennen.

»Sie sind sehr matt.«

»Der Himmel ist nicht klar, da hast du recht. Man sagt, daß es Mezumiiru so lieber ist, weil sonst die hellen Lichter, die Juwelen ihres Netzes, Isiki verscheuchen. Aber es gibt viele bewölkte Nächte, und sie hat ihn immer noch nicht gefangen…«

Simon machte schmale Augen. »Mezza … Mezo…«

»Mezumiiru. Mezumiiru die Mondfrau.«

»Aber du hast gesagt, dein Volk nennt sie … Sedda?«

»So ist es. Sie ist die Allmutter, glauben die Qanuc.«

Simon dachte einen Augenblick nach. »Warum nennt ihr das« – er zeigte nach oben – »dann Mezumiirus und nicht Seddas Netz

Binabik hob lächelnd die Brauen. »Eine gute Frage. Mein Volk nennt es tatsächlich so – oder genauer gesagt, wir nennen es Seddas Decke. Aber ich komme viel herum und lerne andere Namen, und schließlich und letztlich sind es ja die Sithi, die als erste hier waren. Sie waren es, die vor langer Zeit allen Sternen Namen gaben.«

Der Troll saß eine Zeitlang da und starrte mit Simon zum schwarzen Dach der Welt empor. »Ich weiß etwas«, sagte er plötzlich. »Ich werde dir das Lied von Sedda vorsingen – oder einen kleinen Teil davon, vielleicht. Schließlich ist es ein Lied von großer Länge. Sollte ich diesen Gesang versuchen?«

»Ja!« Simon kuschelte sich noch tiefer in seinen Mantel. »Bitte sing!«

Qantaqa, die sanft auf den Beinen des Trolls geschlafen hatte, erwachte, hob den Kopf und sicherte nach allen Seiten, wobei sie ein leises Grollen ausstieß. Auch Binabik schaute sich um und versuchte mit schmalen Augen die Finsternis um das Lagerfeuer zu durchdringen. Aber schon bald schubste Qantaqa, anscheinend befriedigt, alles in Ordnung zu finden, Binabik in eine ihrem großen Kopf angenehmere Stellung, legte sich wieder hin und schloß die Augen. Binabik streichelte sie, griff zu seiner Flöte und blies ein paar einleitende Töne.

»Verstehen muß du«, meinte er, »daß dies nur der Kern des ganzen Liedes sein kann. Ich werde alles erklären. Seddas Gemahl, den die Sithi Isiki nannten, heißt bei meinem Volk Kikkasut. Er ist der Beherrscher aller Vögel.«

Feierlich begann der Troll mit hoher Stimme zu singen. Es klang seltsam melodisch, wie Wind auf einem hohen Gipfel. Nach jeder Zeile hielt er inne, um seiner Flöte trillernde Töne zu entlocken.

Wasser will fließen bei Tohuqs Höhle, Glanzhimmelshöhle. Sedda will spinnen, dunkle Himmelsherr-Tochter, bleiche, schwarzhaarige Sedda.
Vogelkönig im Fluge auf Pfaden der Sterne, glanzhellen Pfaden, sieht sie nun, Sedda, Kikkasut sieht sie, schwört, daß sie sein wird.
›Gib deine Tochter mir, spinnende Tochter, Feinfaden spinnt sie.‹ Kikkasut ruft ihn. ›Ich will sie kleiden in leuchtende Federn!‹
Tohuq, er lauscht ihm, hört schöne Worte, reichen Vogelkönigs Worte. Denkt an die Ehre, gibt ihm nun Sedda, alter, gieriger Tohuq.