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»Wohin?« brüllte Gurk, stolperte im Dunkeln über ein Hindernis und fiel der Länge nach zu Boden.

Charity verlangsamte nicht einen Sekundenbruchteil das Tempo. Sie wußte, daß Gurk sich mindestens genauso schnell bewegen konnte wie sie, wenn nicht schneller. Statt sich auch nur einmal zu dem Außerirdischen herumzudrehen, deutete sie blind nach vorne.

»Nach oben, Gurk! Schnell!«

Ein grellgrüner Blitz erhellte für Bruchteile von Sekunden den Raum. Kaum einen Meter neben Gurk begannen die Bodenfliesen zu kochen. Der Zwerg kreischte vor Angst, warf sich herum und entging nur um Haaresbreite einem zweiten, genauer gezielten Schuß.

Diesmal flammte ein Teil seines Gewands auf, erlosch aber sofort wieder.

Charity fluchte, blieb diesmal stehen und zögerte unentschlossen.

Wenn sie noch einen Beweis für ihre Theorie gebraucht hätte, so hätte sie ihn jetzt gehabt. Die Angreifer waren zu sechst. Sie hätten die Gegner ohne Mühe ausschalten können, schienen aber schlagartig jedes Interesse an Charity und ihrem Begleiter verloren zu haben.

Drei der riesigen, schwarzgekleideten Gestalten näherten sich Gurk im Laufschritt, während die drei anderen damit beschäftigt waren, den Zwerg mit präzise gezielten Schüssen an der Flucht zu hindern. In einem Punkt hatte Charity sich geirrt: Die Fremden waren nicht gekommen, um Gurk zu töten.

Sie wollten ihn lebend.

Charity zog ihre Waffe, visierte einen der Fremden an und schoß. Der Körperschild des Riesen absorbierte den Energiestoß mit Leichtigkeit, und der Fremde machte sich nicht einmal die Mühe, zurückzuschießen oder sonst auf irgendeine Weise zu reagieren.

Charity zielte noch einmal, diesmal genauer. Sie spreizte die Beine, um festeren Stand zu haben - und zögerte. Ihr blieben vielleicht noch zwei Sekunden, ehe die Fremden Gurk erreichten, aber sie wußte einfach nicht, was sie tun sollte.

Skudder und sie hatten die Achillesferse der Fremden schon an Bord der EXCALIBUR entdeckt, aber wenn sie jetzt einen dieser Männer erschoß, würden die anderen zuerst sie ausschalten und dann Gurk überwältigen.

Und sie würden nicht einmal eine Sekunde dazu benötigen.

Ein gewaltiges Krachen erscholl.

Charity schaute erschrocken hoch und erblickte ein riesiges, hundert Tonnen schweres Ungetüm, das auf rasselnden Ketten durch die zerborstene Glasfront hereingewalzt kam: Es war einer der beiden Mark-IV-Panzer, die vor zehn Minuten draußen aufgefahren waren, um das Schiff mit Gurk und Hartmanns Familie in Empfang zu nehmen.

Doch anders als vorhin war das Schott diesmal geschlossen, und die riesige Laserkanone drehte sich wie suchend hin und her. Charity schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß der Panzerkommandant nicht so verrückt sein würde, die Waffe hier drinnen abzufeuern.

Er war so verrückt.

Einer der Fremden beging den Fehler, auf den Mark IV zu schießen, und der Panzer erwiderte das Feuer mit seiner Kanone, deren Kaliber um etliches schwerer war als die der Bordgeschütze, mit denen die Vipern ausgestattet waren. Der Körperschild des Fremden fand nicht einmal mehr die Zeit, aufzuflammen. Die Gestalt löste sich auf, verschwand von einer Sekunde auf die andere, und der Energiestrahl brannte sich ungehindert seinen Weg durch das Gebäude, wobei er Zwischenwände, Treppen, Schächte, Aufzugwände und Mauern pulverisierte und alles in Brand setzte, was nicht aus Stein oder Metall war.

Charity stand gute zehn Meter von der Schußbahn entfernt, aber sie taumelte trotzdem unter der immensen Hitze zurück. Gurk keuchte vor Schrecken und Schmerz.

Die fünf überlebenden Angreifer verloren schlagartig das Interesse an ihrem Opfer und wandten sich gemeinsam dem neu aufgetauchten Gegner zu. Ein wahres Gewitter greller Laserblitze tanzte über die Flanke des Panzers, ohne den Vormarsch des Hundert-Tonnen-Kolosses auch nur verlangsamen zu können.

Das Panzergeschütz feuerte ein zweites Mal. Diesmal verfehlte der Energieblitz sein Ziel, setzte aber einen weiteren Teil der riesigen Halle in Brand. Die Fremden feuerten zurück, ohne mehr als den Lack des Kampfpanzers beschädigen zu können, und begannen sich gleichzeitig in der Halle zu verteilen.

Der Umstand, einer Kampfmaschine gegenüber zu stehen, deren psychologische Wirkung eigentlich verheerend sein sollte, schien sie nicht besonders zu irritieren.

Charity erkannte die Chance, die sie vielleicht doch noch hatte. Die Halle brannte mittlerweile lichterloh, und die Luft füllte sich so schnell mit beißendem Qualm, daß das Atmen wahrscheinlich schon in wenigen Augenblicken unmöglich sein würde. Sie rannte ein paar Schritte zurück, zerrte Gurk grob auf die Füße und stürmte auf die nächstgelegene Treppe zu.

Die kunststoffverkleidete Decke über ihren Köpfen fing schlagartig Feuer, als der Mark IV hinter ihnen einen weiteren Schuß aus seiner Kanone abgab, und plötzlich regnete es Flammen und glühende Tropfen geschmolzenen Kunststoffs. Zäher, beißender Rauch nahm Charity die Sicht. Sie stürmte mit angehaltenem Atem und fast blind hindurch, stolperte prompt über die unterste Stufe und fand im letzten Moment am Treppengeländer Halt.

Plötzlich war es Gurk, der sie hinter sich her zerrte, statt umgekehrt.

Unter ihnen tobte der ungleiche Kampf ungebremst weiter, und als Charity noch einmal in die Tiefe sah, bot sich ihr ein beinahe grotesker Anblick: Der Panzer war bis in die Mitte der Halle gerollt und hatte gehalten. Das riesige Turmgeschütz drehte sich hektisch hin und her, doch die Männer in den schwarzen Kampfanzügen waren einfach zu schnell.

Charity hatte das Gefühl, einem Rudel kleiner, schwarzer Insekten zuzuschauen, die ein viel größeres Beutetier umkreisten. Plötzlich war sie gar nicht mehr sicher, wer der Sieger in diesem vermeintlich ungleichen Kampf sein würde.

Sie und Gurk erreichten die nächste Etage. Gurk blieb stehen, schaute sich einen Moment hilflos um und warf Charity dann einen fragend-gehetzten Blick zu.

Charity deutete nach links, aber im Grunde tat sie es vollkommen wahllos. Sie kannte sich in diesem Gebäude nur unwesentlich besser aus als Gurk. Das einzige, was sie mit Sicherheit wußte war, daß es hier ein wahres Labyrinth von Korridoren und Räumen gab. Vielleicht ihre einzige Chance.

Charity haßte es, davonzulaufen, aber sie war auch realistisch genug zu erkennen, wenn ein Kampf aussichtslos war.

»Findest du nicht, daß du mir ein paar Antworten schuldig bist, Gurk?« keuchte sie, während sie nebeneinander auf das Ende des Korridors zurannten. Der Boden unter ihren Füßen zitterte, und Hitze und Rauch begannen auch hier die Luft zu füllen.

»Genauso geht es mir auch«, antwortete Gurk keuchend. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich freue, dich wiederzusehen. Wie lange ist es her? Sieben Jahre?«

»Gurk!«

»Ja, ja, ich weiß - es sind acht. Ich wollte dich nur auf die Probe stellen.«

Sie hatten das Ende des Ganges erreicht. Charity verschwendete keine Zeit damit, die Tür zu öffnen, sondern sprengte sie einfach mit der Schulter aus dem Rahmen und stürmte hindurch.

»Ich meine es ernst, Gurk«, sagte Charity. »Wer sind diese Kerle? Was wollen sie von dir?«

»Ich schätze, sie sind wütend, weil ich ihr Schiff gestohlen habe«, antwortete Gurk. »Die Burschen sind ziemlich nachtragend, weißt du.«

Vor ihnen lag ein schmales, unverkleidetes Treppenhaus. Die Stufen fielen unter ihnen zwei oder drei Etagen in die Tiefe und führten in der anderen Richtung gute zwanzig Etagen weit in die Höhe. Charity glaubte nicht, daß sie in ihrem momentanen Zustand noch die Kraft hatte, dort hinaufzurennen.

Die Entscheidung wurde ihr abgenommen.

Eine dumpfe, lang nachhallende Explosion erschütterte das Gebäude. Fünfzehn Meter unter ihnen wurde eine massive Metalltür von einer Feuerwoge auf die Treppe hinaufgeschleudert, und das gesamte Gebäude schien sich für einen gräßlichen, alptraumhaften Moment zur Seite zu neigen.